Heimspiel, was soll das für ein Vorteil sein? Für Nick Heidfeld aus Mönchengladbach gilt er ebenso wie für Robert Kubica aus Krakau. 17 von 22 Formel-1-Piloten können den vermeintlichen Bonus an diesem Wochenende auf dem Nürburgring geltend machen - geht es am Sonntag doch um den Großen Preis von Europa. Nicht nur, dass zum ersten Mal seit 1995 nur ein einziges Formel-1-Rennen auf deutschem Boden stattfindet, erstmals seit 47 Jahren wird auch nicht um den Titel "Großer Preis von Deutschland" gefahren. Ausgerechnet jetzt, wo in der Formel 1 beinahe mehr einheimische Piloten an den Start gehen als im Deutschen Tourenwagen-Masters.
Nachträglich europäisiert
Dass entfallene Prädikat hat wenig damit zu tun, dass im deutschen Motorsport im Jahr eins nach Schumi tabula rasa gemacht werden sollte. Einmal mehr liegt es an der allgemeinen germanischen Funktionärskrankheit. Die Rechte für den Titel "Großer Preis von Deutschland" liegen beim Automobilklub AvD, der traditionell das Rennen in Deutschland ausrichtet. Veranstalter auf dem Nürburgring ist der ADAC. Die beiden Verbände haben sich zwar aus Angst vor einem finanziellen Minus auf nur einen Grand Prix pro Jahr geeinigt, den Prestigetitel mit rotieren zu lassen, war bei dieser Absprache nicht inbegriffen. Also musste der Automobilweltverband FIA den Großen Preis von Deutschland, der schon im Kalender stand, wieder streichen und nachträglich europäisieren.
Mützchen zum Schnäppchenpreis
Ganz ohne Schumi geht es natürlich nicht, am Sonntag darf er auf der Rennstrecke das "Schumacher-S" einweihen. Was nur recht und billig ist, schließlich hat er den Veranstaltern jahrelang den Weg mit Geldscheinen gepflastert. Der Welt meister Weltmeister hat rechtzeitig zum Jahrestreffen der Rotkäppchen zur Sprache zurückgefunden, nachdem der Ferrari-Berater bei seinen bisherigen Besuchen an den Rennstrecken schweigsamer war als der Cockpit-Autist Kimi Räikkönen. Die Liebeserklärung via "Bild" endet mit der Erkenntnis, alles richtig gemacht zu haben. Wenn er sich da mal nicht täuscht. An der "Döttinger Höhe" vis a vis dem Nürburgring, wo die Hard-Core-Fans der Formel 1 nachtanken, ist die rote Kappe aus dem Programm genommen worden. Stattdessen liegt dort ein orangenes Mützchen von Adrian Sutil bereit, zum Schnäppchenpreis von 30 Euro. Novize Sutil ist der Deutsche, der in dieser Saison am seltensten ins Ziel kam.
PS-Disney für 150 Millionen Euro
Richtig in Schwung vom Stammfahrerquartett, zu dem zumindest für den Eifel-Einsatz Markus Winkelhock stößt, ist momentan nur BMW-Pilot Nick Heidfeld. Offenbar schreckt selbst der Trotz-Bart, den sich der 30-Jährige als äußeres Zeichen seiner Emanzipation hat stehen lassen, die idollose Renn-Nation nicht groß ab. Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz rechnet optimistisch mit einer Steigerung der Zuschauerzahl von bis zu 15 Prozent auf 130.000 Besucher. Wenn die Menschen mit den "Suche Karten"-Schildern, die schon am Donnerstag vor dem Tor zur Piste lauerten, nicht aus Imagegründen von ihm bezahlt wurden, könnte die Rechnung aufgehen. Um Verluste muss er sich ohnehin keine großen Sorgen machen, das Land Rheinland-Pfalz als Hauptgesellschafter der Ring-GmbH trägt zuverlässig das Minus - zuletzt zehn Millionen Euro. Grund für die vom Rechnungshof durchaus schon monierte Großzügigkeit: Der Steuerzahler habe mehr Einnahmen durch die Formel 1, als er für sie ausgebe. Die Eifel ist eine strukturschwache Region. In Zukunft soll rund um die Strecke ein Erlebnispark aus dem Boden gestampft werden, eine Art PS-Disney für 150 Millionen Euro.
Formel 1 zu Frübucherpreisen
Anders als im Tennis nach dem Abschied von Boris Becker hat die Formel 1 keinen Crash-Test in Sachen Popularität zu befürchten. Schumi war gestern, heute ist Hamilton. Der unglaubliche Aufstieg des ersten farbigen Grand-Prix-Piloten hat die ganze Szene neu belebt, und auch das ganz große Quotenloch verhindert. Der Große Preis von Großbritannien bescherte RTL einen Marktanteil von 43,9 Prozent (6,45 Millionen Zuschauer). Das schlug am vor vergangenen Sonntag sogar "Tatort" und "Rosamunde Pilcher". Auch der spektakuläre Kubica-Unfall und der jüngste Spionage-Skandal haben die Fans bei Laune gehalten. Der europäische Ansatz ist vielleicht doch nicht so falsch. Der Hockenheimring, 2008 offiziell wieder im Programm, lockt vorbeifahrende Autofahrer mit großen Plakaten und einem Preisnachlass von 75 Prozent. Die Formel 1 zu Frühbucherpreisen.