Dort, wo sich sonst die Reichen, Schönen und die Verwöhnten der Formel 1 den lärmenden Kreisverkehr angenehm trinken, auf der Dachterrasse über den Boxengaragen des Shanghai International Circuit, stehen diesmal ein paar Frachtcontainer in provokativer Hässlichkeit. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch im Reich des Boomens angekommen sind, der noble Paddock Club leidet trotz aller bestellten Vip-Apparatschiks unter verdächtigem Leerstand. Beim Großen Preis von China, der erstmals im April ausgetragen wird, mögen finanziell gesehen wenig Frühlingsgefühle aufkommen, auch wenn die offiziellen Zuschauerzahlen am Sonntag sicher wieder in den sechsstelligen Bereich hochgerechnet werden.
So richtig angekommen ist die rasende Werbekolonne des Westens im fernen Osten auch im sechsten Jahr nicht. Das richtige Rennen findet ohnehin täglich auf den Straßen des 16-Millionen-Molochs statt. Wozu also noch gefährliche Liebschaften auf der Rennstrecke suchen?
Einigkeit unter den Rennställen ist dahin
Was den Unterhaltungswert angeht, besteht für verschleppte Winterdepressionen in dem gigantischen, ins Sumpfland gesetzten Motodrom keinerlei Grund: Wirtschaftskrise, das bedeutet keinesfalls Sinnkrise. Die Formel 1 berauscht sich vor dem dritten WM-Lauf der Saison einmal mehr am selbstgemixten und hochprozentig verdichteten Cocktail aus Sport, Technik, Intrigen und Skandalen. Die Einigkeit unter den Rennställen ist dahin, seit sich das Feld - mittlerweile vom höchsten Sport-Gericht legalisiert - in zwei Hälften teilt. Getrennt durch Rennwagen mit einfachem Diffusor und solche mit Doppeldeckern am Heck. Die Perversion der Aerodynamik wird von Brawn-Mercedes, Toyota und Williams zum Sturm auf die Spitze benützt. Die sieben Verlierer-Rennställe in der Protest-Weltmeisterschaft müssen jetzt hurtig nachrüsten. Das ist ansatzweise schon geschehen, wie bei Renault. Das wird bald passieren, wie bei McLaren-Mercedes. Das wird zum Europastart kommen, wie bei BMW und Ferrari. Das wird noch dauern, wie bei Red Bull. Die Kluft zu den neuen Branchenführern wird auch mit dem Wunder-Unterboden nicht unbedingt kleiner - was die einen an Kraft und Kapital in die Aufholjagd stecken müssen, können die nutzen, um ihren Vorsprung auszubauen. BMW-Pilot Nick Heidfeld sieht den WM-Zug schon fast abgefahren, mit Lokomotivführer Jenson Button. Jener WM-Spitzenreiter Button fuhr auf dem 5,451 Kilometer Kurs im zweiten freien Training in 1:35,679 Minuten die Bestzeit. Nico Rosberg im Williams-Toyota, ebenfalls mit Doppel-Diffusor unterwegs, kam dem Engländer mit 25 Tausendstelsekunden Rückstand jedoch gefährlich nah. Das erste Training hatte mit Lewis Hamilton noch ein "Silberpfeil" dominiert.
Tonlage ist schärfer geworden
Neben den Auseinandersetzungen auf der Strecke ist aber auch die Tonlage unter den Rivalen der Rennbahn schärfer geworden. Renault-Statthalter Flavio Briatore hält die Nutznießer des Regel-Tricks für einfache "Banditen", und gestikuliert sich seinen Ärger von der Seele. Ferrari hat bei der Berufungsverhandlung gegen die DD-Fraktion seinen Anwalt juristisch unverfänglichere, aber ebenso wenig schmeichelhafte Worte finden lassen. Keiner gönnt keinem was in dieser Branche. Williams-Geschäftsführer Adam Parr wehrt sich offenbar mit der Pauschalannahme, dass in den letzten zehn Jahren kein italienisches Auto regelkonform gewesen sei. Die Rennstall-Gewerkschaft Fota, die so viel Gutes im gemeinsamen Sinn hat, droht im bekannten Kleinkrieg persönlicher Anfeindungen das Große und Ganze aus den Augen zu verlieren. Gut für Automobilverbandspräsident Max Mosley, der in die Solidarität aus Prinzip Keile treiben will, um die eigene Macht zu erhöhen.
Auf einen Hauptdarsteller im Aversions-Theater an der Rennstrecke muss künftig verzichtet werden: McLaren-Boss Ron Dennis, legendär in seiner Selbstdarstellung und der Sturheit, hat endgültig allen Posten im Rennteam abgeschworen. Er darf sich jetzt auf eigenen Namen den Traum von einem Supersportwagen erfüllen - das ist Wegloben im Renntempo. Die Annahme, dass der überhastete Rücktritt des 61-Jährigen durch die Lügenaffäre um Lewis Hamilton und eine mögliche weitere Bestrafung des Teams durch die Fia beschleunigt wurde, wird selbstverständlich bestritten. Bleibt aber trotzdem naheliegend. Auch der weltmeisterliche Ziehsohn Hamilton selbst hatte zuletzt heftige Auseinandersetzungen mit dem "BigMc", bis hin zur Androhung eines Teamwechsels. Partner Mercedes wird sich seinen Ruf ebenfalls nicht ewig beschädigen lassen. Merke: Nicht allein aus Diffusoren bezieht die Formel 1 ihre Spannung, was wäre diese Serie ohne die dazugehörenden Dissonanzen?