Kapstadt Am Wasser gebaut

Dauerbrenner Kapstadt - die Zeit der Urlaubsschnäppchen ist zwar vorüber, aber die europäischste Stadt Afrikas ist einfach viel zu spannend und viel zu entspannt, als dass Lustreisende ihr widerstehen könnten.

Touristen sind Lebewesen im Ausnahmezustand. Mit gebremster Grundgeschwindigkeit, oft auch zerebral verlangsamt, bewegen sie sich in ihrem Urlaubsbiotop wie durch Sirup. Sie leuchten vor Gemütlichkeitsbedarf und wollen den Kleinkram zu Hause für ein paar Tage verdrängen.

Kapstadt, so hämen die Bewohner der geschäftigen Metropole Johannesburg, sei die Mutterstadt Südafrikas: Alles dauere dort neun Monate. Wer ernsthaft Geld verdienen und flott vorankommen wolle im Leben, sei gut beraten, "Schlappstadt" zu meiden. Der gute Wein, die konkurrenzlose Landschaft, das Meer mit den 40 Stränden in greifbarer Nähe, dazu die Sonne hätten die Gehirne der Einwohner erweicht und das Etepetete zur herrschenden Lebensphilosophie erhoben. Außerdem verdrängten die sonnenverwöhnten Leute vom Kap, dass hinter ihrem Tafelberg zwei Millionen Menschen in Häusern aus Holz, Blech und Plastikplanen wohnen.

In der Regel lässt sich der Kapstädter - sofern er vor dem Tafelberg wohnt - in diesen Angelegenheiten vom Johannesburger Besserwisser keine Diskussion aufzwingen. Widerspruch ist insgesamt doch sehr anstrengend. Kann man sich also eine bessere Paarung vorstellen als den erholungswilligen Touristen und den gut durcherholten Kapstädter?

Vom Signal Hill aus, einem Berg mitten in der Stadt, blickt man wie ein Adler über den Hafen, den Atlantik, die frisch gemähten Rasenflächen, die weißen Villen, die weiten Strände, den Wohlstand und auf das dramatische Panorama, für das die Natur ihr Allerbestes aufgeboten hat. Mittags Punkt zwölf feuert hier oben Chief Petty Officer Dudley Malgas eine Kanone ab. Der Knall breitet sich in der ganzen Stadt aus, woraufhin die Einheimischen automatisch auf ihre Armbanduhren schauen. Bei vielen löst der Rumms um die Mittagszeit noch einen anderen Reflex aus, den Pawlowschen: vermehrter Speichelfluss wegen nahender Mahlzeit (sage noch einer, die Capetonians hätten den Schuss nicht gehört). Nur am Sonntag schweigt die Kanone.

Jetzt aber, an diesem warmen Februarabend, gut eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, ist der Donner des Tages verraucht. Wie jeden Abend haben sich auf der Kuppe von Signal Hill einige hundert Einheimische und Touristen versammelt, um den Tag anständig zu Bett zu bringen. Pärchen, Familien und Cliquen lagern auf Wolldecken und Plastikplanen, es gibt Wein, Bier, Sekt und Imbisse aus Plastikdosen. Bis die Sonne spektakulär hinterm Horizont verschwindet, wird geküsst, fotografiert, gegessen, telefoniert und in die Luft geguckt.

Ein deutsches Pärchen, frisch eingeflogen und noch ganz unter dem Eindruck der heimischen Renten- und Vogelgrippediskussion, zaubert einen Müsliriegel aus dem Rucksack, ein sehr ausgelassener Männerverein aus Russland trinkt klare Flüssigkeit aus Wassergläsern, ein amerikanisches Ehepaar klärt zwei griechische Frauen über die Schädlichkeit des Rauchens auf, und eine südafrikanische Volleyballmannschaft grillt mächtige Fleischlappen, dass allen die Augen tränen. Jeder feilt ein bisschen am eigenen Klischee, aber über allem schwebt doch ein Gefühl von "We are family".

Die perfekte Welt oben auf dem Berg gerät kurz aus dem Takt, als 30 Sekunden vor Sonnenuntergang ein Reisebus mit quietschenden Bremsen hält und sich eine Ladung Chinesen auf den Hügel ergießt. Sie digitalisieren kurz die untergehende Sonne, rotzen hier und da auf den Rasen und verschwinden wieder im Bus. Zack, sind sie weg, nächster Punkt. "Wenn die Chinesen so hart arbeiten, wie sie Urlaub machen, können wir alle einpacken", sagt der Amerikaner.

Kapstadt ist in der Reisebranche das afrikanische Mallorca - mit einem Extravorteil: der Zeitverschiebung um ein halbes Jahr. Fliegt man im Winter bei uns ab, kommt man im Sommer an. Vier Millionen Besucher hatte die Stadt im vergangenen Jahr, die Zuwachsrate ist zweistellig. Wer ohne Vorausbuchung in der Hauptsaison von Oktober bis März einfliegt, kann gleich in seinem Koffer übernachten. Und auch mit den Schnäppchenpreisen der vorletzten Saison ist es vorbei - Kapstadt hat seinen Wert erkannt und kassiert auf europäischem Niveau. Mit Touristen verdient Südafrika heute mehr als an seinen Goldvorkommen.

