Klinsmanns Rücktritt Brutale Konsequenz

Wir hatten es geahnt. Jetzt müssen wir damit leben, dass sich Klinsmann zurückzieht. Die Hoffnung: Bleibt er so konsequent, wird er als Bundestrainer zu uns zurückkehren, weiß Annette Jacobs

Jetzt ist er tatsächlich gegangen. Wir haben es insgeheim schon geahnt, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Klinsi! Wir wollten doch noch zusammen Weltmeister 2010 werden! Oder zumindest Europameister 2008! Und jetzt ist alles aus und vorbei. Aber wenn wir mal ehrlich sind, ist es konsequent, dass Jürgen Klinsmann jetzt seinen Hut nimmt. Es passt zu seiner Linie, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und es scheint, er hätte sein Ziel - zumindest vorerst, erreicht.

Wenn wir uns erinnern: Schon an seinem ersten Arbeitstag, am 30. Juli 2004 traf Klinsmann eine überraschende Entscheidung. Er setzte den routinierten und akzeptierten Torwart Olli Kahn als Kapitän ab und ernannte Michael Ballack zum neuen Teamleader. Nur zweieinhalb Monate später ersetzte er den allseits beliebten Spaßvogel Sepp Maier als Torwarttrainer durch Andreas Köpcke.

Das System Klinsmann

Jürgen Klinsmann zog seinen Plan durch. Auch gegen die allmächtigen grauen Herren in der DFB-Zentrale und die "Lichtgestalt" Franz Beckenbauer. Klinsmann modernisierte die Trainingsmethoden und stellte einen Sportpsychologen ein. Auch gegen die Meinung, die im Fußball herrscht, dass eine Mannschaft keinen "Seelenklempner" brauche. Klinsmann baute innerhalb des DFB ein eigenes kleines System Nationalmannschaft um sich auf, zu dessen hartem Kern Joachim Löw, Andreas Köpcke und Oliver Bierhoff gehörten.

Sie teilten von Anfang an die neue Philosophie, die der 42-Jährige in das Team brachte und die sie auch nach außen verkörperten. Gegen die Angriffe von OK-Chef Beckenbauer, der Klinsmann öffentlich kritisierte, als er nicht beim DFB-Workshop auftauchte und gegen die Schüsse, die aus Richtung Bayern, genauer von Uli Hoeneß, kamen. Sie alle haben ihre Meinung längst geändert und sie alle baten Klinsmann, doch bitte zu bleiben. Zu spät.

Klinsmann scheint sein Ziel vorerst erreicht zu haben. Er hat das System Nationalmannschaft komplett umgekrempelt und modernisiert. Und, ganz wichtig: Er hat auch die Entscheidungsträger beim DFB von seiner Philosophie überzeugt. Jogi Löw wird die Arbeit in seinem Sinne fortsetzen. Klinsmann geht als Liebling der Nation.

Der "Diver" wird zum Volksheld

Parallelen zur Spielerkarriere von Klinsmann lassen sich ziehen. Als der Schwabe 1994 nach England zu Tottenham ging, war er als "Diver" und "Schwalbenkönig" verschrien. Am Ende der Saison wurde er als Ausländer zum "Fußballer des Jahres" gewählt. Doch der Liebling ging, nachdem ihn die englischen Fans in ihr Herz geschlossen hatten. Denn er hatte einen weiteren Plan in seinem Leben: Dem Weltmeister von 1990 fehlte im Alter von 31 Jahren noch der Meistertitel. Also trieb es ihn zurück in die Bundesliga, zu Bayern München. Schon in der zweiten Saison ging auch dieser Plan auf.

Jürgen Klinsmann hat sich in jeder Station seines Lebens weiterentwickelt. Der Individualist suchte in jedem seiner Jobs eine Herausforderung und er blieb immer so lange, bis er sein Ziel erreichte. Dafür gab er als Bundestrainer zuletzt alles. Er stellte sich den letzten Wochen komplett in den Dienst der Mannschaft.

Jetzt ist er ausgebrannt und braucht Zeit, neue Pläne zu schmieden. Dann wird er wieder aufbrechen zu neuen Ufern. Er kündigte es auf seiner Abschieds-Pressekonferenz schon an. Klinsmann will sich mit Trainer aus aller Herren Länder treffen und diskutieren. Weiter lernen und neue Ziele definieren. Vielleicht ist sein Plan doch noch nicht ganz aufgegangen. Er schließt nicht aus, dass er 2010 oder 2014 zurückkehrt. Denn sein Ziel, als Trainer Weltmeister zu werden, hat er noch nicht erreicht.

PRODUKTE & TIPPS