Spanischer Fußballpräsident Luis Rubiales versinkt im Kuss-Skandal. Das Beben erreicht auch Deutschland

  • von Frank Hellmann
Der spanische Fußballpräsident Luis Rubiales und die Spielerin Jennifer Hermoso nach dem WM-Sieg in Sydney
Der spanische Fußballpräsident Luis Rubiales und die Spielerin Jennifer Hermoso nach dem WM-Sieg in Sydney
© Imago Images
Der spanische Fußball macht mit der Kuss-Affäre um seinen inzwischen von der Fifa gesperrten Verbandspräsidenten Luis Rubiales mehr als nur eine Vertrauenskrise durch. Das Beben erreicht auch Deutschland.

Auch Alexandra Popp will nicht weiter wegsehen. Am Wochenende hat die Torjägerin für den "Mannschaftsrat der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen" eine Stellungnahme zu der Kuss-Affäre um den spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales aufgesetzt, nachdem der 46-Jährige eine von jedem Ehr-, Scham- und Verantwortungsgefühl befreite Machtpolitik auf die Spitze getrieben und bei den Weltmeisterinnen einen riesigen Scherbenhaufen angerichtet hat. "Solch ein Verhalten ist nicht akzeptabel und noch weit untragbarer ist, es auch noch herunter zu spielen und die Spielerin unter Druck zu setzen. Niemand, absolut niemand sollte dies als Kleinigkeit abtun", hieß es in dem offenen Brief, den die 32-Jährige auf ihrem Instagram-Accout schaltete. Es sei ja nicht nur der erzwungene Kuss an Jenni Hermoso gewesen, "sondern auch das Fassen in den Unterleib oder das Tragen von Athenea del Castillo. Sollte ein Funktionär und Repräsentant so etwas tun? NEIN!"

Der begrenzt talentierte Ex-Profi – bei Deportivo Xerez und UD Levante sogar vom Deutschen Bernd Schuster trainiert – ist längst zur hässlichen Fratze eines männlich geprägten Funktionärswesens geworden, das von Gleichberechtigung und Respekt noch nicht viel gehört hat. Während die DFB-Kapitänin klare Kante zeigt, hat es Präsident Bernd Neuendorf ("Ich habe mir vorgestellt, man wäre in einer ähnlichen Situation: Ich glaube, ich hätte nicht so gehandelt") bei einer zarten Abwärtsbewegung zu dieser Art der Macho-Kultur belassen.

Der DFB hatte lediglich in der Instagram-Story seiner Frauen eine Solidaritätsbekundung ("Team Deutschland ist bei Euch") für die betroffene Weltmeisterin übermittelt. Popps Seitenhieb ("Es ist traurig, wenn auch in der deutschen Fußball-Welt anscheinend noch nicht alle aufgeklärt genug sind, das einschätzen zu können") könnte daher nicht allein dem ehemalige Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge gelten, der die Rubiales-Aktion "mit Verlaub – absolut okay" fand. Dafür hatten die Fans des SC Freiburg gar kein Verständnis, die ihre Ablehnung beim Bundesligaspiel gegen Werder Bremen auf einem Transparent ausdrückten: "Faust statt Kuss für Rubiales und Rummenigge."

Die Fifa hat Luis Rubiales vorläufig suspendiert

Die öffentlichen Reaktionen selbst von der spanischen Regierung verraten ja, dass nichts in Ordnung ist. Die spanische Sportbehörde CSD beantragte beim nationalen Sportgerichtshof Tad die Suspendierung von Rubiales, der mit seinem Verband sogar eine Klage gegen Hermoso ankündigte. Begründet wird das vom RFEF damit, "um die Ehre des Präsidenten zu verteidigen, der klar und einfach erklärt hat, wie es zu den Ereignissen gekommen ist, die Ursache für den Konflikt und den Spott breiter Teile der Gesellschaft gegen den Präsidenten sind." Damit zerstörte der Verband seine letzte Glaubwürdigkeit.

Selbst der Weltverband Fifa hat diesmal schnell und zügig gehandelt. So verhängte die Disziplinarkommission unter Vorsitz von Jorge Ivan Palacio (Kolumbien) am Samstag eine vorläufige Sperre für alle fußballrelevanten Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene gegen Rubiales, der mit seinem erzwungenen Kuss und dem folgenden Verhalten das wohl größte Eigentor des spanischen Fußballs produzierte.

Gleichzeitig erging vom Weltverband die Weisung, dass Rubiales weder persönlich noch durch eine dritte Person Kontakt zu der Spielerin Hermoso oder ihrem direkten Umfeld Kontakt aufnehmen darf. Ungeachtet dessen läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Glatzkopf wegen Verstoßes gegen Artikel 13 des eigenen Reglements. Der Passus behandelt "Beleidigendes Verhalten und Verstöße gegen die Grundsätze des Fairplay".

Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF, küsst die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati
Australien, Sydney: Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF, küsst die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati auf dem Podium nach dem Sieg Spaniens im Finale der Fußballweltmeisterschaft der Frauen gegen England im Stadium Australia in Sydney.
© Alessandra Tarantino / DPA
Spanische Nationalspielerinnen drohen mit Streik – so lange Rubiales Verbandschef ist

Deutsche Nationalspielerin Laura Freigang kritisiert Rubiales scharf

Mit den Ermittlungen der Fifa hatte sich mit Laura Freigang eine der meinungsfreudigsten Nationalspielerinnen bereits vor drei Tagen positioniert. Die Aktion von Rubiales sei nämlich noch auf einer ganz anderen Ebene skandalös. "Wenn es ein Thema gibt, das den Frauenfußball neben dem Platz prägt, sind es stetig anhaltende Skandale rund um Sexismus im Sport", schrieb die Führungsspielerin von Eintracht Frankfurt in einem "Vogue"-Beitrag und verwies auf die Enthüllungen zum sexuellen Missbrauch in der National Women's Soccer League in den USA oder durch Sambias Nationaltrainer Bruce Mwape.

