FC Bayern Klinsmann in der Alltagsfalle

Von Tim Schulze
Vor dem Champions-League-Spiel gegen Lyon herrscht Ratlosigkeit bei den Bayern. Nach dem Fehlstart in der Bundesliga muss gegen den französischen Meister ein Sieg her. Alles andere würde die Krise beim Rekordmeister verschärfen. Trainer Klinsmann muss aus seinen Fehlern lernen - und zwar schnell.

In Bayern ereignet sich im Moment Historisches: Die CSU, bayerische Staatspartei mit exklusivem Herrschaftsanspruch, verliert erstmals nach 40 Jahren die absolute Mehrheit, und der FC Bayern liefert nach dem verlorenen Spiel gegen Hannover den schlechtesten Saisonstart in der Bundesliga seit 31 Jahren ab. Am vorletzten Wochenende setzte es zusätzlich eine deftige Heimniederlage gegen Werder Bremen. Das Experiment Klinsmann, das beim deutschen Rekordmeister eigentlich eine neue Ära einläuten soll, liefert bisher nicht die gewünschten Ergebnisse. Es herrscht Alarmstimmung. Die Fragen, die sich alle stellen, lauten: Wie viel Kredit hat Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann? Wie viel Druck hält der Hochdruckkessel an der Säbener Straße aus?

Beim FC Bayern halten die Verantwortlichen - noch - still. Die Saison ist jung. Der Abstand auf den Tabellenführer HSV beträgt lediglich fünf Punkte, aber unter der Oberfläche rumort es gewaltig. Bereits am Dienstag (ab 20.45 Uhr im Liveticker von stern.de) wartet im Heimspiel gegen den französischen Tabellenführer Olympique Lyon in der Champions League die nächste Herausforderung. Lyon ist der erste große internationale Name, auf den die Bayern in dieser Saison treffen. Gelingt dem deutschen Rekordmeister ein Sieg, dürfte sich die Unruhe im Club ein wenig legen. Ein Sechs-Punkte-Start in die Gruppenphase der Königsklasse würde viele Gemüter beruhigen - zumindest für ein paar Tage. Aber Franck Ribéry warnt bereits: "Wenn wir so wie gegen Hannover spielen, haben wir gegen Lyon keine Chance."

Klinsmann hat viele Probleme erst geschaffen

Die Pleite gegen die biederen Norddeutschen macht die großen Probleme deutlich, die Jürgen Klinsmann zu bewältigen hat. Es sind Fehler, die der unerfahrene Club-Trainer verursacht hat. Dass der ehrgeizige Schwabe seine Mannschaft geradewegs auf Platz neun der Tabelle rotierte, ist offensichtlich. Gegen Hannover schonte er Leistungsträger wie Schweinsteiger auf der Bank, Stammkräfte wie Lucio und Ze Roberto standen nicht einmal im Kader. Das Klinsmannsche Rotations-Prinzip versagt grandios. "Wir haben uns schon verarscht gefühlt", sagte 96-Stürmer Mike Hanke zu Klinsmanns merkwürdigen Tausch-Aktionen: "Da hat uns unser Trainer gesagt: Jetzt erst recht." Hannovers Nationalkeeper Robert Enke erklärte: "Wir haben gesehen, dass sie viel rotiert haben und wussten, dass sie in dieser Formation nicht eingespielt sein können. Das wollten wir ausnutzen, und das ist uns gelungen." "Rotieren ist nur sinnvoll, wenn es ein eingespieltes Mannschaftsgerüst gibt", äußerte sich Stefan Effenberg kritisch.

Im Moment scheinen weder Spieler noch Trainer genau zu wissen, woran sie sind. Miroslav Klose merkte an: "Wir haben 20 Spieler im Kader, aber keine Stammelf." Das ist nicht nur eine harsche Kritik an der Rotation, sondern zeigt auch, dass im Team eine klare Hierarchie fehlt - eine unersetzliche Vorrausetzung für ein erfolgreiches Team. Einem Bayern-Kapitän wie Mark van Bommel, der bei der ersten Gelegenheit aus dem Team rotiert, wird in seiner Position nicht gerade gestärkt. Als Orientierungshilfe für die Spieler gilt die Aufstellung gegen Lyon. Da wird die erste Elf auflaufen - und zwar mit einer Viererkette, so wie sie auch von Vorgänger Ottmar Hitzfeld praktiziert wurde.

