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P. Köster: Kabinenpredigt Warum die Fußball-EM 2021 nicht wie geplant stattfinden wird

"Jeder Gastgeber muss garantieren, dass Fans im Stadion sein werden", sagt Uefa-Präsident Aleksander Ceferin
"Jeder Gastgeber muss garantieren, dass Fans im Stadion sein werden", sagt Uefa-Präsident Aleksander Ceferin
© Harold Cunningham / DPA
24 Mannschaften reisen im Juni während der Corona-Pandemie quer durch Europa? Geisterspiele gehören der Vergangenheit an? Das behauptet Uefa-Präsident Ceferin und beweist damit, dass er in einer bizarren Parallelwelt lebt, sagt Stern-Stimme Philipp Köster.

Aleksander Ceferin war ganz ergriffen von sich selbst: "Es war wichtig, dass der Dachverband des europäischen Fußballs den Prozess anführte und das größte Opfer brachte." So pathetisch begründete der Uefa-Präsident im März 2020 die Verschiebung der Europameisterschaft und unterschlug dabei natürlich, dass sich die Funktionäre erst nach erheblichem Druck aus der Politik und aus den Nationalverbänden zur vorläufigen Absage entschieden hatten.

Nun, ein Jahr später, wiederholt sich dieses bizarre Schauspiel. Wieder einmal druckst und taktiert die Uefa herum, und rettet sich mit nichtssagenden Pressemitteilungen durch die Wochen, anstatt klar und deutlich zu sagen, dass das Turnier nicht so wie geplant stattfinden wird. Das Konzept einer Europameisterschaft in zwölf Ländern in Europa und Asien, mit quer durch den Kontinent reisenden Nationalteams und Anhängern war schon zu normalen Zeiten fragwürdig, in Pandemiezeiten ist die Durchführung völlig absurd. Das wissen viele Mitarbeiter im Planungsstab der Uefa und reagieren gequält, wenn sie auf die offenkundige Diskrepanz zwischen Plan und Realität angesprochen werden.

Abgedriftet ins Paralleluniversum

Allein, was sollen sie machen, wenn ihr oberster Boss offenbar in ein Paralleluniversum abgedriftet ist, in dem die Pandemie, ihre Folgen und die gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs nur lästige Nebenrollen spielen. "Wir haben mehrere Szenarien vorbereitet. Aber die Option, Geisterspiele auszutragen, ist vom Tisch" verkündete Ceferin frohgemut und schob die Verantwortung elegant hinüber zu den Austragungsstädten: "Jeder Gastgeber muss garantieren, dass Fans im Stadion sein werden."

Eine EM also ernsthaft vor Zuschauern? In München, Amsterdam, Bukarest, Glasgow und Rom? Mit hunderttausenden Fans, die vor längerer Zeit ihre Tickets gekauft haben und ihren Teams durchs Turnier und durch den Kontinent folgen wollen? Das ist ein völlig unrealistisches Szenario, schon weil große Teile Europas Anfang Juni die Pandemie längst nicht überwunden haben werden. Einreisebeschränkungen und strenge Quarantänebestimmungen werden noch immer Alltag sein, die Behörden werden dem Fußballtourismus enge Grenzen setzen, ihn womöglich ganz verbieten.

Das weiß Uefa-Präsident Ceferin natürlich alles, in seinen öffentlichen Verlautbarungen allerdings ignoriert er freihändig all diese Warnzeichen und düsteren Prognosen. Was natürlich mit dem lieben Geld zu tun hat. Denn eine frühzeitige Modifizierung des Turniers würde den Verband in eine rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten bringen. Müsste die Uefa dann die Ticketpreise rückerstatten? Den Veranstaltungsorten Kompensation geben? Auf Teile der TV-Gelder verzichten? Eine sicherlich vertrackte Situation, der sich die Uefa gleichwohl stellen müsste, anstatt unverhohlen auf Zeit zu spielen.

Uefa lässt nationale Verbände in der Luft hängen 

So nämlich lässt der Verband nicht nur Anhänger, Medien und Öffentlichkeit, sondern auch die Nationalteams in der Luft hängen. "Die Uefa plant weiter mit zwölf Standorten. Andere Infos habe ich nicht", gab DFB-Direktor Oliver Bierhoff zu Protokoll, die anderen Nationalverbände wissen nicht mehr. Eine Ahnungslosigkeit, die sich womöglich sogar noch bis acht Wochen vor dem Turnier hinziehen könnte, wenn die Uefa weiter so herumeiert und sich erst beim Verbandskongress am 20. April zu einer Entscheidung durchringt.

Dabei liegen längst Alternativpläne vor. Eine große Variante mit zehn Städten in zehn Ländern, dann aber beispielsweise ohne Baku. Dann eine kleinere Variante mit fünf Städten in fünf Ländern oder eine noch überschaubare Version mit mehreren Städte in zwei bis drei Ländern. Und schließlich nach dem Vorbild des Finalturniers der Champions League eine Stadt oder Region mit mehreren Stadien. Das könnte zum Beispiel London mit seinen zahlreichen Arenen sein, und vorausgesetzt, das Land kommt mit seinen Impfungen gut voran, womöglich sogar vor Zuschauern. 

Von alldem will die Uefa nichts wissen. Sie spielt stattdessen auf Zeit und verstärkt so wieder einmal den Eindruck einer elitären Parallelgesellschaft, der schon in den vergangenen Monaten durch bizarre Events wie Champions-League-Spiele zwischen Liverpool und Leipzig in Budapest, aber auch durch die Ignoranz vieler Profiteams für geltende Abstandsregeln entstanden ist. Diesen Eindruck zu entkräften, wäre ja mal ein ehrgeiziges Ziel. Wer nun allerdings hofft, es würde sich ein Verband endlich zu einer transparenten Entscheidungsfindung durchringen, wird enttäuscht werden. Wir sind nämlich nicht in der Realität mit einer Jahrhundertpandemie, die gesellschaftlichen Akteuren viel Verantwortung abverlangt, sondern im europäischen Profifußball.

tis

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