Am Horizont leuchtet die Fassade des Burj al-Arab, angestrahlt in wechselnden Farben. Leise glucksen die Wellen an den Sandstrand, von irgendwoher weht sanfte Musik herüber. Auf der eigenen Terrasse nahe dem Wasser hocken an diesem Abend drei Urlauber im Kerzenschein beim Grillen, ein vierter steht bis zu den Schultern im Pool und prostet den anderen mit Apfellimonade zu: Sie haben sich die Villa auf Wedel E von „The Palm Jumeirah“ als Ferienhaus gemietet – coronasicher, mit viel Abstand zu anderen.
Unter ihren Füßen war früher mal Meeresgrund, ebenso unter den Liegestühlen und unter dem Wohnzimmer. Unter allem hier. Dann kamen die Schiffe mit den Felsbrocken aus dem Hadschar-Gebirge, mit Abertausenden Tonnen Geröll, das sie versenkten und verdichteten, anschließend die Saugbagger mit dem Sand, den sie aus langen Rüsseln mit gewaltigem Druck auf die Felsen spien.

Fast 20 Jahre ist das her, längst stehen da nun diese Villen, die an Feriengäste vermietet werden. Gut 1500 solcher Häuser sind auf „The Palm Jumeirah“ entstanden, viele davon baugleich. Als besonders beliebt erwies sich die „Villa Mediterranea“, mit gut 350 Quadratmeter Fläche verteilt auf zwei Etagen – und ohne Regenrinnen an den Dachüberständen.
Anfang Juli hat sich Dubai unter Auflagenwieder für Touristen geöffnet. Seitdem ist die Nachfrage nach Ferienvillen, die Artyom Meltonyan, 35, auf „The Palm Jumeirah“ vermietet, rasant gestiegen. „Die Strände auf den kilometerlangen Wedeln sind öffentlich“, erzählt er, „aber diese Öffentlichkeit beschränkt sich auf Anwohner und ihre Besucher.“ Das sind nicht allzu viele – gerade jetzt ist das ein gutes Vertriebsargument. Es gibt mehrere Anbieter, die die 40 bis 50 Ferienhäuser hier an Touristen vermieten; 15 Villen hat Meltonyans Firma Deluxe Holiday Homes im Programm. Artyom Meltonyan vermittelt 150 Objekte in ganz Dubai. „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Nachfrage nach den Villen um 300 Prozent angezogen“, sagt er, „auch aus Deutschland.“
Dabei ist es ruhiger um Dubai geworden, die großen Schlagzeilen fehlen inzwischen. Ein Nachteil ist das nicht. Die Welt hat sich an rekordverdächtige Projekte gewöhnt. Nebenan in Abu Dhabi planen sie ein Megamuseum nach dem anderen, in Katar haben sie sich eine komplette „Altstadt“ am Reißbrett entworfen und gebaut, dazu kommen neue Stadien für die Fußball-WM in zwei Jahren. Und im fernen Vietnam hat gerade ein Gold-Hotel eröffnet. Eine Tonne des Edelmetalls soll hier für das Dekor verbaut worden sein.
Metro-Netz statt neue Rekorde
Dubai braucht solche PR nicht mehr so sehr wie früher. Die Hauptstadt des gleichnamigen Emirats hat sich auf der touristischen Landkarte etabliert. Noch etwas spielt eine Rolle: Eitelkeit kostet, und Geld ist knapper geworden. Dubai hat es in den vergangenen Jahren lieber für dringend erforderliche Infrastruktur ausgegeben und ein U-Bahn-Netz mit zwei Linien und knapp 50 Stationen geschaffen, um die Straßen zu entlasten. Bis zur „Expo 2020“ sollen sieben weitere Stationen hinzukommen.
Ohnehin soll die Weltausstellung mit den Pavillons der Nationen und aufwendigen Installationen der nächste größere Wurf werden. Ein neues Stadtviertel entsteht dafür, das später einmal Wohnraum für rund 30.000 Menschen bieten soll. Die Eröffnung war für Oktober 2020 geplant. Wegen Corona wurde die Expo um ein Jahr verschoben, sie soll nun vom 1.Oktober 2021 bis 31.März 2022 stattfinden.
Die Baufirmen profitieren von dem Zeitgewinn, der ihnen auch bei The World zugute kommt: Vier Kilometer vor der Küste sind künstliche Inseln entstanden, die aus der Luft betrachtet wie eine Weltkarte aussehen. Eine Insel mit Beach Club ist öffentlich zugänglich, auf einer anderen besitzt die Herrscherfamilie eine private Villa, auf weiteren Inseln wachsen erste Hotels aus dem Sand. Ursprünglich sollte auf The World schon seit Langem das Leben brummen, mit Restaurants, Shoppingcentern, Villen. Doch das Projekt geriet ins Stocken. Dafür kamen Schildkröten und seltene Vogelarten, darunter Fischreiher, Fischadler und Sokotrakormorane.

„Wir versuchen inzwischen, alle Interessen unter einen Hut zu bringen und Tiere, wenn nötig, mit größter Vorsicht umzusiedeln“, sagt Brendan Jack, 58. „Der Blick auf die Dinge hat sich verändert.“ Beim Baukonzern Nakheel war der Australier jahrelang für alle Umweltfragen zuständig. Inzwischen ist Brendan Jack nach Saudi-Arabien weitergezogen, wo er wieder für ein Großprojekt arbeitet. Heute ist jeglicher Fischfang auf The World verboten. Aus Naturschutzgründen.

