Seit einer Woche gliedern sich die Tage nun schon in ARD- und ZDF-Übertragungen. Der TV-Zuschauer hat gelernt: In zweitägigem Wechsel meldet sich entweder das Muppetshow-Duo Delling/Netzer oder das Bregenzer Dampfplauderer-Trio Kerner, Klopp und Meier.
Der Sound der Systeme
Für den eigenen Lebensrhythmus hieß das bisher, sich berechenbar auf den jeweiligen Sound einstellen zu können: Statler und Waldorf versus Ballermann, in etwa.
Gestern allerdings galt es zwischendurch umzuschalten: Für das 18-Uhr-Spiel Schweden - Spanien waren Delling/Netzer beziehungsweise Steffen Simon zuständig; die 20.45-Uhr-Begegnung Griechenland - Russland lag in den Händen des Kerner-Trupps und von Thomas Wark (Kommentar).
So bot sich die Chance, die öffentlich-rechtlichen Konkurrenten einem Direktvergleich zu unterziehen und die Klischees dem Realitäts-Check auszusetzen. Dabei taten die Protagonisten beider Lager alles, um ihre Rollenbilder zu bestätigen.
Ritualisierte Neckerei
Beim Vorgeplänkel zum Spanien-Spiel verhandelten Delling/Netzer den gelassenen Umgang des bald 70-jährigen Trainers Luis Aragonés mit einem Discobesuch des Spielers Ramos und schrieben die Toleranz des Übungsleiters seinem fortgeschrittenen Alter zu. "Wenn wir im Alter immer ruhiger werden, was steht uns dann noch bevor?", äußerte Delling mit Blick auf das berüchtigte Phlegma seines 63-jährigen Gegenübers. Treffender hätte man die ritualisierte Neckerei nicht etablieren können.
Netzer revanchierte sich bei der Pausenanalyse, als es noch 1:1 stand und Delling anmerkte, es sei gekommen, "wie wir vorhin gesagt haben": Es gebe "bisschen wenig Bewegung" bei den Spaniern. "Sie wollen sagen, Sie haben das herauskristallisiert?", schnaubte da der einstige Weltklasse-Regisseur verächtlich und wies seinen Widerpart gleich noch bei der Analyse zurecht, die Vorlage zum spanischen Führungstreffer sei so beabsichtigt gewesen: "Jetzt übertreiben Sie mal nicht! Der hat einfach nach innen gepasst!"
Reporter Simon hatte die undankbare Aufgabe, ein glanzloses "Geduldsspiel für die Spanier" zu begleiten, weil die schwedische Elf sich weitgehend aufs Verteidigen beschränkte. Das 2:1 durch Villa, "die Erlösung" für die Iberer, fiel ja erst in der Nachspielzeit - mitten hinein in Simons Abmoderation des erwarteten Unentschiedens.
Angst ums ZDF-Stammpublikum
"Orange ist die Farbe der Stunde", begann ab 20.15 Uhr - ungeachtet des spanischen Arbeitssiegs - Johannes B. Kerner seine Seebühnen-Show, und Jürgen Klopp beantwortete die Frage, ob er die Holländer für titelreif halte, mit "leider ja". Freilich nicht, ohne ermutigend darauf hinzuweisen, dass man bei der WM bis zum Viertelfinale ja auch gedacht habe, Argentinien werde Weltmeister.
So wie Klopps Sponti-Optimismus die abgeklärt-skeptische Netzer-Weltsicht konterkarierte, so standen auch seine Formulierungen in krassem Gegensatz zu denen des ARD-Experten. Die Begründung der These, die Russen seien ein schwieriger Gegner, hörte sich bei ihm so an: "Die sind nämlich flott unterwegs, die Freunde." Würde nicht Kerner regelmäßig Klischee-Sprachbilder einstreuen - der griechische Abwehrrecke Dellas als "Koloss von Rhodos" - fast müsste man sich ums ZDF-Stammpublikum sorgen.
