Nationalmannschaft Zum Glück nicht Lothar Matthäus

Von Oliver Fritsch
Die Nationalmannschaft gilt inzwischen als Leitbild des deutschen Fußballs - auch dank Joachim Löw, der in Presse und Öffentlichkeit gefeiert wird. Doch hätte es Jürgen Klinsmann nicht gegeben, hieße der Bundestrainer heute wohl anders.

Gerade anderthalb Jahre ist es her, dass ein Kollege auf der Pressekonferenz nach der heftigen 1:4-Niederlage in Italien drei Monate vor der WM Nationaltrainer Jürgen Klinsmann die Idee mit auf den Weg gab, das Abwehrsystem zu ändern: "Warum nicht wieder mit einem Libero spielen?" Er fügte an: "Es ist ja nicht so, dass ich keine Ahnung hätte, ich hab ein Sportdiplom." Bekanntlich hat Klinsmann, sicher nach reichlicher Erwägung, diesen gut gemeinten Rat aus der Fußballsteinzeit verworfen.

Inzwischen, rund zwanzig, zum Teil erhabene, zum Teil berauschende Siege und ein Sommermärchen später, hat sich die Nationalelf vom Sorgenkind zum Musterschüler gewandelt. Ihr Stil, ihr Spiel, ihre Trainingsmethoden, ihre Erziehung - sie ist das Leitbild für den deutschen Vereinsfußball. Fast ohne Widerspruch. Aus der Bundesliga sind immer seltener Neururerismen à la "das haben wir schon vor dreißig Jahren so gemacht" zu vernehmen.

Deutschland ist EM-Mitfavorit

Der kluge, in Fußballmaßstäben sehr kluge, Joachim Löw wird heute bestaunt und bewundert. Nehmen wir das 2:0 in Wales am letzten Samstag. Würde man dieses Spiel mit einer Musikband vergleichen, dann am ehesten mit den Dire Straits: makellose Leistung, die aber keinen vom Hocker reißt; taktisch anspruchsvoll, aber ohne Emotionen; gepflegte Langeweile eben. Obendrein ist Wales ein Gegner aus der zweiten europäischen Liga. Dennoch leuchteten vielen Journalisten nach dem Sieg die Augen. Und es stimmt ja: Das sieht gut und souverän aus, was Schweinsteiger, Klose und Hitzlsperger da machen; Deutschland wird als Mitfavorit zur EM reisen.

Doch an dieser Entwicklung ist auch Löws Vorgänger beteiligt. Klinsmann hat den entgleisten deutschen Fußball mit seinem Sturm und Drang zurück auf die Schiene gehievt - eine große, herkulische Leistung, für die er sich in seiner Amtszeit mehrfach ans Schienbein treten lassen musste und die ihm die Fachwelt heute nicht genug dankt.

Beschwerden über Klinsmann aus der Kreisliga

Neulich sprach ich nach einem Kreisligaspiel am Bierpils mit einem Bekannten, es war der Präsident des Gegners, über dies und jenes. Er, übrigens im Trikot einer argentinischen Klubmannschaft erschienen, erzählte, dass er dem Autoren eines Fußballbuchs, in dem die fünfzig besten Trainer aller Zeiten portraitiert sind, einen Brief geschrieben habe. Er wollte sich beschweren, dass Klinsmann darin aufgenommen ist, aber andere, wie etwa Carlos Bilardo, der argentinische Weltmeistertrainer von 1986, beispielsweise nicht. "Ein dritter Platz bei einer Heim-WM ist ordentlich, mehr nicht!", begründete er, mir zuprostend, seine Klage.

Mal abgesehen davon, dass es für Klinsmann vielleicht zum ersten Platz gereicht hätte, wenn ihm die Fifa (oder waren es die Italiener, die Argentinier, gar alle drei?) im Halbfinale gegen Italien nicht Torsten Frings genommen hätte - ich war gerne dazu bereit, mich mehrere Schoppen lang mit ihm darüber zu streiten, dass seine Definition von Trainer zu eng sei. Warum soll man einen Trainer nicht mal daran messen, was er erstens "politisch" bewirkt - Stichwort Leitbild - und zweitens was er seinem Nachfolger hinterlässt? Löw profitiert nämlich von einem sicheren Fundament und der Möglichkeit, mit amerikanischen Fitnesstrainern, einem Psychologen und einem Experten aus der Schweiz zusammenzuarbeiten, ohne dass die Patrioten vom Stammtisch hysterische Schreianfälle bekommen. Das Trainer-Bild in Deutschland wandelt sich langsam - dank Klinsmann und Löw, die sich zueinander verhalten wie Revolution und Evolution. Gefragt ist nun weniger der Zampano an der Seitenlinie, sondern der smarte Pädagoge, der seine Spieler ganzheitlich erzieht.

Ich weiß nicht, warum ich an Matthäus denke

Ich weiß auch nicht, warum ich dabei an Lothar Matthäus denke, über den das Fußballmagazin "11 Freunde" in seiner aktuellen Ausgabe eine selten belanglose Story geschrieben hat, in der es versucht, zu beantworten, warum Matthäus keinen Trainer-Job in der Bundesliga findet: dass er sich von seinem Mentor Franz Beckenbauer, der ihn gerne irgendwo unterbringen möchte, lossagen solle, raten ihm die Autoren. Das mag sein, doch entscheidend ist: weil ein Trainer solcher Sorte nicht mehr gebraucht wird. Überall, wo er gearbeitet hat, verursachte Matthäus nur kurze Zeit Erfolg; nie hat er eine Entwicklung in Gang gesetzt, die sein Ende überdauerte; viele seiner ehemaligen Spieler und Vorgesetzten rufen ihm "bleib da, wo Du bist!" hinterher.

Erst die Geschichte wird Klinsmann seinen verdienten Platz zuweisen. Zur Erinnerung: Löw ist Klinsmanns Wahl. Nicht auszudenken, der DFB hätte bei der Wahl des Bundestrainers auf Kaiser Franz gehört!

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