Thomas Schaaf mag kein Rampenlicht. Er mag auch kein Blitzlichtgewitter. Der Trainer von Werder Bremen ist eigentlich ein scheuer Mensch. Und so kam es dem stoischen Coach der Norddeutschen ganz gelegen, dass nach dem 3:2-Überraschungserfolg seiner Männer gegen die renommierteste Vereins-Mannschaft der Welt das ganze Weser-Stadion mitsamt seinen 37.000 Fans 14 grün-weiße Spieler euphorisch hochleben ließ. Thomas Schaaf schaute sich das muntere Treiben beinahe regungslos und aus sicherer Distanz an. So, wie er es liebt. So, wie er es nach großen Spielen häufig praktiziert.
Schaafs - nennen wir sie ruhig - 'Glorreichen 14' hatten gerade eine Partie abgeliefert, an die man in Bremen wohl noch lange zurückdenken wird. Das liegt nicht so sehr an der Tatsache, dass das kleine Werder Bremen das große Real Madrid schlagen konnte. "Wenn sie mal die Zeit haben, können sie ja mal zählen, wer uns heute alles gefehlt hat." Die Worte von Werders Coach nach 93 atemberaubenden Kampfminuten dienten als Erklärung dazu, warum der Sieg gegen den spanischen Seriemeister in seiner Wertigkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Es gibt ihn noch, den Fußball-Gott
Fünf Leistungsträger, allesamt Nationalspieler, musste der Trainer ersetzen. Vor allem das Fehlen des genialen Regisseurs Diego schmerzte. Der hatte im Hinspiel im Santiago-Bernabeu derartig aufgetrumpft, dass ihm hinterher halb Madrid zu Füßen lag. Diego saß im Weser-Stadion eine Sperre ab, der Rest fiel verletzungsbedingt aus. Und noch nicht einmal fünf Minuten waren gespielt, als sich mit Clemens Fritz der Nächste mit einer Muskelzerrung abmeldete.
Wie um Himmels Willen sollte man gegen die "Galacticos", so nannte man Real einst zu Beckhams Zeiten, bestehen? Vranjes, Hunt und Tosic heißen die Backups bei Werder. Raul, Robinho und van Nistelrooy heißt der Sturm bei Real Madrid. Gute Nacht, Marie! Gute Nacht, Marie? Dass doch alles ganz anders kam ist das herrlich Faszinierende am Fußball. Ein Rumpfteam, vom Papier her der anderen Mannschaft haushoch unterlegen, schafft es, mit unbändigem Kampfeswillen und also mordsmäßigem Einsatz die Gesetzmäßigkeiten der Champions League aus den Angeln zu heben. Es gibt ihn noch, den Fußball-Gott. Am Mittwoch, bei klirrender Kälte am Weser-Bogen, muss er Bremer gewesen sein.
Werder kämpft sich in die Partie
Werder legte ein Start nach Maß hin, ging durch ein Stocher-Glücks-Tor des Schweden Markus Rosenberg früh in Führung. Aber der Treffer gab den Grün-Weißen zunächst nicht die nötige Sicherheit. Immer wieder sorgte Reals beschriebener Monstersturm für Verwirrung in der Bremer Defensive. Prompt fiel der Ausgleich durch den später wegen seiner provozierenden Spielweise gnadenlos ausgepfiffenen Robinho.
Madrid wirkte kreuzgefährlich, ballsicherer und dem 2:1 näher als Werder. Das fiel dann doch auf der Gegenseite, weil kein Spanier in der Lage war, Rosenbergs Husarenritt auf der rechten Seite zu stoppen. Der Schwede brachte dann noch die Flanke in die Mitte, Sanogo vollendete per Direktabnahme. Das Spiel kippte. Werder arbeitete und kämpfte sich immer mehr in die Partie. Die Grün-Weißen wussten jetzt, dass hier und heute gegen die Übermannschaft von Bernd Schuster etwas gehen könnte. Es ging in die Pause.
Real pomadig und überheblich
Aus der Pause zurück kamen die Bremer wie aufgeputscht. Die Spieler sprinteten durch den Einlauftunnel auf den Rasen. Es schien fast so, als wollten sie den holländischen Schiedsrichter anflehen, endlich wieder anzupfeifen. Der Unparteiische tat ihnen den Gefallen, die Löwen wurden aus ihrem Käfig gelassen. Es folgte die vielleicht kämpferischste zweite Halbzeit der letzten zehn Jahre im Bremer Weser-Stadion.
Jeder rackerte für den anderen, schleppte Bälle, hielt Bälle, biss sich am Gegner fest. Aber Werder setzte auch spielerische Glanzlichter, so wie in der 58. Minute als der überragende Daniel Jensen Aaron Hunt mit einem Geniestreich auf die Reise schickte und der gerade erst wieder genesene Nachwuchs-Mann Hunt die Kugel vorbei an Iker Casillas zum 3:1 in die Maschen zirkelte. Für das pomadige und leicht überhebliche Real Madrid reichte es am Ende nur noch zum 2:3 durch van Nistelrooy (71.), mehr war nicht drin. Und mehr wäre auch nicht verdient gewesen.
Ein neues, großes Spiel
Bei Werder glaubt man nach dem Überraschungscoup gegen Real jetzt wieder an das Weiterkommen in der Champions League. Das Gute aus Bremer Sicht: Man hat es selbst in der Hand. Ein Sieg am letzten Vorrunden-Spieltag in Piräus und die Grün-Weißen stünden im Achtelfinale. Es braucht wieder eines dieser großen Spiele, die Thomas Schaaf so liebt. Er weiß jetzt: Seine Mannschaft ist zu allem fähig. Gut möglich also, dass der Bremer Coach am 11. Dezember irgendwann kurz vor Mitternacht in einem griechischen Stadion in sich gekehrt und abseits vom Trubel über die Faszination Fußball sinniert. Für Werder wäre das ein gutes Zeichen.