Es passierte auf einem langen Nachtflug von Seattle nach Amsterdam. Allison Dvaladze döste an Bord des zehnstündigen Fluges von Delta Air Lines vor sich hin, als sie eine fremde Hand in ihrem Schritt spürte: Ihr Sitznachbarn hatte der Geschäftsfrau zwischen die Beine gegriffen.
"Ich war total schockiert, dass so etwas passiert", sagte sie der "Seattle Times". "Ich reise bereits seit Jahren, aber so etwas habe ich noch nie gehört oder darüber nachgedacht." Was Dvaladze zustieß, ist kein Einzelfall. Anfang dieses Jahres wurde nach der Landung eines Jets von Spirit Airlines in Detroit ein 22-jähriger Inder verhaftet, der "seine Finger in ihre Genitalien gesteckt und sie kräftig bewegt" habe. So zitiert eine Lokalzeitung eine Frau, die Strafanzeige stellte. Der Beschuldigte habe sofort aufgehört, nachdem sie aufgewacht sei. Doch das war noch nicht alles: Die Ehefrau des mutmaßlichen Täters habe dabei die ganze Zeit daneben im Sitz am Gang gesessen.
Missbrauch an Bord
"Es ist weit verbreitet. Viele Frauen, in manchen Fällen sind auch Teenager und Jugendliche die Opfer", sagte Mike Adams, ein FBI-Mitarbeiter, der sich jahrelang am Flughafen Seattle-Tacoma International Airport um solche Fälle kümmerte. Es gibt so viele Frauen, die im Schritt oder an ihren Brüsten berührt werden und niemand berichtet darüber."
Nach seiner Beobachtung kommt es zu sexuellen Belästigung an Bord von Flugzeugen vor allem auf späten Abendflügen und bei den sogenannten "red-eyes-flights", Nachtflügen zwischen der West- und Ostküste in Nordamerika. Das Kabinenlicht ist abgedunkelt, die Passagiere dämmern vor sich hin. Viele von ihnen haben Schlafmasken übergezogen und bekommen nichts mit.
Eine Umfrage der Gewerkschaft Association of Flight Attendants (AFACWA) unter 2000 Flugbegleiterinnen ergab, dass jede fünfte Fälle von Belästigungen durch Passagieren mitbekommen hat. Nur in jedem zweiten Fall wurden die Behörden eingeschaltet.
Bonusmeilen als Entschädigung
Als Allison Dvaladze an Bord des Delta-Fluges belästigt wurde, sprang sie auf, lief zum Personal, das jedoch einen hilflosen Eindruck machte. "Was sollen wir tun?", wurde Dvaladze gefragt. Schließlich bekam sie für den Rest ihres Fluges einen Sitzplatz weiter vorne in der Kabine zugewiesen.
Nach ihrer Ankunft schrieb sie der Fluglinie. Nach 30 Tagen erhielt sie von Delta Air Lines eine Antwort mit dem Angebot, ihrem Vielfliegerkonto als Entschädigung 10.000 Bonusmeilen gutzuschreiben. "Sorry, es geht hier nicht um Meilen. Das ist ein Verbrechen", so ihre Reaktion. Schließlich ging es bei diesem Thema nicht "um einen verlorenen Koffer oder einen verpassten Anschlussflug."

In der weiteren Kommunikation mit der Airline stellte sich heraus, dass die Crew ihres Fluges nach Amsterdam den Zwischenfall nicht einmal dokumentiert hatte. Daraufhin startete sie eine Kampagne und rief die Facebook-Seite "Protect airline passengers from sexual assault" ins Leben. Durch diese Initiative haben sich inzwischen weitere Frauen gemeldet, denen Ähnliches widerfahren ist.
Unter den dort geschilderten Übergriffen sind auch mehrere Fälle, in denen Männer Minderjährige begrapscht hatten. Durch Zivilcourage und das Eingreifen der Crews, konnten die Täter überführt und zum Beispiel in Portland und New Jersey zu Haftstrafen verurteilt werden.
Mehr registrierte Übergriffe
"Nicht alle Frauen erstatten sofort eine Anzeige", sagte Adams. "Viele Opfer stehen noch unter Schock." Auch wissen die Flugbegleiter nicht immer, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Sie seien für Vorgänge dieser Art nicht geschult. Und es gibt ein weiteres Problem: die extrem lange Kommunikationskette - das Opfer muss sich an die Flugbegleiter wenden, diese an den Flugkapitän. Dieser informiere das Flight Operation Center der Fluglinie; diese die Flughafenpolizei und dann erst wird das FBI eingeschaltet.
Nach Angaben einer FBI-Sprecherin häufen sich die gemeldeten Fälle: Waren es 2015 noch 40, stiegen die Zahlen auf 57 im Jahr 2016 und 63 im vergangenen Jahr allein in den USA. In Indien haben sexuelle Belästigungen an Bord von Flugzeugen dazu geführt, dass die staatliche Fluglinie Air India im Januar 2017 auf ihren Inlandsflügen als erste Airline weltweit eine Sitzreihe einführte, die ausschließlich für alleinreisende Frauen reserviert ist.
Vorwürfe auch gegen Donald Trump
In den Vereinigten Staaten haben die Senatorin Patty Murray aus Washington und Senator Bob Casey aus Pennsylvania im September 2017 eine Gesetzesinitiative gestartet, die ein Zentralregister für Übergriffe und ein Training der Flugbegleiter obligatorisch vorschreibt, wie man mit den Opfern von sexuellen Übergriffen umgeht. Die Kampagne wird inzwischen von 22 Abgeordneten unterstützt, ausschließlich Mitglieder der Demokratischen Partei.
Ob der Vorschlag bei einer für März geplanten Abstimmung eine Mehrheit findet, bleibt fraglich, zumal auch Donald Trump, als er noch nicht Präsident war, eine Frau belästigt haben soll: Jessica Leeds beschuldigte ihn noch im Wahlkampf, sie während eines Fluges betatscht zu haben, als sie zufällig in der First Class neben ihm gesessen habe. Trump habe sie an die Brüste gefasst und auch versucht, ihr unter den Rock zu greifen. Trump sei "wie eine Krake" gewesen, sagte Leeds. "Seine Hände waren überall."
Tipps gegen sexuelle Übergriffe an Bord
Für alle weiblichen Flugreisenden haben Allison Dvaladze und Mike Adams inzwischen eine Liste mit Empfehlungen ausgearbeitet:
- Obwohl es die meiste Zeit nicht passieren wird, seien sie sich der Möglichkeit bewusst und bleiben sie wachsam.
- Sie können das Risiko minimieren, indem sie einen Gangplatz buchen. Die meisten Übergriffe passieren auf Mittel oder Fensterplätzen.
- Wenn Sie ein unbegleitetes Kind auf Reisen schicken, achten sie darauf, dass es am Gang oder in der Nähe der Flugbegleiter sitzt.
Wenn es passiert:
- Schreien und protestieren Sie, damit andere Sie hören.
- Stehen Sie auf und informieren Sie die Besatzung.
- Bitten Sie die Flugbegleiter, die Piloten zu benachrichtigen und verlangen Sie, dass nach der Landung die Strafverfolgungsbehörden zum Flugzeug kommen.
- Bestehen Sie darauf, dass entweder Sie sich umsetzen oder der mutmaßliche Täter, damit Sie nicht mehr nebeneinander sitzen müssen.
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