Auch Thomas Wark stieg mit den wohl unvermeidlichen Floskeln ein: "Salzburg erwartet einen spannenden Abend und nicht etwa einen Kick um die goldene Mozartkugel", eröffnete er die Partie Griechenland - Russland. Die Gelegenheit, den griechischen Torhüter als "hellenische Ausgabe von George Clooney" zu bezeichnen, ließ er sich ebenfalls nicht entgehen - zumal der grau melierte Nikopolidis durch einen Fehler das russische Siegtor ermöglichte.
Ballermann-Stimmung am Bodensee
In der Halbzeitpause herrschte einmal mehr Ballermann-Stimmung am Bodensee - das Publikum klatschte wie entfesselt. Bei der Nachbereitung versuchte Klopp, Nikopolidis die Alleinschuld zu nehmen: "Wir haben wieder ein paar Jungs, die die besten Plätze gebucht haben", erklärte er das Aus für den Titelverteidiger. Der geschulte ZDF-Zuschauer wusste: In der Klopp-Sprache heißt das, dass mehrere Akteure an falscher Stelle verharrten, ohne einzugreifen. Zur Verdeutlichung zeichnete der Chefanalytiker auf einer Folie Kringel um die betreffenden Abwehrspieler - ganz wie einst bei den "Montagsmalern".
"Wer 180 Minuten kein Tor schießt, hat es (…) nicht verdient, ins Viertelfinale einzuziehen", bilanzierte Wark schließlich korrekt das Spiel und gab "aus der Operettenmetropole zurück auf die Tosca-Bühne". Denkwürdiger als die Performance der griechischen Mannschaft war in gewisser Weise die Wortwahl Otto Rehhagels im Gespräch mit Rolf Töpperwien. "Darf ich mal 'nen saloppen Spruch machen?", fragte der bald 70-jährige Trainer den Reporter. Um fortzufahren: "Eine Stunde nach dem Spiel sind alle unzurechnungsfähig." Auch wenn man bemüht war, die Äußerung als lässig einzustufen, entfuhr es Klopp: "Ich hoffe nicht, dass ich mit 70 noch irgendwelche Interviews als Trainer gebe."
Mitleid mit den Straßenreportern
Aus dem Restprogramm blieb nur noch wenig haften: Mitleid mit den Straßenreportern, die regelmäßig sinnfreie Grölereien aus Fanpulks einfangen müssen; die unglaubliche Frage von Michael Steinbrecher an Torsten Frings, ob man schon beim Abspielen der Nationalhymne wisse, ob die Mannschaft in guter Verfassung sei (die Frings ignorierte); und die Erkenntnis, dass es nach 23 Uhr, wenn sich die Ränge leeren, angenehm ruhig wird im Bregenzer Halbrund.
Muss noch erörtert werden, dass Ingolf Lück in der Comedy "Nachgetreten" diesmal neben Guido Cantz, Mike Krüger und Oliver Welke die Herren Elton und Frank Goosen begrüßte? Dass Elton mit seinen Sprüchen über den spanischen Torschützen Villa ("Ich frag' mich die ganze Zeit: Wat willa?") und seinem zur Schau gestellten Holländer-Hass das übliche niedrige Niveau noch weiter senkte? Wohl kaum. Es hat halt jeder seinen Part ausgefüllt an diesem TV-Abend.
Ab heute herrscht ohnehin ein neuer Modus: Weil die letzten Spieltage der Gruppen jeweils parallel um 20.45 Uhr ausgetragen werden, senden ARD oder ZDF jeweils eine Partie live und setzen für das zweite Spiel einen ihrer Digitalkanäle ein. Zunächst ist das ZDF mit Türkei - Tschechien dran. Da ist die Klangfarbe dann wieder eindeutig. Man darf sich auf Ballermann am Bodensee einstellen.