Als Mastermind hinter dem Dubai-Boom der vergangenen Jahre gilt Scheich Muhammad Bin Raschid Al Maktum– flankiert von zahlreichen Beratern. Sein Vater Raschid hatte den Anfang gemacht, bis der Kronprinz den Thron 2006 bestieg. Seitdem hat der Herrscher des Emirats bei allen Großprojekten das letzte Wort. Und die Deutungshoheit über alle Visionen.
Kritiker werfen Dubai vor, künstlich zu sein, eine Art riesiges Disneyland zwischen Strand und Wüste. Das trifft in vielerlei Hinsicht zu, scheint aber auch zwangsläufig bei einer Stadt, die so schnell gewachsen ist wie Dubai. Die Metropole ist an vielen Stellen schräg, farbenfroh, verspielt – ein Schmelztiegel, auch widersprüchlich, unvollständig, so bunt zusammengesetzt, als wäre ein Zufallsgenerator am Werk gewesen: die Baustile, die Musik, das Essen, die Gerüche, die Kleidung der Menschen, die Läden in den Einkaufszentren.
Es ist gerade dieses kulturelle Durcheinander, das Dubai so interessant macht. Rund 85 Prozent der Menschen sind Gastarbeiter, dazu kommen Urlauber und Geschäftsreisende. Das entfacht eine Dynamik, die mitreißt. Und über allem liegt der lautsprecherverstärkte Ruf des Muezzins von den Minaretten.

Abseits des Trubels
Nur auf „The Palm Jumeirah“ ist davon nach wie vor wenig zu spüren. In den zweispurigen Wohnstraßen parken Luxusautos vor den Häusern, in einem Vorgarten schneidet jemand die Hecke, während Kinder Fangen spielen. Auf der blitzsauberen Fahrbahn kicken zwei Jungs einen Fußball hin und her. Zweispurig sind die Anwohnerstraßen auf den einzelnen Wedeln, nicht zwölfspurig wie im Zentrum. Sie führen hinein in die Wohngebiete, die Sicherheitsleute an einer Zufahrtsschranke bewachen – Durchfahrt nur für registrierte Anwohner. Und für den Pizza-Lieferdienst.
Ein Mann läuft derweil zum dritten Mal den Privatstrand mit einem Labrador an der Leine entlang, lässt den Hund mit den Pfoten durchs 30 Grad warme Wasser tapsen. Weiter draußen hockt jemand in einem Ruderboot, Motoren sind hier verboten. Nach einem lauten Tag in der Stadt wird die Terrasse der Ferienvilla zum Rückzugsort. Und die blinkende Fassade des Burj al-Arab liefert die Verortung.
Neben vielen Ausländern wohnen auch Emiratis auf „The Palm Jumeirah“. Das Licht in ihren Häusern geht erst spätabends an. Meist sind sie lange zum Essen in der Stadt oder in einem der Restaurants der Luxushotels auf dem äußeren Ring der aufgeschütteten Palme. Viele nutzen die Villa nur zum Schlafen und für den Vormittag.

Das Meer interessiert die Einheimischen traditionell wenig. Am Wochenende fahren sie lieber mit Speisen, Picknickdecken oder aufgerollten Teppichen im Gepäck in die Wüste. Mit dem Geländewagen biegen sie links oder rechts von der Straße ab, rumpeln über Sandhänge und Halfagrasbüschel und machen es sich in der Abenddämmerung gemütlich – im Rücken die Straße und die Weltstadt-Skyline mit all den Rekorden, die ihnen in diesen Stunden egal ist. Der Sand hat sie wieder.
Es ist das Wohnzimmer der Väter, hier spielen ihre Märchen, hier fühlen sich die Einheimischen geerdet. Allen einstigen und künftigen Projekten zum Trotz.
Tipps Unterkünfte, Restaurants, Sehenswertes in Dubai:

Übernachten
Deluxe Holiday Homes: 15 Villen auf The Palm Jumeirah vermietet diese Agentur, dazu rund 135 Apartments in ganz Dubai. Villa mit drei Schlafzimmern ab ca. 450 Euro/Nacht. Al Barsha 1, 209 Deyaar Building, Tel. +971/4/3920202, www.deluxehomes.ae
Taj Jumeirah Lakes Towers: Der Wolkenkratzer hat Pano- ramafenster und Zimmer zum Schnäppchenpreis. DZ/F ab ca. 80 Euro. Jumeirah Lakes Towers, Al Thanyah, DMCC Plo No. 2–27, Tel. +971/4/5741111, www.tajhotels.com
Kempinski Mall of the Emirates: Das Hotel geht in ein Einkaufszentrum und in die Wintersporthalle „Ski Dubai“ über. DZ/F ab ca. 160 Euro. Dubai, Al Barsha, Sheikh Zayed Road, Tel. +971/4/3410000, www.kempinski.com
Essen und trinken
Al Fanar: Das arabische Restaurant in der Dubai Festival City Mall gehört zu einer Kette. Gute Fischgerichte, authentische Küche. Tel. +971/4/ 2329966, www.alfanarrestaurant.com
Al Muntaha: In dem Edelrestaurant werden erstklassige Speisen serviert, dazu genießen Gäste den Blick aus rund 200 Meter Höhe. Französische Küche von Drei-Sterne-Koch Francky Semblat. Burj al Arab, Tel. +971/4/3017600, www.jumeirah.com
Erleben
Wild Wadi: Wasserpark mit zahlreichen Rutschen. Im Viertel Umm Suqeim, direkt neben dem Jumeirah Beach Hotel. www.wildwadi.com
Wüstensafari: Am schönsten sind Morgentouren, wenn es noch etwas kühler ist, und Sternengucker-Safaris am Abend. In Gruppen oder individuell. www.tour-dubai. com und www.arabian-adventures.com
The Island: Der Beach Club liegt auf der einzigen öffentlich zugänglichen Insel von The World. Tickets schließen den Bootstransfer mit ein. www.theisland.ae