Das muss man erstmal hinkriegen. Da spielt ein großartiger Stürmer acht Jahre lang für einen großen Verein, schießt Tore wie kein Zweiter, beschert dem Club Titel um Titel, und dann ist man am Ende dieser großartigen Zeit nicht einmal in der Lage, sich anständig voneinander zu verabschieden. Willkommen beim FC Bayern München, Aushängeschild des deutschen Vereinsfußballs.
Man muss nicht Lothar Matthäus sein, um das Gezerre und Geschacher um Robert Lewandowski, den unbestritten besten und erfolgreichsten Bundesliga-Torjäger seit dem legendären Gerd Müller, stillos und unnötig zu finden. Doch auch der Rekordnationalspieler und frühere Bayern-Star kam eben nicht umhin festzustellen: "Mit einem so verdienten Spieler wie Robert setze ich mich an den Tisch und finde die beste Lösung", sagte der 61-Jährige noch am Freitag, als nach wochenlangen Basta-Sprüchen der Bayern-Führung auf der einen und dem Ausdruck tiefer Enttäuschung Lewandowskis auf den anderen Seite – alles öffentlich, wohlgemerkt – der Wechsel des polnischen Nationalspielers immer noch nicht unter Dach und Fach war. Und das, obwohl doch jedem längst klar sein musste, dass es nicht gemeinsam weiter gehen würde.
Robert Lewandowski: Letztlich vom Hof gejagt
Der FC Bayern hätte gut dran getan, Robert Lewandowski nach so vielen Jahren nicht im Wege zu stehen und ihm stattdessen einen tollen Abschied zu gestalten – irgendwas mit "Danke Lewa"-Schildern und einem letzten großen Auftritt. Kein abwegiger Gedanke nach acht gemeinsamen Meisterschaften, einem Champions-League-Sieg, ein paar Pokalgewinnen und siebenfachem Gewinn der Torjägerkanone – darunter mit 41 Treffern 2020/21 der absolute Saison-Rekord für einen Goalgetter in 59 Jahren Bundesliga. Damit hätte auch der FC Bayern sehr gut ausgesehen. Aber so wurde es, wie man hört, ein letztes Training am Samstagvormittag, kurzer Abschied von den Kollegen und das war's. Danach ab nach Barcelona. Sowas kann man getrost "vom Hof gejagt" nennen.
Natürlich wird Lewandowski das alles verschmerzen können, und der FC Bayern wird womöglich – befreit von seinem zuletzt manischen Festhalten an dem Ausnahmestürmer – endlich jenen Schritt nach vorne machen können, zu dem die aktuelle Vereinsführung um Oliver Kahn und Hassan Salihamidzic offenbar genötigt werden musste. Dennoch wird einiges in den Trikots des "Mia san mia"-Clubs hängen bleiben. Man kann sicherlich viel über den FC Bayern sagen, aber er war eigentlich als Verein bekannt, der seine Ex-Spieler mit Respekt behandelt und sich um seine Leute kümmert. Es gibt eine Reihe Beispiele dafür, dass wer gesundheitliche und/oder persönliche Probleme bekam auf den FC Bayern zählen konnte (der kürzlich verstorbene Gerd Müller gehörte beispielsweise dazu). Diese Zeiten scheinen vorbei.
Robert Lewandowski: Seine emotionalsten Momente und schönsten Tore beim FC Bayern

FC Bayern und Lewandowski: Abschied ohne Emotionen?
Wie zum Beweis werden nun Stimmen laut, und man liest es in Kommentaren, dass Lewandowski ohnehin stets distanziert gewesen sei – von den Fans für seine Tore zwar stets bejubelt, aber nie geliebt. Es sei im Grunde ein Abschied ohne Emotionen, ruft man dem 33-Jährigen hinterher. Wirklich, FC Bayern, das soll am Ende der Ära Lewandowski stehen? Einer der erfolgreichsten der gesamten Vereinsgeschichte?
Lothar Matthäus, dem die quälend lange Dauer der Causa Lewandowski viel Gelegenheit gab, sich zu äußern, ist Kronzeuge, wenn es darum geht, einen grundlegenden atmosphärischen Wechsel beim Dauermeister auszumachen. "Schade und auffällig, dass immer mehr Spieler den FC Bayern verlassen wollen. Früher war das nicht so", urteilte der 61-Jährige in einer Sky-Kolumne Ende Mai. David Alaba (jetzt Real Madrid) und Niklas Süle (künftig Dortmund) sind für Matthäus Beispiele einer unguten Entwicklung. Auch Süle wurden wenig respektvolle Kommentare hinterher geschickt, nachdem der Wechsel zum BVB klar war. "Man merkt als Profi, ob sich Dinge in einem Club verändern", stellte Matthäus in seiner Kolumne fest. Immerhin, das ist nun klar: Serge Gnabry hat man halten können.
Nicht mehr der FC Bayern, den Matthäus vermisst
Das peinliche Lewandowski-Geschacher steht am Beginn zu jenem Reset des FC Bayern, der von vielen, die die Bundesliga beobachten, für nötig gehalten wird. Die neuen Stars – Mané, Gravenberch, Mazraoui, vielleicht noch de Ligt und/oder Harry Kane – haben allemal das Zeug für eine weitere Erfolgsgeschichte. Es werden aber Erfolge sein, die ein Verein feiert, der voraussichtlich nicht mehr jener FC Bayern sein wird, den Lothar Matthäus jetzt noch vermisst.
Schon seit geraumer Zeit wird immer wieder die Frage laut, ob der Münchner Vorzeigeclub bleiben kann, wie er ist, wenn er im Konzert der immer größeren internationalen Top-Clubs mitspielen will, oder ob er sich verändern muss. Die Zeit nach Lewandowski bietet die Chance auf eine solche Veränderung. Auf einen guten und respektvollen Umgang sollte man bei aller Professionalität an der Säbener Straße deshalb trotzdem nicht verzichten. Sonst heißt es irgendwann vielleicht noch: Die Fans bejubeln zwar die Erfolge, lieben den Club aber nicht.