Immer wieder verschluckt sich der zu klein gewordene Flughafen am Massenansturm. Auf der Fahrt in die Stadt kriegen die Touristen erst mal eins auf den Deckel: Links und rechts der Autobahn N2 säumen kilometerweit ärmliche Hüttenkonstruktionen den Weg. Der flüchtige Anblick der hässlichen Seite der Stadt löst Unbehagen aus. Soll man das verdrängen? Soll man spenden? Soll man sich das vielleicht mal selbst anschauen? Aber kaum ist der Touri in der Stadt, fädelt er sich nahtlos ins herrschende Etepetete ein. Afrika light eben. Immerhin, manche buchen dann doch eine Township-Tour auf die Rückseite des Tafelberges.

Wer je in Sydney, San Francisco oder Chicago war, kennt die entschleunigende Wirkung von Stränden auf das Lebenstempo einer Metropole. Nicht anders in Kapstadt: Unter den eng gepackten Villen und Bungalows am Steilhang des Stadtteils Clifton hat das Meer vier kleine Strände in die Felsen gearbeitet, unkompliziert First, Second, Third und Fourth Beach genannt. Gewaltige Granitfelsen schützen die Strände vor Wind - man kann sich deshalb hier in kürzester Zeit das Gehirn wegbrennen lassen. Die Sandstreifen sind Laufstege hyperschlanker Models und körperbewusster Schwuler, hier verbrutzeln Angestellte in der Mittagspause und braten Mütter, die zu Hause von Putzfrauen und Nannys aus den Townships entlastet werden. Hier pausieren auch die Wendys und Mandys und Marlenes, jene flotten Ladys der Immobilienagenturen, die wie im Goldrausch Apartments mit Meerblick in Sea Point, Villen mit Overflow-Pools in Llandudno und Designer-Lofts in der City Bowl vor allem an Ausländer verkaufen.

Ruhiger und familienfreundlicher, dafür windiger, ist der Strand von Camps Bay. Zehn Jungen, Teenager aus dem Township Khayelitsha, kommen an vielen Sonntagen hierher, um Geld zu verdienen. In Blaumännern und Gummistiefeln tanzen sie den "Gumboot Dance", einen traditionellen Tanz der schwarzen Minenarbeiter, bei dem sie rhythmisch mit den Stiefeln aufstampfen und schuhplattlerartig die Hände gegen das Gummi schlagen. Dass sie auf der Straße tanzen und den Verkehr bei jedem Auftritt für eine gute Minute aufhalten, erhöht die Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft. Nkosi, 15 Jahre alt, ertanzt an manchen Sonntagen 150 Rand, etwa 20 Euro, die er bei seiner Mutter abliefert.

Am Wochenende zeigt sich am Strand von Camps Bay endlich die "Rainbow Nation", die Regenbogen-Nation, die Südafrika so gerne sein möchte: Afrikanische und indische Familien, mohammedanische Clans, griechische und russische Einwandererfamilien, weiße Surfer-Yuppies und pralle Bikinischönheiten formieren sich zum interkulturellen und klassenübergreifenden Easy Going.

Am 19. Februar 2006 wurde Kapstadt vorübergehend aus seiner süßen Lethargie geweckt: In der ganzen Region fiel der Strom aus, einen ganzen Tag lang erreichte kein Watt mehr die Metropole. Nutzlos pendelten die Ampeln über den Kreuzungen, die Seilbahn zum Tafelberg stellte den Verkehr ein, in den Sushi-Restaurants blieben die Förderbänder stehen, auf den Weinfarmen setzten die Kühlaggregate aus - trouble in paradise. Afrika, scherzte man in Johannesburg, sei nun wohl auch in Kapstadt angekommen.

Bis heute hat niemand die Stromversorgung im Griff, immer wieder kommt es zu Blackouts. Am 25. März verstummten bei einem Konzert der US-Heavy-Metal-Band Metallica zehn Minuten nach dem Auftakt plötzlich Gitarren und Verstärker. Die Zuschauer skandierten empört den Namen der staatlichen Stromgesellschaft Eskom. Knapp zwei Wochen zuvor hatten sie im Zuge der Kommunalwahl aus lauter Ärger das alte Stadtparlament abgewählt, jetzt liegen die Hoffnungen auf der neuen Bürgermeisterin Helen Zille - übrigens eine Enkelin des deutschen Malers Heinrich Zille.

Erst mal ist wieder alles easy. Die Sonne scheint, und mittags ruft die Kanone zum Lunch. Johannesburg ist weit weg. Gehen wir an den Strand?

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