Fußball-Presseschau Italien ist der erste Notfall des Turniers

Italiens 0:3-Schlappe erfüllt die Presse mit wenig Genugtuung, während die Niederlande begeistert hat. Frankreich und Rumänien öden ihre Zuschauer an. stern.de präsentiert jeden Tag die Pressestimmen des aktuellen Spieltags.

Peter Unfried (tageszeitung) schreibt mit großen Augen über das 3:0 der Holländer gegen Italien: "Die Niederländer lieferten eine erste Halbzeit, in der sie die Italiener kontrollierten, laufen ließen, nach hinten drängten, ganz alt aussehen ließen. Es ist – man kann es bereits jetzt sagen – eine Halbzeit, an der alles weitere gemessen werden wird, was dieses an Champions-League-Ansprüchen gemessen nicht gerade berauschende Turnier zu bieten haben wird. Bei Ansicht des Vizeweltmeisters Frankreich war deutlich geworden, dass es sich eben nicht um eine ‚Todesgruppe’ handelt, wenn Weltmeister und Vize drin sind, sondern um eine Gruppe der Besitzstandswahrer. Besitzstand zu wahren haben die Niederländer aber nicht mehr, weil sie seit zwanzig Jahren nichts gewonnen haben."

Christian Eichler (Frankfurter Allgemeine Zeitung) spöttelt: "Als vor zwölf Jahren die deutsche Mannschaft in der Vorrunde der Europameisterschaft Italien mit einem 0:0 aus dem Turnier beförderte, fanden die Karikaturisten Greser & Lenz in dieser Zeitung die unsterbliche Zeile: ‚Einmal bitte Pizza Endstazione’. Nun könnte das Gericht bald schon wieder auf der EM-Speisekarte stehen, denn in der Gruppe der EM-Favoriten ist Italien der erste Notfall des Turniers. In einer begeisternden Fußballpartie kam der Weltmeister gegen die starken Niederländer erheblich unter die Räder und verlor verdient 0:3."

Stephan Ramming (Neue Zürcher Zeitung) langweilt sich beim 0:0 zwischen Frankreich und Rumänien halb zu Tode: "Es war eine wenig unterhaltsame Partie. Sie war zu Beginn von der taktischen Marschroute geprägt, nach den langen Wochen der Vorbereitungen im ersten Spiel an der Euro defensiv stabil zu stehen und keinesfalls mit einem frühen Tor in Rücklage zu geraten. Das gelang beiden Teams vorzüglich. Taktikexperten dürften ihre Freude gehabt haben, nicht aber die neutralen Beobachter. Denn das Dispositiv erstickte den Spielfluss, ansehnliche Aktionen waren an einer Hand abzuzählen.“ Thomas Winkler (tageszeitung) stimmt ein: „Es gelang keiner der beiden Mannschaften, den Eindruck zu erwecken, sie könnten diese schwere Vorrundengruppe überstehen."

Christian Hackl (Der Standard/Österreich) nimmt die 0:1-Niederlage gegen Kroatien nicht allzu schwer: "Österreich hat sein erstes EM-Endrundenspiel der Geschichte knapp, aber keineswegs blamabel verloren. Ja, phasenweise konnten Österreichs Spieler die viel gerühmten Kroaten beherrschen. Eine dumme Attacke gleich nach Anpfiff brachte die Gastgeber freilich um die Früchte der ansehnlichen Arbeit. Die erste Halbzeit begann so, wie man es durchaus hat erwarten – wenn auch nicht unbedingt erhoffen – dürfen. Schon in der 3. Minute spielt Modric Stranzl aus und passt auf Olic, der im Strafraum sozusagen geaufhausert wurde. Das patscherte Foul, das sich einem zögerlichen Zuspätkommen verdankte, konnte nur deshalb zu einem ‚ungerechten’ Elfmeter führen, weil es Schiedsrichter gibt, die den frühen Zeitpunkt, für absolut elferunwürdig betrachten."

