Hannovers Bundesliga-Prognose zu schreiben, kann nur die Folge des Ziehens des kürzesten Streichholzes in der Redaktion sein - hatten wir die Roten doch genau vor der Saison als Direktabsteiger vorhergesagt, in der sie die beste Tabellenplatzierung ihrer Geschichte erzielen sollten. Weiter kann man nicht danebenliegen, was nun die Frage aufwirft: Trotzig bleiben oder auf den Jubelzug aufspringen?
Noch in der Winterpause glaubten wir, Hannovers simplen Konterfußball als Übergangserscheinung abtun zu können. Doch spätestens nach dem Sieg gegen den FC Bayern im März war klar, dass die Roten ernsthaft um einen europäischen Startplatz mitspielen würden. Am Ende hätte es fast für die Champions League gereicht, aber auch Platz vier ist natürlich ein sensationelles Ergebnis für eine Mannschaft, die ein Jahr zuvor erst am letzten Spieltag den Abstieg vermieden hatte und zum Saisonauftakt beim Viertligisten Elversberg aus dem Pokal geflogen war.
Dass 96 grundsätzlich eher am oberen Limit der eigenen Möglichkeiten gespielt hat, wird sich weiterhin kaum bestreiten lassen. Eine Wiederholung von Platz vier scheint kaum denkbar, vor allem unter den Bedingungen der gestiegenen Erwartungen und der zusätzlichen Belastung durch die Europa League. Aber droht ein echter Absturz oder kann sich Hannover auf gutem Niveau konsolidieren?
Gute Zeiten
Vor allem anderen muss man das Führungsduo Mirko Slomka und Jörg Schmadtke rehabilitieren, das zusammen hervorragende Arbeit in Hannover gemacht hat, was die Zusammenstellung des Kaders (Schmadtke) und die taktische Ausrichtung der Mannschaft (Slomka) betrifft. Der Trainer, dessen gute Bilanz auch auf Schalke im Nachhinein erst gewürdigt wird, hat es geschafft, seinen Kader so perfekt auf schnellen Konterfußball einzustellen, dass es auch in der Rückrunde den meisten Gegnern nicht möglich war, ein wirkungsvolles Mittel dagegen zu finden.
Neben Slomka spricht vor allem für Hannover, dass die Stammelf komplett zusammengeblieben ist. Alle Abgänge zusammen bestritten in der abgelaufenen Rückrunde gerade einmal zwei Bundesligaspiele von Beginn an (beide Florian Fromlowitz, als er Ron-Robert Zieler im Frühling vertrat). Vergleicht man das mit den großen Verlusten, die Mainz zu beklagen hat, dann muss man sagen: Es hätte schlimmer kommen können.
Auch das angenehme Auftaktprogramm könnte dazu beitragen, den Übergang in die Saison eins nach Platz vier entspannter zu gestalten. Hoffenheim (H), Nürnberg (A), Hertha (H) und Mainz (H) - das ist ein Pensum, aus dem die heimstarken Hannoveraner im Idealfall zehn Punkte mitnehmen könnten - eine gute Basis, um von Anfang an den Abstand nach unten zu wahren und sich ohne Stress den internationalen Aufgaben widmen zu können.
Schlechte Zeiten
Fußball ist ein Mannschaftssport. Das gilt - trotz der großen Abhängigkeit von Didier Ya Konan - insbesondere für Hannover 96. Nicht die individuelle Form einzelner Stars, sondern das gut aufeinander abgestimmte Teamgefüge war der Hauptgrund für die starke Saison. Nichtsdestoweniger muss man fragen, ob Leistungsträger im Fall von Verletzungen oder Formabfall adäquat ersetzt werden können.
So positiv der Verbleib der gewachsenen Stammelf ist, so sehr fehlt doch in Hannover auch eine echte Konkurrenz für die erste Mannschaft, sodass es kein Wunder wäre, wenn die ersten Pflichtspiele der neuen Saison mit der gleichen Formation wie die Spiele der letzten Spielzeit bestritten würden.
Zwar konnte Moritz Stoppelkamp mit einer Flut von Testspieltoren (insgesamt traf er rund 25-mal in der Vorbereitung) und auch der aus der zweiten Mannschaft gekommene Deniz Aycicek im Sommer überzeugen. Aber obwohl mit Kapitän Steven Cherundolo und Ya Konan Leistungsträger große Teile der Vorbereitung verletzungsbedingt verpassten, wird Slomka ihnen wohl so schnell wie möglich wieder das Vertrauen schenken.
Gemessen an Clubs wie Mainz oder Nürnberg mit ihren Abgängen sind das, man muss es wiederholen, Luxusprobleme. Sie werden voraussichtlich nicht zu einem Totalabsturz der Roten führen. In Kombination mit der Tatsache, dass ohnehin mindestens sieben Bundesligisten mehr Potenzial im Kader haben, aber zweifelsohne zu einer schlechteren Platzierung als zuletzt.
Weltstadt Hannover - jetzt auch im Fußball?
Als Messestadt sieht Hannover sich schon lange als internationale Metropole. Im Stolz über die Ausrichtung der Expo 2000 hat man das Nahverkehrsnetz modernisiert, englischsprachige Ansagen sind Standard in der S-Bahn. Das globale Flair hat allerdings im Fußball lange einen großen Bogen um die niedersächsische Landeshauptstadt gemacht. Zuletzt vor fast 20 Jahren waren die Roten als Pokalsieger für den Europacup qualifiziert - und bekamen dann ausgerechnet Werder Bremen zugelost.
Man muss schon etwas länger dabei sein, um sich an Begegnungen gegen internationale Topclubs an der Leine zu erinnern. Im Messepokal waren in den 1960er Jahren viele große Namen zu Gast in Hannover. Also nicht denken, Opa erzählt Unsinn, wenn die Namen Roma, Inter, Leeds United, Espanyol, Porto, Barcelona, Napoli oder Ajax Amsterdam fallen. Sie alle waren Gegner der Roten in Pflichtspielen.
Prognose
Hannover kann, wie schon oben angedeutet, das Niveau des Vorjahres nicht halten - und sei es nur, weil die Konkurrenz sich wohl verbessern wird. Es gibt aber im Kader und Umfeld so wenige unbekannte Variablen, dass ein totaler Einbruch sehr unwahrscheinlich ist. Sprich: Ein Mittelfeldplatz ist zu erwarten. Sagen wir mal: Platz 10.
Daniel Raecke