Auf Leverkusen folgt für den FC Bayern am Freitag gleich das nächste Top-Spiel gegen Hoffenheim. Wie sehr imponiert Ihnen der Aufsteiger?
Klinsmann: "Ich habe höchste Wertschätzung für Hoffenheim, weil sie dort sehr zielstrebig, durchdacht und mit sehr guten Leuten aufgebaut haben. Darauf können sie stolz sein. Die Mannschaft hat absolut das Potenzial, auch mittelfristig in der Tabelle unter den ersten Drei, Vier zu bleiben."
Der FC Bayern hatte immer Rivalen, einst Gladbach, dann Dortmund, Leverkusen, Bremen. Ist Hoffenheim der neue Herausforderer?
"Hoffenheim kann langfristig eine Rolle einnehmen, wie es Bayer Leverkusen über Jahre hinweg geschafft hat. Leverkusen wird von der Bayer AG mitgetragen, Hoffenheim von Dietmar Hopp. Da ist nichts Negatives dabei. Er hat früher für den Club gespielt, ist ein Fußball-Mensch durch und durch und hilft dem Verein auf die Beine. So was ist toll. Weil sie dort konzeptionell und langfristig arbeiten, hat Hoffenheim das Zeug, sich im deutschen Fußball ganz oben zu etablieren und vielleicht schon nächstes Jahr europäisch zu spielen."
Der FC Bayern ist Ihr erster Job als Vereinstrainer. Gab es trotz Ihrer Erfahrungen als Spieler und Bundestrainer Überraschungen?
"Mir war sehr wohl bewusst, dass der FC Bayern aufgrund seiner Dominanz im deutschen Fußball und seines Rufs im Weltfußball sehr starke Anforderungen an mich stellen wird. Es war klar, dass es im Umfeld nach ein oder zwei verlorenen Spielen unruhig werden kann. Wenn man in der Verantwortung steht, muss man sich in entsprechenden Momenten auch selbst verändern können. Man macht Kompromisse, obwohl ich zuerst meinte, eine höhere Schlagzahl ansetzen zu können."
In der Tat: Ist die Experimentierfreude der Anfangszeit, als Sie viel ausprobierten und sogar Ihren Kapitän auf die Bank setzten, etwas der Einsicht gewichen, dass der Fußball vor allem ein Tagesgeschäft ist?
"Nein. Ich bin nach wie vor nicht davon gefangen, dass nur das nächste Spiel zählt. Von mir wird erwartet, dass wir Dinge mittel- und langfristig entwickeln. Das ist natürlich einfacher, wenn der Erfolg da ist. Wenn man 2:5 daheim gegen Bremen und danach auch in Hannover verliert, muss man schauen, dass man das sofort anpackt, ohne den Blick für die nächste und übernächste Saison zu verlieren. Dieser Spagat ist die größte Herausforderung."
Sind die Spieler reformwillig genug?
"Natürlich waren am Anfang viele Fragezeichen da; es gab das neue Leistungszentrum und neue Technologien, die wir einsetzen. Es ist viel auf die Spieler zugekommen, aber sie haben mit der Zeit gemerkt, dass alle Maßnahmen nur für sie sind. Alle merken jetzt, dass die Arbeit sich auszahlt. Ich kann aus dem Vollen schöpfen, ob ich einen Breno, einen van Buyten, Lell oder Borowski einwechsle - es kommt Qualität. Wir sind auf Tuchfühlung zur Spitze. Wir haben in der Champions League gesehen, dass wir uns vor niemandem verstecken müssen."
Auch dank Franck Ribéry. Besteht die Gefahr, dass die Abhängigkeit von ihm zu groß wird?
"Nein, weil Franck weiß, dass er eine intakte, harmonisch geführte Mannschaft braucht, um diese Leistungen abzurufen. Er braucht einen Philipp Lahm, der für ihn unglaubliche Arbeit leistet. Er braucht einen Zé Roberto, mit dem er auch geistig gewisse Automatismen entwickelt. Und er braucht Stürmer, die die Aktionen abschließen. Er braucht die Mannschaft, und diese weiß, wie sie ihn zu den Höchstleistungen treiben kann. Indem sie ihm ein Umfeld gibt, wo er sich wohlfühlen kann, Scherze machen kann. Die Mannschaft weiß aber, dass sie auch gewinnen kann, wenn er ausfällt."
Ist es als Trainer schwieriger, die Spieler in der heutigen Medien- und Beraterlandschaft zu erreichen als früher?
"Für den Spieler ist es heute schwieriger, sich permanent auf den Beruf Fußball-Profi zu fokussieren. Die mediale Präsenz ist permanent gegeben. Der Freundeskreis wird auch durch viele Schulterklopfer groß, es gibt Berater, die mit ihm Geld verdienen wollen. Das Umfeld ist ein sehr heikles Thema, weil ein 20- oder 22- Jähriger dafür nicht ausgebildet wurde. Da müssen die Clubs - und vielleicht auch der DFB - neue Wege gehen. Wenn ein Thema medial hochgeht und ein Spieler auf allen Titelseiten der Zeitungen steht, geht es den Medien nicht darum, dem Spieler etwas Nettes zu tun, sondern nur dieses Thema zu verkaufen."
Das Paradebeispiel dafür ist Lukas Podolski. Erklären Sie dennoch einmal Millionen Fußball-Fans, warum er in der Nationalmannschaft wertvoll ist, aber beim FC Bayern nicht?
"Der Unterschied ist, dass er bis zuletzt bei der Nationalmannschaft gesetzt gewesen ist, was ihn die Dinge relaxter angehen lässt. Jetzt ist er bei einem europäischen Top-Club, der eigentlich vier oder fünf Stürmer haben muss, die um die Plätze fighten. Das ist ein interner Wettkampf, bei dem er sich schwer tut. Was daraus gemacht wird, wie die Schlagzeilen verkauft werden, dafür kann er nichts, da ist er nur Mittel zum Zweck. Ich will, dass er sich durchboxt. Wenn eines Tages bei der Nationalmannschaft vier, fünf Stürmer um die zwei Plätze im Angriff kämpfen, wird es eine ähnliche Situation."
Gab es in den vergangenen Monaten einen Moment des Zweifels bei Ihnen, ob die Rückkehr zum FC Bayern richtig war?
"Nein, niemals. Weil der holprige Beginn nachvollziehbar war. Die EM-Nachwirkungen, die Ribéry-Verletzung, unsere Neuerungen. Ich wusste, dass es Momente gibt, wo ich ein paar mitbekomme, aber da muss man durch. Hier drin war alles ruhig, auch wenn draußen der Wind blies. Jetzt zahlt sich die Arbeit aus, und die Mannschaft orientiert sich international. Die Champions League ist im Fußball der Maßstab. Irgendwann im Finale zu stehen, ist unser großes Ziel. Aber da muss alles passen."
Lesen Sie morgen im zweiten Teil des großen Interviews mit Jürgen Klinsmann, welche Auswirkungen der Bayern-Coach auf den Fußball wegen der Finanzkrise erwartet und ob er sich vorstellen kann, noch einmal Bundestrainer zu werden.