Das DFB-Team hat beim 3:3 in Kiew eine gute Moral bewiesen und einen 1:3-Rückstand durch Tore von Simon Rolfes und Thomas Müller drehen können. Dabei stand das Spiel unter dem Eindruck einiger Experimente. So wollte Bundestrainer Joachim Löw eigentlich mal wieder ein 4-4-2 testen, doch durch den Ausfall von Miroslav Klose überraschte er sogar seine eigene Mannschaft mit einem völlig ungewohnten 3-5-2, wobei Mesut Özil eine hängende Spitze spielen sollte.
Vor dem zweiten Testspiel gegen die Niederlande, mit dem das Jahr 2011 möglichst erfolgreich abgeschlossen werden soll, haben wir die Partie gegen den EM-Gastgeber genauer analysiert und sind auf fünf Erkenntnisse gestoßen:
1) Eine Dreierkette müsste eingeübt werden
Der Bundestrainer und seine Spieler waren sich nach dem 3:3 einig, der Systemwechsel in der Abwehr hatte mit den Schwächen in der Defensive nichts zu tun. "Zwei der drei Gegentore sind entstanden nach eigenen Eckbällen. Da waren eigentlich alle unsere Abwehrspieler vorne", sagte Löw nach dem Spiel. Die Gegentore hätten "nichts mit dem System zu tun gehabt", meinte auch der Dortmunder Mats Hummels, der wie Holger Badstuber und Jerome Boateng mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Auf die Tore bezogen mag das stimmen, trotzdem muss das Experiment mit der Dreierkette als gescheitert angesehen werden. Denn die Automatismen können überhaupt nicht greifen und zudem stellt sich die Frage, warum ein bestehendes und funktionierendes System auseinandergerissen werden muss.
Die Reaktionen nach der Partie machten dann aber auch deutlich, dass dieses Experiment wohl eine einmalige Sache bleiben wird. Andere Versuche sind aber durchaus willkommen, auch in personeller Hinsicht. Das Spiel in der Ukraine hat gezeigt, wie gefestigt die Mannschaft ist, eventuelle Rückschläge können weggesteckt werden.
2) Götze und Özil brauchen weitere Chancen
Zwei so hervorragende Fußballer wie Mesut Özil und Mario Götze müssten eigentlich in jeder Mannschaft der Welt einen Platz finden. Nun wird der erste gemeinsame Auftritt in der Startelf sicher nicht in die Länderspiel-Geschichte des DFB eingehen, aber es wäre falsch, nun wieder in Entweder-oder-Kategorien zu denken.
Allerdings haben wir Zweifel, ob Özil und Götze gemeinsam in der Zentrale gut aufgehoben sind. Löw sieht Götzes Stärken zwar in der Mitte, aber bei Borussia Dortmund spielt der 19-Jährige auch überwiegend auf den Außenbahnen. Deshalb hoffen wir in den kommenden Monaten auf ein Länderspiel im bewährten 4-2-3-1 mit Özil als Spielmacher und Götze neben ihm auf einer der Außenbahnen.
3) Das Selbstvertrauen ist eine Trumpfkarte
Die vergangenen Monate mit der makellosen Bilanz in der EM-Qualifikation, den teilweise begeisternden Auftritten, den ehrgeizig formulierten Zielen und den Lobeshymnen haben bei der jungen DFB-Truppe spuren hinterlassen positive wohlgemerkt. Die deutsche Nationalmannschaft geht wieder mit breiter Brust in ihre Spiele und lässt sich, wie in der Ukraine gesehen, auch von Rückständen nicht aus der Ruhe bringen.
Es war schon beeindruckend, wie nach dem 1:3 die Ruhe gewahrt und weiter kontrolliert nach vorne gespielt wurde. Zudem hat der Bundestrainer mittlerweile so viele Alternativen, dass von der Bank viel Qualität nachgelegt werden kann. In Kiew waren das Thomas Müller und Lukas Podolski, gerade der Bayer hat gezeigt, dass er derzeit eigentlich unverzichtbar ist.
4) An der Defensive muss weiter gefeilt werden
Auch wenn sich die Abwehrspieler in Kiew auf ein völlig neues System einstellen mussten, so wurde doch deutlich, dass eigentlich nur Kapitän Philipp Lahm einen unantastbaren Stammplatz hat. Mats Hummels wirkt weiterhin damit überfordert, die in Dortmund unterschiedlichen Ansprüche an sein Spiel beim DFB aus dem Kopf zu verbannen. Jerome Boateng scheinen die Verschiebungen von innen nach außen und zurück beim FC Bayern zu verunsichern.
Auch Holger Badstuber, der eigentlich konstanteste unter den Innenverteidigern, erwischte in Kiew einen fehlerbehafteten Tag. Und Per Mertesacker wird gegen die Niederlande zwar zurückkehren, hat beim FC Arsenal aber seine Schwächephase noch nicht überwunden und wirkt weiterhin etwas zu unbeweglich und langsam.
Löw hat also vier starke Innenverteidiger zur Verfügung, kann sich aber noch nicht auf zwei Stammplätze festlegen. Doch genau das sollte im kommenden Jahr das Ziel sein, denn die Sicherheit kommt nur über gemeinsame Einsätze.
5) Der rechte Außenverteidiger bleibt die Schwachstelle
Auch wenn das DFB-Team nominell mit einer Dreierkette auflief, so ließ sich Christian Träsch doch immer wieder fallen und spielte auch in der Vorwärtsbewegung häufig die Rolle eines Außenverteidigers. Doch man konnte dem Wolfsburger deutlich anmerken, dass ihm in dieser Rolle erstens die Spielpraxis fehlt und er im defensiven Mittelfeld seine Stärken viel besser ausspielen kann.
Deshalb bleibt es Löws größte Aufgabe, bis zum Start der Europameisterschaft eine Lösung für dieses Problem zu finden. Im Moment setzt der Bundestrainer nur auf fachfremde Spieler, die wie Benedikt Höwedes oder Boateng zwar im Verein auch immer mal wieder auf rechts eingesetzt werden, aber auf ihren eigentlichen Positionen stärker sind. Löw kann sich keinen gelernten Rechtsverteidiger stricken, aber wenn nun schon Experimente auf der Agenda stehen, warum testet er nicht mal einen Spezialisten wie Gonzalo Castro?
Marcus Krämer