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P. Köster: Kabinenpredigt Debüt bei Hertha BSC: Jürgen Klinsmann – der rücksichtslose Reformer

Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann
Jürgen Klinsmann bei seinem Debüt als Hertha-Trainer
© Gregor Fischer / DPA
Er kam als Heilsbringer und landete schnell auf dem Boden der Tatsachen. Will Jürgen Klinsmann mit Hertha BSC Erfolg haben, muss er sich rasch korrigieren, meint stern-Stimme Philipp Köster.

Als Jürgen Klinsmann vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund den Innenraum des Berliner Olympiastadions betrat und sich vor der Trainerbank postierte, umlagerte ihn prompt eine Traube aus Fotografen und Kameraleuten. Der neue Hertha-Trainer zückte daraufhin sein Handy und filmte seinerseits das nahezu ausverkaufte Rund und vor allem die singende Ostkurve.

Philipp Köster

Philipp Köster: Kabinenpredigt

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.

Nach dem Spiel hingegen ließ Klinsmann das Handy in der Tasche. Nicht nur, weil auf der Handyhülle ausgerechnet der Konkurrent des Hertha-Sponsors Nike zu sehen gewesen war, sondern auch, weil die gute Stimmung längst verflogen war und die Kurve den Spielern gerade die Prophezeiung "Absteiger, Absteiger" entgegenbrüllte. 

Was wiederum mehrere Gründe hatte. Da waren die beiden vermeidbaren Gegentore, die Hertha schon früh auf die Verliererstraße gebracht hatten. Da war das Unvermögen in der zweiten Halbzeit, einen dezimierten Gegner anständig unter Druck zu setzen. Da war aber auch die im ganzen Stadion spürbare Ernüchterung, dass sogar ein Trainer, der mit einer Busladung voller prominenter Assistenten aufschlägt, in der Pressekonferenz vor dem Spiel mehr Businessvokabeln bemüht als ein McKinsey-Berater und von den Medien zum Wunderheiler stilisiert wird, nicht sportlichen Erfolg garantiert.

Nun konnte Klinsmann darauf verweisen, erst drei Einheiten mit der Mannschaft trainiert zu haben. Und sicher, etwas engagierter und zielstrebiger als bei der desaströsen 0:4-Klatsche in Augsburg in der Vorwoche wirkte die Mannschaft. Aber um in den folgenden Spielen, allesamt gegen ambitionierte Teams wie Frankfurt, Leverkusen und Gladbach, nicht wieder früh Rückständen hinterher zu laufen, muss die Hertha vor allem in der Defensivarbeit rasch an Struktur und Disziplin gewinnen. Sich durch handelsübliche Diagonalbälle aushebeln zu lassen, macht jede Mühe um Spielkontrolle obsolet.

Jürgen Klinsmann, der große Reformer?

Kein Wunder also, dass Klinsmann "harte Arbeit" für die nächsten Wochen ankündigte. Das gilt allerdings nicht nur für die Mannschaft, sondern auch für den Coach. Denn in den ersten Tagen unterliefen dem Coach zahlreiche vermeidbare Fehler, die die Aufbruchstimmung konterkarierten, die Klinsmann ja mit aller Macht erzeugen möchte.

Da war der Umstand, dass Klinsmann auf seiner ersten Pressekonferenz wenig Mühe unternahm, den Eindruck zu zerstreuen, er sei vom Investor Lars Windhorst ins Traineramt bugsiert worden. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, Geschäftsführer Michael Preetz, der direkt neben ihm saß und über dessen vermeintliche Entmachtung durch Windhorst anschließend viel geschrieben wurden, ein wenig den Rücken zu stärken. Aber Klinsmann zog es vor, seinen Ruf als radikaler Reformer und hemmungsloser Umkrempler etablierter Strukturen zu pflegen.

Zu dieser Inszenierung gehört auch der umfangreiche Tross an Assistenten. Alexander Nouri und Markus Feldhoff als ambitionierte Co-Trainer mitzubringen, macht zweifellos Sinn. Torwartrainer Andreas Köpke lediglich bis zum Jahresende, also offenbar etwa drei Wochen, beim DFB freistellen zu lassen, wirkt hingegen wie Effekthascherei, ebenso wie das angeberische Etikett "Performance Manager" für den notorischen Arne Friedrich, dessen Rolle Klinsmann noch nicht einmal genau zu definieren wusste. 

Es braucht ein anderes Auftreten

Und trotzdem: Jetzt soll alles anders, alles besser, alles moderner werden. Diesen Eindruck will Klinsmann in Berlin erzeugen. Was vor fünfzehn Jahren bei der Nationalmannschaft eine notwendige Strategie war, wird in Berlin aber nur dann funktionieren, wenn der sendungsbewusste Coach Korrekturen an seinem Auftreten vornimmt.

Abseits der gängigen Klischees wird nämlich inzwischen bei der Hertha durchaus modern und zielorientiert gearbeitet. Und es gibt in der Anhängerschaft des Klubs eine berechtigte Skepsis gegenüber den Ansprüchen des Investors. Dessen Geplapper von der Hertha als natürlicher "Big City Club" wirkt nicht visionär, sondern immer absurder, je weiter die Hertha in der Tabelle abrutscht. Klinsmann ist gut beraten, in seiner neuen Rolle eine Mindestdistanz zum Geldgeber zu pflegen und nicht den Eindruck zu erwecken, er sei eigentlich als Controller für Windhorsts Tennor-Holding bei der Hertha unterwegs. 

Vor allem aber sollte er am nächsten Wochenende anfangen, Spiele zu gewinnen. Das wäre ziemlich wichtig, für den Klassenerhalt und so ganz allgemein für die Performance.

wue

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