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Schalkes 1:6-Debakel gegen Real Madrid Die Beine verknotet

Schalke-Trainer Jens Keller kann einem Leid tun. Nach erfolgreichem Rückrundenstart hat sich sein Team in der Champions League gegen Real Madrid bis auf die Knochen blamiert - ein schwerer Rückschlag.
Von Tim Schulze

Trainer Jens Keller ist Tiefschläge gewohnt. Seit mittlerweile 14 Monaten ist der Mann jetzt Trainer des FC Schalke 04. Es ist seiner unglaublichen Leidensfähigkeit und seinem Durchhaltevermögen zu verdanken, dass er bei einem der schwierigsten Clubs der Liga noch auf dem Trainerstuhl sitzt. Mehr als ein Mal war Keller angezählt. Noch im Dezember wollte ihn Manager Horst Heldt absägen. Weil gerade keine anderer Coach zur Verfügung stand (es gab Absagen von Thomas Schaaf und Thomas Tuchel), ließ man Keller im Amt. Schließlich hatte er mit Schalke durch einen Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Basel den Sprung in das Achtelfinale der Champions League geschafft. Immerhin ein Achtungserfolg für den Mann, der durch den perfekten Liga-Rückrundenstart (13 von 15 möglichen Punkten) zusätzlich an Ansehen gewonnen hat.

Doch was Keller im Achtelfinalhinspiel in der heimischen Arena beim 1:6-Debakel gegen Real Madrid erlebte, stellte einen neuen Tiefpunkt in seiner Schalker Zeit dar. Bittere 90 Minuten musste der 43-Jährige von der Seitenlinie aus mitansehen, wie seine Mannschaft vom Superstarensemble um Cristiano Ronaldo gnadenlos vorgeführt wurde. Bei Kapitän Benedikt Höwedes klang das nach Abpfiff so: "Es hört sich bescheuert an bei 6:1, aber wir haben gut angefangen. Aber man sieht, dass jeder Fehler bestraft wird – und davon haben wir zu viele gemacht."

Schalke hält 13 Minuten mit

Hinzu kamen die Verletzten, die der Trainer nach der Partie zu beklagen hatte. Kevin-Prinz Boateng spürte ein "Zwicken im Oberschenkel". Sead Kolasinac war da schon mit Verdacht auf Kieferbruch auf dem Weg ins Krankenhaus. Roman Neustädter und Joel Matip beendeten das Spiel angeschlagen. Angesichts der Tatsache, dass Schalke am nächsten Wochenende beim FC Bayern antritt, zog Keller ein ehrliches Fazit: "Dieses Scheißspiel", fasste er die Ereignisse gegen Real kurz und knapp für den TV-Sender "Sky" zusammen.

Vor der Partie hatte Keller noch verlautbart, dass sich Schalke "vor eigenem Publikum nicht in die Hose machen" müsse. Leider trat genau das ein. Und Keller versuchte später gar nicht erst, die Leistung seiner Spieler schönzureden. Das hätte auch allzu wunderlich gewirkt. Dennoch bemühte er sich, Gründe für das Debakel zu nennen: "Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die noch sehr viel lernen muss", war so einer der Sätze, die er völlig zerknirscht in die Mikrofone sprach. Damit umschrieb er die Tatsache, dass sich das Team fast während der gesamten Spieldauer höchst dilettantisch anstellte.

"Fast" heißt in diesem Fall: In den ersten 13 Minuten der Partie machte Schalke einen konzentrierten und sicheren Eindruck. Nur reichen 13 Minuten nicht, um in einem Achtelfinale gegen einen Gegner wie Real Madrid zu bestehen. Der Untergang begann an diesem denkwürdigen Abend, als Gareth Bale den Ball unbedrängt Richtung Strafraum trieb, zu Ronaldo passte, der mit einem Hackentrick Felipe Santana tunnelte, allerdings unbeabsichtigt. Karim Benzema stand genau richtig und verwandelte sicher zum 1:0. Im Gegenzug scheiterte Julian Draxler mit einer hundertprozentigen Torchance an Madrids Keeper Iker Casillas, und Max Meyer drosch den Nachschuss weit über das gegnerische Tor.

