Slapstick ist immer eine großartige Sache. Ob im Film oder im realen Leben – mit einer gelungenen Trottel-Nummer hat man die Lacher auf seiner Seite. Eine fast klassische Aufführung, wenn auch unfreiwillig, ist dem Formel 1-Team von Ferrari am Wochenende widerfahren. Als Carlos Sainz beim Rennen im niederländischen Zandvoort in der 16. Runde zum Boxenstopp kommt, um sich einen frischen Satz Reifen zu holen, haben die Mechaniker nur drei parat. Den vierten haben sie schlichtweg vergessen. Erst nach einem Schreckensmoment kommt ein Mechaniker hektisch aus der Garage gelaufen und wuchtet den Reifen an die richtige Stelle. So dauert der Stopp länger als erwartet, rund 13 Sekunden statt der üblichen knapp drei Sekunden.
Der Zeitverlust, den Ferrari durch die Panne erleidet, ist immens. Zehn Sekunden sind in der Formel 1 eine halbe Ewigkeit. Selbst zu einem frühen Zeitpunkt können einem zehn überflüssige Sekunden das Rennen versauen (Mick Schumacher hat das in Zandvoort auch schmerzlich erfahren). Sainz landete am Ende auf dem achten Rang, losgefahren war er als Dritter. Immerhin schaffte es Teamkollege Charles Leclerc auf den dritten Rang, aber auch der junge Monegasse hatte einen Platz im Vergleich zur Startaufstellung verloren.
Ferrari hat sich auf hanebüchene Art um jede Titelchancen gebrach
Gegen Überfahrer Max Verstappen im Red Bull waren die Ferraris erneut machtlos. Verstappen raste zu seinem zehnten Sieg im 15. Rennen, der WM-Titel ist ihm fast nicht mehr zu nehmen. Er führt mit über hundert Punkten Vorsprung das Klassement an. Dabei war Ferrari zu Beginn der Saison schneller. Leclerc lag in der Fahrerwertung in Front, doch dann ging alles schief. Das Ferrari-Team produzierte Fehler über Fehler, strategisch und handwerklich, so wie beim Boxenstopp in Holland. Ferrari hat sich auf hanebüchene Art um jede Titelchance gebracht.
Beim Grand Prix in Ungarn wechselte das Team beim führenden Leclerc auf harte Reifen, die den Ferrari-Piloten zur leichten Beute für den zurückliegenden Verstappen machten. Eine groteske Fehleinschätzung. Beim Rennen im französischen Le Castellet lag Leclerc erneut in Führung, beging aber einen Fahrfehler und rutschte in die Sicherheitspolster. Es sind nur zwei Beispiele aus einer langen Kette des Versagens in den vergangenen Monaten.
Die Quote ist bei den Italienern so hoch, dass sie im Fahrerlager nur Kopfschütteln ernten. Das älteste und wichtigste Team der Formel 1 ist zur Lachnummer im Fahrerlager geworden.
In diesem Formel-1-Flitzer siegte Michael Schumacher mehrfach – nun ist er ab 6 Millionen Dollar zu haben

Mattia Binotto: Wir haben großartige Leute
Ex-Weltmeister Nico Rosberg war so erstaunt, dass er sich nach dem Rennen in Zandvoort zu einem ätzenden Kommentar hinreißen ließ: "Sogar Formel-2- oder Formel-3-Teams machen einen besseren Job bei ihrer Strategie und ihren Boxenstopps als Ferrari", lästerte er. "An einem bestimmten Punkt muss man anfangen, ein paar grundlegende Änderungen vorzunehmen."
Der angegriffene Ferrari-Teamchef Mattia Binotto antwortete Rosberg direkt: "Wir werden keine Leute auswechseln, das ist eine direkte Antwort auf Rosberg." In der Formel 1 sei schließlich "Stabilität so wichtig. Wir haben großartige Leute im Team, wir sind ein großartiges Team. Daran habe ich keinen Zweifel", wiegelte er ab. Seine Erklärung für den verpatzten Reifenwechsel klang weniger überzeugend: Angeblich sei der Aufruf zum Reifenwechsel spät gekommen, auch weil die Runden so kurz waren. Das hört sich eher verzweifelt an.
Mittlerweile tauchten die ersten Gerüchte auf, dass Jean Todt in die Verantwortung zurückkehrt und Binotto ersetzt. Todt ist 76 Jahre alt, prägte als Teamchef mit Michael Schumacher die große und titelreiche Zeit und war zwischendurch Präsident des Motorsport-Weltverbandes Fia. Ob Todt die vielfältigen Probleme der Scuderia löst, steht auf einem anderen Blatt.
Meist stehen sich die Italiener selbst im Weg
Die aktuelle Krise schmerzt besonders, weil Ferrari in der aktuellen Saison das erste Mal seit 2007 eine reale Chance auf den Titel zu haben schien. Im Grunde ist Ferrari seit dem letzten WM-Titel von Michael Schumacher 2004 nie mehr wirklich dominant aufgetreten. 2007 gewannen die Italiener mit Kimi Räikkönen das letzte Mal den WM-Titel, allerdings mit viel Glück: Fernando Alonso und ein blutjunger Lewis Hamilton neutralisierten sich bei Mercedes-McLaren in einem giftigen Konkurrenzkampf.
Meist standen sich die Italiener in der Folge selbst im Weg. Spitzenfahrer wie Alonso oder Sebastian Vettel scheiterten später in ihrer Zeit bei der Scuderia regelmäßig an Eitelkeiten, Nachlässigkeiten und dem speziellen Ferrari-Geist. Vettel produzierte am Ende seines Ferrari-Engagements zahlreiche Fehler, auch weil er den Rückhalt im Team verloren hatte. Nur einmal fuhren die Roten in den vergangenen Jahren vorne weg. Da stellte sich aber heraus, dass der Speed-Zuwachs einer verbotenen, technischen Manipulation zu verdanken war.
Unter Binotto machte Ferrari wieder große Fortschritte. Die jüngste Technik-Revolution meisterten sie besser als Mercedes, die ihre Dominanz einbüßten. Doch was blieb, war der Hang zu Fehlern. Ferrari wollte in dieser Saison nach dem Titel greifen, was zu Beginn realistisch erschien. Mittlerweile ist das nur noch Wunschdenken. Jetzt steht in der Krise das Heimrennen in Monza an. Versagt das Team dort ebenfalls, dürften doch Köpfe rollen.
Quellen: "motorsport-total", "Süddeutsche Zeitung", "sport1.de", "Spiegel"