Bei klarem Wetter ist die wolkenkitzelnde Nadel bereits aus 50 Kilometern Entfernung zu sehen. Als Dubais Wahrzeichen hat der riesige Burj Khalifa nicht nur das Burj al Arab, das Luxushotel in Form eines aufgeblähten Segels, abgelöst. Die jetzt zehn Jahre alte Ausgeburt des Höhenrausches am Golf markiert auch das neue Zentrum von Dubai - von allen Seiten weithin sichtbar.
Konsum als Fundament
Mit der Inbetriebnahme des welthöchsten Gebäudes hat sich das Zentrum Dubais nach Süden verlagert. Zwar gibt es noch immer die traditionellen Basare und den Goldsouk im Stadtteil Deira, aber eine weitere klimatisierte Shopping- und Erlebniswelt liegt auch zu Füßen des großen Turms. Gleich neben dem Burj Khalifa erstreckt sich die Dubai Mall mit ihren 1200 Geschäften. Die Abmessungen sind dermaßen großspurig bemessen, dass sich verschleierte Frauen aus Saudi-Arabien innerhalb des Einkaufszentrums mit Golfkarts zu den Markenshops französischer Edeldesigner chauffieren lassen.
Vor den Toren des Kommerzbunkers ist ein neuer Stadtteil mit dem sinnigen Namen "Old Town" die Attraktion, ein Areal mit künstlichen Wasserbecken, Fontänen und Musikberieselung, dem jeden Abend Tausende von Zuschauern beiwohnen. Hier wird flaniert und konsumiert, als ob Dubai nie eine dramatische Finanzkrise erlebt hat.
Von Null auf 124 in 60 Sekunden
Unterirdisch sind die Dubai Mall und der Burj Khalifa miteinander verbunden. Doch wer hoch hinaus will, sollte sich früh anmelden. Der Ansturm der Touristen auf den Turm ist groß. Das Ticket für einen Besuch des Burj Khalifa muss im Internet vorab bestellt werden und kostet ab 149 Dirham, umgerechnet 36 Euro für den 124./125. Stock. Das zur zweiten und höheren Aussichtsplattform auf Etage 148 gibt es mindestens 370 Dirham, umgerechnet 90 Euro (Stand: Januar 2020).
Fahrstuhlführer Hassan trägt einen eng taillierten schwarzen Anzug und drückt den Knopf. Die Türen schließen sich, Musik erklingt, und an den verspiegelten Wänden setzen sich kleine leuchtende Liliensymbole in Bewegung, die einem die Illusion vermitteln, man bewege sich ganz langsam aufwärts. Tatsächlich rast der Förderkorb mit einer Geschwindigkeit von 10 Metern pro Sekunde in die Höhe.
Die arabischen Klänge übertönen jegliches Windgeräusch, in den Ohren knackt es nur zweimal kurz. Ein Display zeigt die Zahlen der Stockwerke an. Ab 110 verlangsamt sich das Hochzählen. Schon nach einer Minute öffnet sich die Tür in der 124. Etage, ohne dass der Körper das Abbremsen der Vertikalbewegung wahrgenommen hat. "Welcome at the top", sagt Hassan.
Heiße Luft in 442 Metern Höhe
Milchiges Sonnenlicht blendet die Besucher. Alle strömen zur Drehtür, die sie ins Freie schleust. Die 360-Grad-Besucherplattform teilt sich auf in einen vollklimatisierten Bereich in Richtung Westen mit Blick auf das Meer und in die windgeschützte Ostseite des Burj. Draußen fühlt man sich wie im Brennpunkt eines Hohlspiegels, denn die Glasfassade reflektiert Hitze und Helligkeit.
Mit 442 Metern übertrifft der Aussichtspunkt sogar die Terrasse auf dem Dach des ehemaligen World Trade Center (415 Meter) in New York - nur dass beim Burj Khalifa in der 124. Etage noch längst nicht Schluss ist. Über 200 Stockwerke hat diese vertikale Stadt.
Wer nicht in die Tiefe auf die Dächer der benachbarten Hochhäuser hinabblickt, sondern nach oben schaut, steht vor einer silbern schillernden Fassade, die weiter gen Himmel ragt. Von der Terrasse "At the Top" schießt der Burj Khalifa noch einmal 346 Meter mit weiteren Büroräumen und Appartements in die Höhe.
Obwohl die Aufenthaltsdauer mit der Eintrittskarte auf der Aussichtsetage des Burj Khalifa nicht begrenzt ist, hält es vor Hitze niemand lange auf der Terrasse aus. Sonnenbrillen und Handys werden für die obligatorischen Selfies gezückt. Dann geht es zurück in die heruntergekühlte Welt hinter Aluminium und Glas.
Der hohle Schuldenturm
Im Gegensatz zum Kommen und Gehen in der Lobby des Armani Hotels zu ebener Erde herrscht beim Empfang der Corporate Suites, dem Eingang zu den Büros im Burj Khalifa, beängstigende Ruhe. Nur die regelmäßigen Bewegungen eines Inders mit seinem Wischmop auf dem glänzenden Fußboden sorgen für eine Belebung.
Dass der Höhenflug des Emirates mit der Finanzkrise beendet war, verdeutlicht kein Datum besser als der 4. Januar 2010: An jenem Tag wurde das höchste Gebäude der Welt nicht nur eingeweiht, sondern auch umbenannt. Jahrelang war der Rekordbau als Burj Dubai geplant. Dann aber wurde der Schuldenturm in Burj Khalifa umbenannt - eine Referenz an Scheich Khalifa bin Zayid Al Nahyan aus dem reichen Nachbaremirat Abu Dhabi, der Dubai mit Milliardenbeträgen ausgeholfen hatte.
Die Zeiten, in denen Spekulanten das schnelle Geld am Golf machen wollten, indem sie noch nicht vollendete Bauten gleich mit Gewinn weiterverkauften, sind längst vorbei. Auch dafür ist der Burj Khalifa ein Beleg. Das häufig als "Übermorgenland" betitelte Dubai ist in der Gegenwart angekommen - in der Realität.

Die Auslastung der Hotels in Dubai stagniert und lag im Mai 2019 bei 77 Prozent. Noch vor der im Oktober 2020 in Dubai beginnenden Weltausstellung 2020 (EXPO 2020) werden nach Angaben des Immobiliendienstleisters Jones Lang LaSalle (JLL) 24.000 zusätzliche Hotelzimmer auf den Markt kommen. Statt Petrodollars durch den Ölexport zu verdienen, sind Handel und Tourismus zu den wichtigsten Einnahmequellen des Emirats geworden.
Der Superlativ als höchstes Gebäude der Welt wird für den Burj Khalifa nicht ewig gelten. Der Dubai Creek Tower, ein Entwurf des spanischen Architekten Santiago Calatrava, soll noch einmal 100 Meter höher und bis zur Expo 2020 fertiggestellt werden. Und in Dschidda in Saudi-Arabien wurde bereits der Grundstein für den Kingdom Tower gelegt, der einmal 1007 Meter hoch in den Himmel ragen soll.
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