Interview mit Mario Theissen "Michael Schumacher fehlt nicht"

Platz 1 in der Formel-1-Konstrukteurs-WM, in Barcelona den ersten Sieg vor Augen: BMW-Sauber-Chef Mario Theissen bläst im exklusiven Interview mit stern.de zum Angriff auf Ferrari und McLaren-Mercedes. Auch zu den Themen neue Regeln, Spionage und Max Mosley vertritt er klare Ansichten.

Herr Theissen: Momentan der 1. Platz in der Konstrukteurs-Wertung, die erste Pole Position in Bahrain, nicht mehr weit entfernt vom ersten Sieg. Überraschend oder das Ergebnis konsequenter Arbeit in den letzten Jahren? Ohne konsequente Arbeit wäre der Erfolg nicht möglich, allerdings sind wir schon überrascht, wie schnell er sich eingestellt hat. Wir haben zwei Schritte auf einmal gemacht, und es ist sicher kurios, dass wir die WM anführen, ohne ein Rennen gewonnen zu haben. Im Moment profitieren wir von einer sehr starken Mannschafts-Leistung, zumal wenn wir an die Präsentation des neuen Wagens zurückdenken: Wir hatten zu Beginn des Jahres ein bewusst aggressives Konzept auf den Weg gebracht, dass nicht sofort funktioniert hat. Wir haben die Lage analysiert, die Fehlerquellen ausgemerzt und sind jetzt auf dem richtigen Weg. Das war sicher eine Phase, in der das Team mehr gelernt hat als in einem gesamten Rennjahr.

Mit Ferrari und McLaren Mercedes mitzuhalten: Reicht das Ihnen noch? Muss das Saisonziel jetzt nicht nach oben korrigiert werden? Wir haben in dieser Saison zwei Ziele: Zum einen unser erstes Rennen zu gewinnen und zum anderen aus dem Zweikampf an der Spitze einen Dreikampf zu machen. Das erste Ziel besteht nach wie vor, das zweite haben wir bereits erreicht. Für uns ist einfach entscheidend, dass wir nicht mehr nur die Nummer 3 im Feld sind, sondern zu den "Top Three" gehören. Das sind die Teams, denen man zutraut, Rennen aus eigener Kraft zu gewinnen. Natürlich spielen immer auch die Tagesform und die jeweilige Strecke eine wichtige Rolle.

Das heißt, in Bahrain hat Ihr Team auch von den Fahrfehlern eines Lewis Hamilton profitiert?

Sicher war McLaren Mercedes dort nicht in optimaler Verfassung, genau so wie Ferrari beim ersten Rennen einen schwachen Tag hatte. Diese Schwächen müssen wir nutzen, zumal Ferrari im Moment sicher noch einen Vorsprung von einigen Zehnteln pro Runde auf uns hat.

Hat Ferrari denn überhaupt schon alles gezeigt? Oder haben die Italiener noch was in der Hinterhand? In Sachen bisheriger Entwicklung hat Ferrari alles gezeigt. Allerdings ist auch klar, dass die größten Teams mit den größten Ressourcen auch während der Saison Fortschritte machen. Genau dieses Entwicklungstempo müssen wir mitgehen.

Die letzten Testfahrten in Barcelona waren für alle Teams extrem wichtig. Welche Komponenten wurden dort getestet? Spielen die Regeländerungen für 2009 (Neue Aerodynamik, Einführung Energierückgewinnungssystem KERS, Anm. d. Red.) jetzt schon eine Rolle?

Auf jeden Fall. Natürlich haben wir in Barcelona intensiv an unserem aktuellen Auto gearbeitet, um bereits in dieser Saison noch schneller zu werden. Auf der anderen Seite mussten wir ordentlich Zeit abzwacken, um das nächstjährige Konzept voranzutreiben. Wir werden nächstes Jahr einen mehrfachen Konzept-Sprung erleben. Wer sich jetzt nicht auf die neuen Regeln einstellt, der wird im nächsten Jahr keine Chance haben.

