69-Euro-Vorschlag der Verkehrsbetriebe 9-Euro-Ticket-Nachfolger: Verspielt diese Chance nicht!

Voller Bahnsteig in Stralsund nach dem Beginn des 9-Euro-Tickets
Gefüllter Bahnsteig in Stralsund: Sollte es einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket geben, muss in die Kapazität von Bus und Bahn investiert werden. Das Geld dafür sollte angesichts jährlicher klimaschädlicher Subventionen von 65 Milliarden Euro aufzutreiben ein.
© Stefan Sauer / DPA
Ein 69-Euro-Angebot als Nachfolger für das 9-Euro-Ticket? Der Vorschlag der deutschen Verkehrsunternehmen ist ein Schritt in die richtige Richtung, meint unser Autor. Aber über den Preis wird noch zu reden sein.

Es geht doch. Die Einführung des 9-Euro-Tickets für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Anfang Juni hat offenbar etwas freigesetzt, was jahrelang nicht möglich war. Das Denken außerhalb von (Tarif-)Grenzen.

Einfach einsteigen und losfahren zum niedrigen monatlichen Festpreis – ohne sich zuvor mit Waben, Tarifzonen, Ringen und was sich die deutsche ÖPNV-Kleinstaaterei noch alles hat einfallen lassen, auseinanderzusetzen. Und es funktioniert: Entgegen aller Unkenrufe ist der Bus- und Bahnverkehr in Deutschland nicht vollends im Chaos versunken.

Ein einfaches und günstiges Angebot ist wichtig

Dass nun über einen ebenso unkomplizierten Nachfolger nachgedacht wird, ist nur folgerichtig. Da ist es im ersten Schritt zweitranig, ob die Deutschland-Flatrate monatlich nun 29 Euro, 39 Euro oder – wie jüngst vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vorgeschlagen – 69 Euro kostet. Nach den Berechnungen des VDV entstehen für Bund und Länder Mehrkosten von zwei Milliarden Euro im Jahr. Das sollte drin sein angesichts von rund 65 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen, die der Staat jährlich ausgibt.

Die Signale, die von einem 69-Euro-Ticket ausgehen, sind wichtig: Die Akteurinnen und Akteure haben erkannt, dass auch der Preis eine gewichtige Rolle bei den Mobilitätsentscheidungen der Bevölkerung spielt. Und es ist das Eingeständnis, dass der Tarifdschungel in Deutschland alles andere als kundinnen- und kundenfreundlich ist. Beides wurde in den vergangenen Jahren regelmäßig ignoriert. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt, dass nur die Qualität des Angebots stimmen muss, um Autofahrende zum Umstieg zu bewegen; die Höhe des Fahrpreises und die Tarifstruktur seien zweitrangig.

Dass das Quatsch ist, beweist der Erfolg des 9-Euro-Tickets. Spontane Fahrten, in fremden Städten einfach in die Straßenbahn steigen – das ist alles kein Problem mit der Aktionsfahrkarte. Die Hürden, Bus und Bahn zu nutzen, sinken drastisch. Nicht zuletzt ermöglicht das Angebot auch ärmeren Menschen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Ostsee oder die Alpen müssen auch für sie nicht mehr fast unerreichbare Regionen sein.

113 Euro kostet ein Monatsticket für den ÖPNV nach einer Erhebung des ADAC in Hamburg, dagegen nur 57 Euro in München. Der Durchschnittswert unter den deutschen Städten mit mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt demnach bei 80,60 Euro. Für viele Menschen wäre ein 69-Euro-Ticket also eine deutliche Entlastung – zumal es auch bundesweit gültig sein soll. Günstigere regionale Angebote wie zum Beispiel Einzelfahrscheine sollen dabei bestehen bleiben. 

Grundidee des 9-Euro-Tickets kann Erfolgsgeschichte werden

Bund und Länder wären gut beraten, schon ab dem 1. September ein Nachfolgeangebot am Start zu haben. Der Vorschlag des VDV ist dafür eine Grundlage. Über die Höhe des Preises kann nach einem Praxistest noch gesprochen werden, hier ist noch Luft nach unten, zu gering erscheint die Ersparnis vielerorts, um wirklich signifikant viele neue Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen. Es sollte gelten: je niedriger der Preis, desto besser, insbesondere für ärmere Menschen.

Nur eines sollte parallel nicht vergessen werden: die nötigen Investitionen in Personal, Fahrzeuge, Schienen, Haltestellen und in die Ausweitung des Angebots. Auch dafür sollte Geld da sein (siehe oben). Wenn dann irgendwann die Tarifgrenzen komplett fallen, kann aus der Grundidee des 9-Euro-Tickets eine echte Erfolgsgeschichte werden. Diese Chance sollte nicht verspielt werden, das 69-Euro-Ticket wäre ein Anfang.

Wie ist Ihre Meinung zum 9-Euro-Ticket und dem möglichen Nachfolger? Schreiben Sie uns Ihre Meinung: leseraufruf@stern.de. Einen Teil der Antworten möchten wir veröffentlichen.

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