Thomas Hitzlsperger hat da dieses Programm in seinem Kopf. Es hat sich im Laufe der Zeit gewissermaßen selbst entwickelt und arbeitet nun mit erstaunlicher Präzision. Das Programm läuft immer mit, wenn er spricht. Es scannt jeden Satz auf seine Sprengkraft hin, überprüft, ob eine Aussage vielleicht missdeutet werden könnte. Erhält Hitzlsperger eine Fehlermeldung, korrigiert er im Gespräch sogleich nach. Das hört sich dann zum Beispiel so an: "Ich sehe mich im Mittelfeld halblinks." Der Satz ließe sich als fehlende Flexibilität missdeuten, vielleicht auch als gelebten Egoismus. Sogleich folgt: "Aber ich helfe auch aus, wo Not am Mann ist."
Es geht vor allem um Kontrolle im Leben des Nationalspielers Thomas Hitzlsperger, die Kontrolle über die eigenen Fehler. Das heißt nicht, dass er zu jeder Zeit auf Linie argumentiert. Neulich hat er auf die optimalen Trainingsbedingungen in der Nationalmannschaft verwiesen. Auch der Sportpsychologe Hans-Dieter Herrmann sei für seine mentale Robustheit eine große Hilfe gewesen. "Beim VfB Stuttgart haben wir keinen Sportpsychologen, ich halte das aber für wichtig."
Früh nach England
Er steht zu solchen Aussagen. Er kann Konflikte durchaus aushalten. Fünf ältere Brüder und eine Schwester lassen erahnen, dass er schon früh gelernt hat, sich nicht unterbuttern zu lassen, damals in Forstinning, im Erdinger Moos, vor den Toren Münchens. Der Vater verdient als Landwirt sein Geld. Die Menschen hier sind herzlich, robust, herb, strebsam. Sie leben nach Prinzipien, die sich in Begriffen wie Beharrlichkeit, Bescheidenheit aber auch Durchsetzungsvermögen manifestieren. Hier schärfte Hitzlsperger seinen immensen Behauptungswillen. Denn während Nationalmannschaftskollegen wie Per Mertesacker, Philipp Lahm, Lukas Podolski oder auch Bastian Schweinsteiger gewissermaßen vom Schulhof weg für diese Nationalmannschaft gecastet wurden, hat er sich durchgebissen.
Er war fast noch ein Kind, als er die Jugendakademie des FC Bayern verließ, um sich in der englischen Industriestadt Birmingham bei Aston Villa durchzuschlagen. Sie haben ihm in München den großen Wurf nicht zugetraut, also hat er es anderswo versucht. Er überwand das Heimweh. Er hat zu lange die eigenen Eltern hart arbeiten sehen für einen Bruchteil des Geldes, das nun winkte, um sich jetzt zur Seite schieben zu lassen. So leicht würde der Aufstieg nie mehr gelingen.
Traumtor und Meisterschaft
Irgendwann war er dann in der ersten Mannschaft Villas angekommen. Er hat mehr trainiert als der Rest und ist dafür manchmal gehänselt worden. Er klagte auch dann nicht, als es nach dem Wechsel zum VfB Stuttgart nur noch bergab zu gehen schien. Der Trainer Armin Veh strich ihn nach dem ersten Spieltag der Meistersaison 2006/2007 aus dem Kader. Große Klappe, zu wenig dahinter, lautete in etwa der Vorwurf. "Dabei wollte ich doch nach der WM durchstarten", sagt Hitzlsperger. Er hat sich seinen Teil gedacht, doch aufgegeben hat er nicht.
Er rückte zurück in die Stammformation und schoss den VfB am Ende der Spielzeit mit einem unglaublichen Volley gegen Cottbus zur Meisterschaft. Als er den Erfolg danach reflektieren sollte, hat er von dem besonderen Moment gesprochen, doch auch, dass man sich nun nicht auf dem Erreichten ausruhen dürfe. Bloß nicht als abgehoben dastehen. Das Kontrollbedürfnis, es lässt einen wie ihn so schnell nicht mehr los.
Harte Arbeit an seinen Qualitäten
Besser werden, Potenziale ausschöpfen, sich auch als Mensch weiterbilden, darum geht es ihm, und deshalb ist Thomas Hitzlpserger zum Prototyp dieser Generation Klinsmann geworden. Mündig und doch angepasst gibt sie sich, durchschaut das Geschäft mit seinen Gefahren und versucht stromlinienförmig hindurch zu gleiten. Hitzlsperger sagt Sätze, die manchmal ein bisschen gestelzt klingen, doch nicht die Arroganz lässt ihn bisweilen altklug erscheinen.
Er hat an seiner Rhetorik gefeilt wie an seiner Technik, die nach Meinung mancher Experten in Deutschland ihresgleichen sucht. Er will auch da nichts dem Zufall überlassen und wirkt deshalb manchmal nicht mehr ganz authentisch, wenn er redet. Als zitiere er aus dem Handbuch für Jungunternehmer. Doch wenn er sich unbeobachtet fühlt, blitzt durchaus ein herber Witz durch, der erahnen lässt, wie er sein kann, wenn er im Kreise seiner Brüder ist, die ihn dieser Tage im Tessin besuchten.
Doch die Öffentlichkeit lernt bis auf weiteres nur die geglättete Version des Menschen Thomas Hitzlsperger kennen. Die eigenen Enttäuschungen zu überwinden, die Lehren zu ziehen, die Kontrolle zu gewinnen - diese Methode hat Thomas Hitzlsperger zu einem der besten Fußballer Deutschlands gemacht. "Bei mir gibt es keine Entwicklungssprünge", hat er einmal gesagt und wollte damit verdeutlichen, dass er sich beharrlich nach oben gearbeitet hat, Schritt für Schritt.
Nun steht er an der Schwelle zur Stammkraft dieser Nationalmannschaft. Gegen die Türkei am Mittwoch im Halbfinale könnte er abermals zum Einsatz kommen, ob im defensiven Mittelfeld oder auf der linken Seite, weiß zur Stunde nur der Bundestrainer Joachim Löw. Torsten Frings wird wohl zurückkehren in die Elf, und auch Simon Rolfes, der andere Mann im defensiven Mittelfeld, hat gegen Portugal überzeugt.
Wo auch immer: Thomas Hitzlsperger wird bereit sein. "Ich bin näher an die Mannschaft herangerückt", sagte er lange vor der EM. Beim besten Spiel der Nationalelf seit Jahren war er nun Teil der Mannschaft, und er könnte es bleiben, wenn es im Halbfinale gegen die Türken geht.
Wenn nicht, wird er sich nicht beklagen. Mit Enttäuschungen umgehen, das kann Thomas Hitzlsperger. Bislang hat er noch immer den nächsten Schritt geschafft.