"Für mich zeigt Rubiales' Verhalten vor allem eines: wie wenig Sensibilität und Selbstreflexion er gegenüber Themen wie Sexualisierung, Sexismus und Machtverhältnissen im Sport besitzt", schrieb die 25-Jährige. "Macht bedeutet auch Verantwortung, und wenn man sich dieser nicht bewusst ist, sollte das Konsequenzen haben. Sollte auch hier wieder einmal nichts passieren, zeigt das einmal mehr, welch grundsätzliche Problematik wir auf vielen Machtebenen haben." Dass die Weltmeisterin Hermoso vor einem Millionenpublikum gegen ihren Willen geküsst wurde, indem der Verbandschef ihren Kopf mit seinen Händen umfasste, steht inzwischen eigentlich außer Frage.

"Ich möchte klarstellen, dass ich, wie auf den Bildern zu sehen war, zu keinem Zeitpunkt in den Kuss eingewilligt habe, den er (Rubiales; Anm. d. Red.) mir gab, und natürlich habe ich in keinem Fall versucht, mich dem Präsidenten zu nähern", ließ die 33-Jährige über die Spielerinnengewerkschaft Futpro wissen. "Ich fühlte mich verletzlich und Opfer einer Aggression, eines impulsiven Verhaltens, eines Machos, fehl am Platz und ohne meine Zustimmung."

Schon kurz nach dem WM-Triumph hatte die torgefährliche Mittelfeldspielerin gesagt, die Aktion habe ihr "nicht gefallen", dann hieß es plötzlich, der ominöse Kuss habe im gegenseitigen Einvernehmen stattgefunden. Angebliche Aussagen, die der RFEF an spanische Medien weitergab, die aber frei erfunden waren. Passend zu einem affärenumtosten Funktionär, der sich die (Fußball-)Welt macht, wie sie ihm gefällt. Seit 2018 führt Rubiales seine Institution in Gutsherrenart. Geht es nach der spanischen Regierung und Sportminister Miquel Iceta, sollte der Mann so schnell wie möglich seinen Posten räumen.

Offenbar merken Rubiales und seine Gefolgsleute immer noch nicht, was sie anrichten. Nach der Revolte von 15 Nationalspielerinnen aus dem vergangenen Jahr kommt es nun zum endgültigen Bruch mit 81 aktuellen und ehemaligen Aktiven, die nicht mehr das Trikot für "La Furia Roja" tragen werden, so lange Rubiales im Amt bleibt. Darunter befinden sich von Weltfußballerin Alexia Putellas bis zur früheren Bundesligaspielerin Vero Boquete die prominentesten Namen.

Uefa-Präsident Aleksander Ceferin schweigt bisher

Zudem habe das gesamte Trainerteam der Weltmeisterinnen aus Solidarität mit Hermoso seinen Rücktritt erklärt, berichteten spanische Medien. Selbst Nationaltrainer Jorge Vilda, der über die Verbindung seines im Verband tätigen Vaters Angel Vilda lange eng an der Seite seines Verbandschefs stand, hielt nun in einer Stellungnahme fest: "Das ist zweifellos inakzeptabel und entspricht in keinster Weise den Prinzipien und Werten, die ich in meinem Leben, im Sport im Allgemeinen und im Fußball im Besonderen vertrete." Auch Männer-Nationaltrainer Luis de la Fuente distanzierte sich vom Vorgesetzten, dem er aber am Freitag bei der Generalversammlung noch applaudierte, als Rubiales wortreich seinen Rücktritt ausschloss.

Frauen-Nationalcoach Vilda könnte mit seinem Richtungswechsel versuchen, seinen eigenen Job zu retten. Denn der 42-Jährige spürt ja, dass es unter diesen Umständen unmöglich ist, ein Nationalteam in die Nations-League-Partien am 22. September beim neuen Fifa-Weltranglistenersten Schweden und dann am 26. September gegen die Schweiz aufzustellen, wenn es um die Olympia-Qualifikation geht. Das Beben reicht bis an die Basis: Trainer und Trainerinnen für die Juniorinnen-Nationalteams sollen ebenso ihren Job niedergelegt haben. Und prompt kommen neue Vorwürfe auf: So seien vor allem weibliche Funktionäre bei der Generalversammlung gezwungen worden, in der ersten Reihe zu sitzen, um weibliche Solidarität vorzugaukeln.

Interessant, dass sich Uefa-Präsident Aleksander Ceferin bislang nicht zu der Causa äußerte: Der Slowene hatte bereits 2019 den spanischen Verbandschef zu einem seiner Vizepräsidenten gemacht, nachdem DFB-Chef Reinhard Grindel über seine Uhrenaffäre gestolpert war. Dass Verhältnis zwischen Ceferin und Rubiales wird als vertrauensvoll beschrieben. In Nyon tut man sich mit Stellungnahmen schwer. Nichts möchte bislang auch Nadine Keßler sagen, die bei der Uefa als Abteilungsleiterin Frauenfußball tätig ist und als künftige Geschäftsführerin des DFB gehandelt wird. Die 35-Jährige hatte auf dem Fifa-Kongress in Sydney einen Tag vor dem WM-Finale zwischen Spanien und England (1:0) alle Interviewanfragen abgelehnt, was durch das damals öffentlich gewordene Interesse des DFB noch verständlich wirkte. Dieser Fall aber verlangt eigentlich zügig nach einer klaren Haltung.

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