Es ist ein bisschen paradox: Einerseits wächst die Formel 1. Die Königsserie des Motorsports hat sich in den vergangenen Jahren neu erfunden. Es gibt mehr Rennen, mehr Zuschauer und mehr Spektakel durch neue Rennorte wie Las Vegas, wo die Formel 1 ab 2023 ein Rennen am Samstagabend veranstalten wird. Andererseits gerät der Motorsport-Weltverband Fia immer stärker in die Kritik, weil das Regelwerk zu einem Dschungel angewachsen ist, den selbst Profis kaum noch durchschauen. Und jetzt kommt der Verstoß von Red Bull, dem aktuellen Weltmeister-Team, gegen die Budgetobergrenze hinzu. Die Formel 1 steckt in einer Krise, obwohl es ihr andererseits sehr gut geht.
Rückblick: Am vergangenen Sonntag führte das komplizierte Regelwerk zu der kuriosen Situation, dass selbst nach Ende des chaotischen Regenrennens im japanischen Suzuka niemand so recht wusste, dass Max Verstappen erneut Weltmeister geworden ist. Alle rechneten damit, dass nicht die volle Punktzahl vergeben wird, weil das Rennen wegen einer langen Unterbrechung nach 28 statt nach den regulären 53 Runden zu Ende war. Ein spezieller Paragraf im Reglement sieht aber vor, dass unter bestimmten Bedingungen doch die volle Punktzahl vergeben wird. Und siehe da, auf einmal herrschte Partystimmung im Lager von Red Bull. Das Team um den niederländischen Ausnahmepiloten hatte den Titel aus dem vergangenen Jahr verteidigt.
In der Formel 1 kocht Gebräu aus Wut und Neid hoch
Es war ein ähnlich kurioser Titel-Gewinn wie 2021. Da hatte der damalige Rennleiter Michael Masi mit einer Entscheidung (das Rennen kurz vor Schluss doch wieder frei zu geben), Verstappen und Red Bull quasi zum Weltmeister gemacht und Mercedes mit Rekordfahrer Lewis Hamilton den sicher geglaubten WM-Titel im letzten Moment entrissen. Masi wurde danach gefeuert, die Mercedes-Anhänger schäumen noch heute vor Wut.
Das muss man wissen, um zu verstehen, welches Gebräu aus Wut, Frust und Neid in der Formel 1 wieder hochkocht. Die Fia steht wegen ihres komplizierten Regelwerks und der WM-Entscheidung 2021 sowieso unter Druck. Und jetzt bahnt sich mit dem Verstoß von Red Bull gegen die Budgetobergrenze die nächste Krise an. Die Saison hat noch vier Rennen, und die Frage, welche Strafen das Team erhält, vergiftet die Atmosphäre weiter.
Das Verfahren, Verstöße gegen die Budgetobergrenze zu ahnden, ist: kompliziert. Sollte Red Bull den Verstoß einräumen, ist die Sache schnell erledigt und es ginge nur noch ums Strafmaß. Sollte sich Red Bull gegen die Vorwürfe wehren, steht ein langes Verfahren vor einem Fia-Gericht an. Das kann dauern.
Spekulationen über Hinterzimmer-Deals
Nach monatelanger Buchprüfung hatte die Fia am Montagabend verkündet, dass Red Bull im Vorjahr das Limit für die Ausgaben überschritten habe. Die Kostengrenze soll für mehr Chancengleichheit sorgen. Es handle sich beim Verstoß um eine "geringfügige" Summe, hieß es bei der Fia. Was aber "geringfügig" ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Laut Reglement sind das weniger als fünf Prozent der erlaubten 145 Millionen Dollar (rund 150 Millionen Euro). Das wären immerhin noch bis zu 7,25 Millionen.
Das Problem: Die Fia hat nicht bekannt gegeben, um welche Summe Red Bull über der Grenze liegt. Das befeuert Spekulationen über Hinterzimmer-Deals. Zudem gibt es Kritiker wie Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, der vorrechnete, dass schon zusätzliche Investitionen von ein bis zwei Millionen Dollar ein Auto um bis zu 0,2 Sekunden pro Runde schneller machen können. Das sei ein entscheidender Vorteil zum Beispiel im Kampf um die Pole Position. Experten wiesen darauf hin, dass kleinere Teams wie Alfa Romeo insgesamt kaum mehr als 2,5 Millionen Dollar pro Saison für die Weiterentwicklung ihrer Rennwagen zur Verfügung haben.
Der Katalog der möglichen Strafen ist weitreichend. Von einer bloßen Verwarnung über den Abzug von WM-Punkten in der Fahrer- oder Teamwertung, einer Sperre oder einer Beschränkung von Entwicklungstests bis hin zu einer Absenkung der Ausgabengrenze für das Team ist alles drin. Dass Verstappen der Titel von 2021 aberkannt wird, ist unwahrscheinlich. Die Fia verwies in ihrer Mitteilung darauf, dass nur ein schwerwiegender Verstoß automatisch zum Abzug von WM-Punkten führe. Das klingt nach einer milden Strafe
Quellen: DPA, "motorsport-total.com", "spox".