Klinsmann erreicht sein Team nicht richtig

Neben der Rotation lässt Klinsmann sein Team in unterschiedlichen Systemen spielen. Sein Versuch, die Dreierkette wieder einzuführen, ging gegen Bremen schief. Die Spieler schienen überfordert. Ein weiteres Indiz dafür, dass die speziellen Stärken von Klinsmann im Moment nicht richtig greifen, ist die offensichtliche Laxheit, mit der die Bayern in die letzten Partien gegangen sind. Der Motivations-Guru, den man aus seiner Zeit als Bundestrainer kennt, erreicht sein Team im täglichen Trainings- und Spielbetrieb nicht prägnant genug. Weder gegen Bremen noch gegen Hannover waren die Bayern in der Lage, den Hebel umzulegen, obwohl bei ihnen über 20 Nationalspieler auf der Gehaltsliste stehen.

Leistungsträger der vergangenen Saison wie Luca Toni und Mark van Bommel zeigen ungewohnte Schwächen. Im Umfeld wird kritisch beäugt, dass Klinsmann gegen Bremen und Hannover jeweils nur kurz in der Pause in der Kabine war. Danach gab er den Einwechselspielern, die sich draußen auf dem Rasen warmliefen, Anweisungen. Angeblich nörgeln einige Nationalspieler wegen der Planlosigkeit des Trainers. Für Zündstoff sorgt außerdem die Diskussion um Keeper Michael Rensing, der bisher nicht der erhoffte stabile Rückhalt seiner Mannschaft ist. Nach stern.de- Informationen ist der Nachfolger von Oliver Kahn in der Mannschaft nicht unumstritten. Sollte Klinsmann die Situation durch Erfolge nicht beruhigen, dürfte es an der Säbener Straße ungemütlich werden.

Hoeneß: Gegen Lyon muss ein Sieg her

Zwar verteidigen Beckenbauer und Hoeneß offiziell die Rotation. Klinsmann habe "viel bewegt" beim FC Bayern, sagen sie. Aber Beckenbauer gab den ersten Warnschuss Richtung Trainer in der "Bild" ab: " Ich hoffe, dass Dienstag die Stolperstart-Phase endet. Zu oft sollte Bayern jetzt nicht mehr verlieren…" In München herrscht Alarmstimmung, das ist klar. Mit Argusaugen beobachten Rummenigge und Hoeneß die Entwicklung. Das Mantra des Managers vor dem vor dem Spiel gegen Lyon lautet: "Es darf und wird nicht schiefgehen." Schließlich waren sie es, die das groß angelegte Experiment mit dem schwäbischen Macher des Sommermärchens wagten. Ein Scheitern Klinsmanns würde auch ihnen Schaden zufügen. Hoeneß will im nächsten Jahr seinen Abschied nehmen. Er könnte sein Lebenswerk nicht so wohl bestellt hinterlassen, wie er sich das wünscht.

Jürgen Klinsmann versucht derweil, sich für den Fall ausbleibender Erfolge zu rüsten. Der 44-Jährige, das hat er schon als Bundestrainer gezeigt, ist bereit zu kämpfen. Am Wochenende versuchte er, die Lage zu relativieren - und zeigte, dass er mit härteren Bandagen kämpfen kann, sollte sich die Stimmung drehen: "Natürlich war der Start nicht optimal, aber die Spielzeit hat gerade erst begonnen", sagte er und richtete sich schon einmal auf ungemütliche Tage ein: "Dass im Umfeld jetzt Wind aufgebaut wird, ist normal. Dass so etwas passiert, muss einem klar sein, wenn man das Traineramt bei Bayern München übernimmt." Dass der freundliche Motivator auch anders kann, bewies Klinsmann nach der Teamsitzung zum Lyon-Spiel.

Es soll sehr laut gewesen sein in der Bayern-Kabine...

PRODUKTE & TIPPS