Der österreichische Dramaturg Roland Koberg(Berliner Zeitung) erklärt den großen Unterschied zwischen Österreichern und Schweizer anhand eines Fußballergebnis und seinen Wirkungen: "Das Wehklagen, Tiefstapeln und Selbsterniedrigen der Fußballnation Österreich zeigt endlich Wirkung: Wir konnten positiv überraschen, vor allem uns selbst. Was die Schweiz in tiefe Depressionen stürzt, nämlich eine 1:0-Niederlage in ihrem Eröffnungsspiel, das gleiche Ergebnis, dem Spielverlauf gleichermaßen unangemessen, wird in Österreich gefeiert, als gäbe es Apfelstrudel für alle."

Ronald Reng (Süddeutsche Zeitung) gesteht Portugal beim 2:0 gegen die Türken eine starke Leistung zu, empfiehlt aber weniger Theatralik: "Im Gesicht von Cristiano Ronaldo sieht jedes Fußballspiel hochdramatisch aus. Er kennt, wenn er im Flutlicht steht, keine zurückhaltenden Gesten. Nach jedem banalen Fehlschuss schlägt er die Hände vor das Gesicht und hebt sein verdecktes Antlitz leidend zum Himmel. Nach jedem profanen Foul lässt er aus den offenen Augen und Mund Entrüstung sprechen. Nach dem Schlusspfiff sank er langsam auf die Knie, streckte noch langsamer die Arme mit den Fäusten in die Luft, schloss die Augen und gefror für eine Ewigkeit zum Denkmal des triumphierenden Sportlers. Wie will er erst entscheidende Siege bei dieser EM feiern? Der ausufernde Rummel vor der EM um den meist beobachteten Fußballer der Welt hatte die Sehnsucht der Massen entfacht, ihn nun endlich spielen zu sehen, und wer mit dem Enthusiasmus hinsah, jedes außergewöhnliche Detail von ihm aufzusaugen, wurde nicht enttäuscht. Ronaldo und Portugal zeigten ein munteres Auftaktspiel. Die großen Gesten, die das Spiel Ronaldo entlockte, und den Hype, der nach einem einzigen gelungenen Auftritt bei solchen Turnieren jedes Mal ausbricht, kann man sich allerdings sparen."

Daniel Theweleit (tageszeitung) leidet, weil die Schweiz leidet: "Genau 43 Minuten hat es gedauert, da hatte diese Europameisterschaft eines jener berühmten Bilder, die hängen bleiben von solchen Ereignissen. Bei der WM 2002 saß der fassungslose Oliver Kahn nach verlorenem Finale, 2006 war es Zidanes Kopfstoß, nun präsentierte die traurige Schweiz der Welt ihren weinenden Alexander Frei. Er ist das Symbol dieses ersten EM-Tages. Und vielleicht wird es sogar zum Symbol dieses Schweizer Fußballsommers. Die 0:1-Niederlage hat die nunmehr über Jahre gepflegten Hoffnungen auf eine Kopie des deutschen Euphoriesommers von 2006 bis auf weiteres auf Eis gelegt. Intensiv war dieser Tag in Basel auf jeden Fall, und damit diente er wenigstens als Gegengewicht zu dem skeptischen Bild, das in den Tagen und Wochen vor Turnierstart gezeichnet worden war. Nein, feiern können die Schweizer. Es fehlt ihnen einzig am deutschen Glück und an Fußballern von europäischem Spitzenniveau."

Quelle

indirekter-freistoss.de ist ein Fußball-Online-Magazin, das täglich die besten und wichtigsten Textausschnitte und Meinungen aus der deutschen Presse sammelt, zitiert und kommentiert. Auch als Newsletter in den Posteingang. www.indirekter-freistoss.de

Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) stellt fest, dass des einen Freud des anderen Leids ist: "Als Leidtragender könnte sich freilich Bastian Schweinsteiger herausstellen, der bis vor gar nicht so langer Zeit der beste Kumpan Podolskis war. So hat sich der Fußball wieder einmal eine irrwitzige Konstellation geschaffen. Optimisten setzen allerdings darauf, dass der Konkurrenzkampf der beiden auch ein versöhnliches Ende nehmen könnte."

PRODUKTE & TIPPS