Real mit perfektem Mittelfeldspiel

Man kann darüber spekulieren, was passiert wäre, wenn Draxler den Ball zum 1:1 über die Linie gedrückt hätte. Vielleicht wäre Schalke nicht so schlimm abgestürzt, vielleicht hätten sie bewiesen, dass die Real-Abwehr durchaus wackelt, wenn man sie unter Druck setzt. Aber wahrscheinlich hätte das auch nichts genützt.

Konnte man den ersten Gegentreffer noch mit viel Wohlwollen als unglücklich einstufen, offenbarte der zweite, wie überfordert die Königsblauen waren. Verteidiger Felipe Santana verlor den Ball an der Außenlinie, weil er versuchte, sich gegen Benzema zu behaupten. Das ging schief, der französische Angreifer passte die Kugel zu Bale, der die gesamte Schalker Hintermannschaft wie Slalomstangen umkurvte und zum 2:0 erhöhte. Das geschah in der 21. Minute – und spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde aus dem Traum vieler Schalker Spieler, dass erste Mal gegen Real zu spielen, ein veritabler Albtraum.

Die Gelsenkirchener fanden vor allem gegen das perfekte Mittelfeldspiel Madrids kein Mittel. Xabi Alonso (als Sechser), Luka Modric und Angel di Maria (im vorderen Mittelfeld halbrechts und halblinks) organisierten das Spiel der Gäste ballsicher und präzise, auf den Außen rotierten Gareth Bale und der vor Spielfreude sprühende Ronaldo. Oliver Kahn kommentierte das später im ZDF-Studio sarkastisch: "Es gab da gar nichts zu kämpfen. Die (Schalker) Spieler standen da und haben gestaunt."

Die Spanier befinden sich in einer beängstigenden Form. Sie haben erstmals seit Mai 2012 wieder die Tabellenspitze in der Primera Divison übernommen. Trainer Carlo Ancelotti hat nach anfänglichen Schwierigkeiten zu Beginn der Saison ein spielstarkes Ensemble geformt. Der Power- und Überfallfußball unter José Mourinho gehört der Vergangenheit an.

Pässe ins Leere

Schalke lief nicht nur dem Ball hinterher, sondern patzte auch, wenn es im Ballbesitz war. Durch haufenweise Fehlpässe beim Spielaufbau gelang kaum ein geordneter Angriff. Im Mittelfeld agierte Julian Draxler, der nach einer zweimonatigen Verletzungspause erstmals wieder fit war, weit unter Normalform. Der 18-jährige Max Meyer war auf der Spielmacherposition komplett überfordert. Roman Neustädter spielte zahllose Pässe ins Leere. Santana und Matip in der Innenverteidigung waren an diesem Abend weit unter Champions-League-Niveau. Klass-Jan Huntelaar und Jefferson Farfan standen im Angriff auf verlorenen Posten. Nur der junge Außenverteidiger Kolasinac wehrte sich - und musste mit Verdacht auf Kieferbruch ausgewechselt werden.

Nach der Pause versuchten die Schalker weiter, offensiv mitzuhalten – und luden den Gegner fahrlässig zu weiteren Toren ein. Mit einem dreifachen Übersteiger verknotete Ronaldo dem bedauernswerten Joel Matip die Beine, bevor er zum 3:0 erhöhte. Benzema, Bale und noch einmal Ronaldo machten das Desaster schließlich perfekt. Nur der Schlusspunkt, der gehörte den Gastgebern. Huntelaar hämmerte den Ball volley aus 20 Metern in den Torwinkel – ein Traumtor aus Frust zum 1:6. Sogar Jens Keller klatsche ein wenig Beifall. Glücklich sah er dabei nicht aus.

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