Prognosen sind nach einem Mark Twain zugeschriebenen Bonmot etwas schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Ich wage trotzdem mal eine. Nein, Mallorca, du musst nicht befürchten, dass deine Bewohner bald massenhaft auf dem Arbeitsamt herumhängen, weil die Deutschen vor lauter Klimaängsten nicht mehr kommen. Nein, Braunlage im Harz, du kannst dir das abschminken mit der touristischen Riesenwelle, die über dich hereinschwappen werde, weil umweltbewusste Bürger ab sofort nur noch im eigenen Land urlauben.
Ja, Dominikanische Republik, auch künftig kannst du damit rechnen, dass sich die Alemanes in großer Stückzahl an deinen wunderbaren Stränden grillen lassen. Sorry, Helgoland, es werden weiterhin hauptsächlich Saufköppe und Allergiker sein, die dich heimsuchen, nicht Touris, die sich klimaschützenderweise von der Ägäis abgewandt haben. Kurz, wenn im nächsten Jahr die Endabrechnung für das Reisejahr 2007 steht, wird das Geschäft mit Auslandsreisen nicht die kleinste Delle aufweisen, im Gegenteil. Wetten dass?
Keine Angst vor großen Reisen
Entsprechend ist die Stimmung auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin, die gestern begonnen hat. Da ziehen Horden von Journalisten durch die Hallen und betreiben Agenda-Setting: Wie wird die aktuelle Klimadebatte die Branche durcheinander wirbeln? Was tun Veranstalter und Airlines, um die Welt zu retten? Deren Sprecher legen Dackelfalten auf die Stirn und geben sich schwer sensibel. Schließlich will keiner als Umweltfrevler dastehen. Doch sobald die Kameras abgeschaltet und die Stifte eingesteckt sind, ist die Laune so, wie sie auf der ITB immer ist: blendend.
Kaum jemand befürchtet ernstlich, die deutschen Reiseweltmeister blieben künftig geschlossen im eigenen Land, weil sie sich schämten, ein CO2-emittierendes Aeroplan zu betreten. Touristiker sind Realisten. Sie wissen: was die Menschen bei Straßenumfragen so an Absichtserklärungen von sich geben, hat mit ihrem konkreten Buchungsverhalten nichts zu tun. Mallorca, Motor der Branche, ist zwar eines der großen Themen auf dieser ITB. Die Insel wird in der kommenden Saison tatsächlich Federn lassen. Aber nicht wegen der Klimadebatte, oh nein. Sondern, weil die Hoteliers, verwöhnt von der letzten, glänzenden Saison, die Preise teils unziemlich erhöht haben.
Nichts schreckt die Deutschen ab
Zwecklos, den Deutschen das Fern-Reisen vermiesen zu wollen. Schon Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders, hatte das in den sechziger Jahren versucht. Auf sein Gemecker, die Touristen schleppten viel zu viele harte Mark ins Ausland, pfiffen die Bürger fröhlich. Kriege und Krisen, Seuchen und Anschläge konnten sie nicht von ihren Lieblingsplätzen vertreiben; nicht einmal die schlimmste aller Geißel: italienische Kellner. Moralische Daumenschrauben lassen sie kalt, zumal sie wissen: viele arme Länder hängen am Tropf des Tourismus, der größten Industrie der Welt. Und wie, bitte, kommt man nach Sri Lanka, wie in die Domrep, wie nach Kuba? Gewiss, ins kleine, letztes Jahr unabhängig gewordene Montenegro, das ganz auf ein Wiederaufblühen seines einstmals florierenden Fremdenverkehrs setzt, könnte man zur Not auch mit dem Bus fahren. Nach Ägypten, Tunesien oder Kenia nicht. Und was aus Ländern wie diesen ohne Urlauberdevisen würde, mögen grüne Träumer deren Vertreter mal fragen. Die ITB ist dazu ein prima Platz.
Traumreisen und Illusionen
Gar so umweltschädlich fällt die deutsche Reisebilanz - Weltmeister hin oder her - ohnehin nicht aus. Ein Drittel aller Urlaubsreisen findet im eigenen Land statt, und zwar schon seit Jahrzehnten. Viele Familien fahren mit Kind und Kegel nach Österreich, Italien, Frankreich, Holland oder Skandinavien - mit dem Auto, versteht sich, selten mit Bus oder Bahn. Aber eben auch nicht mit dem Flugzeug. Letzteres ist ohnehin nicht der teuflische Klimakiller, als den es eine aufgeregte Journaille neuerdings darstellt. Nur zwischen ein bis drei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes, je nach Rechnung, stammen aus den Triebwerken von Flugzeugen. Und wer glaubt, Bahnfahrten verschlängen keine Energie, bei dem kommt der Strom wahrhaftig aus der Steckdose.
Die Zukunft sieht auch recht entspannt aus. Dafür sorgt die demografische Entwicklung. In den letzten Jahren lassen europäische Kreuzfahrtreedereien ihre Schiffe immer länger im Mittelmeer laufen und kürzen die Karibikpassagen. Grund: das durchweg betagte Schiffspublikum mag nicht mehr so lange Strecken fliegen. Flusskreuzfahrten gehen seit langem wie geschnitten Brot, weil man dazu eine kurze, bequeme Anreise hat. In zwanzig Jahren oder so wird das Potential derer, die zweimal im Jahr Lust auf jetlegträchtige Interkontinentalreisen haben, ganz erheblich geschrumpft sein. Kurz, die kommende Generation der Reisenden spart unvermeidlich Schadstoffe ein. Nicht, weil sie grünen Aposteln Glauben schenkt. Sondern weil ihre alten Knochen nicht mehr so weit reisen mögen.