Also ein Balanceakt zwischen Heute und Morgen… Genau, man muss einfach versuchen, die Ressourcen optimal aufzuteilen.

Werden kommende Saison die Karten völlig neu gemischt?

Ich meine ja. Es kann durchaus sein, dass ein Team die neuen Regeln sofort perfekt umsetzt und so große Verschiebungen im Feld möglich sind.

Das heißt, die momentanen Hinterbänkler fahren auch um Siege mit?

In der Mitte des Feldes kann es tatsächlich große Sprünge geben und die sind nicht nur – wie in diesem Jahr – gradueller Natur.

Halten Sie Ihre beiden Piloten Nick Heidfeld und Robert Kubica denn schon für WM-tauglich? Ist der Leistungsabstand zu Kimi Räikkönen nicht zu groß?

Ich glaube nicht, dass es einen Abstand gibt. Sobald wir die letzten Zehntel aus dem Auto herausgeholt haben, werden beide zeigen, dass sie absolute Top-Piloten sind. Heidfeld ist besonders in den Rennen bärenstark und Kubica hat sich nach einem schwierigen letzten Jahr deutlich gesteigert und hat zu seiner alten Stärke zurückgefunden. Sie werden Rennen gewinnen, sobald das Auto dazu in der Lage ist.

Stichwort Lewis Hamilton: Zeigt er nach der Wahnsinns-Premiere im letzten Jahr jetzt Nerven? Letztlich ist es so: Ein Topfahrer ist der, der auch einmal durch ein Tief gegangen ist. Ich bin sicher, Hamilton wird sein Tief überwinden und umso stärker zurückkehren.

Thema Technik: Wo wird der Weg in der Formel 1 hingehen, auch in punkto Umweltschutz?

Ein spannendes Thema. Das Energierückgewinnungssystem KERS ist für uns besonders wichtig. Hier leisten wir Pionierarbeit für die künftigen Straßenmodelle. Wir haben in der Formel 1 Top-Rahmenbedingungen und kommen so extrem schnell voran. Wir entwickeln äußerst aggressiv und werden diese Technik innerhalb weniger Monate auf ein neues Level heben. Die Kollegen aus der Serienentwicklung klopfen jetzt schon bei uns an, um sich den Zugang zu dieser Technologie so schnell wie möglich zu sichern. Dieses System wird der Formel 1 ein völlig neues Image verschaffen.

Spionage in der Formel 1: Nach dem Skandal im letzten Jahr tauchten vor kurzem wieder Bilder einer geheimen Ferrari-Entwicklung in der Presse auf. Was macht BMW, um derartige interne Informationslöcher zu vermeiden? Mitarbeiter, die mit einem Sack voll Daten zu uns wechseln wollen, sind für uns kein Thema. Zum einen interessiert uns nur Wissen, dass sich im Kopf vermehrt und nicht nur auf dem Papier besteht, zum anderen würden solche Mitarbeiter wohl auch mit BMW-Daten zur Konkurrenz gehen.

Geheime BMW-Infos für die Presse sind ausgeschlossen?

Auch hier gibt es Geheimhaltungsvereinbarungen. Mir ist nicht bekannt, dass in den vergangenen Jahren bei uns etwas vorgefallen wäre. Aber gegen kriminelle Energie kann man sich nie zu einhundert Prozent absichern.

Im Zuge der letztjährigen Spionage-Affäre musste McLaren 100 Millionen Dollar Strafe zahlen. Für einen Normalbürger ein unglaublicher Betrag. Ist das für ein Formel-1-Team überhaupt eine Dimension, die wirklich weh tut?

Das war eine absolute Rekordstrafe in der Sport-Geschichte. Das tut richtig weh, zumal dieses Geld für die nächste Saison fest eingeplant war. Allerdings sind 100 Millionen weniger als der Budget-Unterschied zwischen dem größtem und kleinstem Team der Formel 1. Das relativiert die Summe.

Sie dozieren nebenbei an der Universität. Rekrutieren Sie Mitarbeiter auch von dort? In der Tat holen wir uns neue Mitarbeiter gerne von der Uni. Das ist unsere Philosophie, wir wollen junge Leute im Team ausbilden und sie an unser Team gewöhnen. Das war in der harten Phase des Aufbaus nicht immer möglich, aber jetzt sind wir stabil und unser System funktioniert.

Woher kommt eigentlich Ihre Leidenschaft für Technik, Motoren und schnelle Autos?

Mich hat schon als kleines Kind nichts anderes interessiert. Woher das kommt, weiß ich nicht – vielleicht, weil meine Eltern nie ein Auto besessen haben. Mir war von Kind an völlig klar, dass ich beruflich mit Autos zu tun haben werde. Und an dieser Entscheidung habe ich bis heute nie gezweifelt.

Michael Schumacher kann auch nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn nicht vom Motorsport lassen. Fürchten Sie nicht auch, dass Ihnen das Adrenalin irgendwann fehlen wird?

Nein, ich glaube nicht. Ich hoffe sogar, dass mein Adrenalin-Pegel etwas zurückgeht. Ich würde sehr gerne viele andere und ruhigere Dinge tun, für die ich momentan keinerlei Zeit habe.

Wie sähe Ihr Kontrastprogramm zur Formel 1 denn aus? Ganz viel Familie, Sport, aktiv sein in der Natur…

Ein brisantes Thema: Max Mosley und der Sex-Skandal: Wollen Sie diesen Mann jemals wieder an der Strecke sehen? Wäre ein schneller Rücktritt nicht die beste Lösung?

Das ist eine Frage, die sich in erster Linie an ihn richtet –und in zweiter Linie an die FIA (Oberste Automobilbehörde, Anm. d. Red.) mit ihren Gremien und Vereinen. Erst in dritter Linie sind der Motorsport und die Automobilhersteller betroffen. Wir haben uns trotzdem früh und klar zu dem Thema geäußert. Die FIA hat angekündigt, dass sie sich damit auseinander setzen wird, und bis das passiert ist, werden wir keinen weiteren Kommentar abgeben.

Max Mosley zu ersetzen ist doch fast unmöglich…

Wie gesagt, bis die FIA sich geäussert hat, wollen wir weiter nichts sagen.Wir haben uns übrigens nicht als Rennteam, sondern als BMW Group geäußert, und ich möchte jetzt nicht durch ein persönliches Statement eine Tonart reinbringen, die in der offiziellen Stellungnahme nicht drin war.

Fehlt Ihnen und der Formel 1 eigentlich Michael Schumacher? Kein Montoya, kein Villeneuve – da fehlt es doch an Charisma…

Michael Schumacher fehlt der Formel 1 nicht. Sein Karriereende ist ein normaler Prozess. Jetzt kommen die Jungen nach und müssen sich beweisen. Und irgendwann mit zunehmender Erfahrung entwickeln sie auch Charisma. So wie ein Robert Kubica, der durchaus charismatisch ist. Genauso wie auch Nick Heidfeld. Insgesamt ist das gesamte Arbeitsumfeld der Fahrer komplexer geworden, da ist für Spontanität leider auch immer weniger Platz.

Was ist der Grund für die vielen deutschen Fahrer in der Formel 1?

Eine sehr gute Basisarbeit, immerhin kommen vier der aktuellen fünf Fahrer aus der Formel BMW. Diese Serie hat sich beim Nachwuchs längst schon etabliert und fördert natürlich viele junge Piloten – zuerst in Deutschland, jetzt auch international.

Jetzt in Barcelona: Erster Sieg für BMW?

Wir wollen unter den Top Drei dabei sein und den Rückstand auf die Spitze weiter verkürzen. Sobald sich eine Chance bietet, sei aus eigener Kraft oder weil einer der beiden andern strauchelt wollen wir zuschlagen und unser erstes Rennen gewinnen.

Interview: Jens Fischer

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