Anpfiff - Wiechmanns WM-Kolumne Duell der Fußball-Philosophen

Brasiliens Fußball-Idole sind entweder korrupt, heiraten ständig oder sorgen anderweitig für peinliche Auftritte, sagt ein Landsmann. Aber ist das in Deutschland wirklich anders?

Beim Kicken am Strand von Ipanema sagte mein Mitspieler Carlos, ein pensionierter Lehrer: Ihr Deutschen habt Glück. Ihr habt Idole wie Beckenbauer, wahre Fußball-Philosophen. Wir haben Pelé. Von Pelé stammen so banale Sätze wie: "Erfolg ist kein Zufall." Ich sagte, Beckenbauer ist ziemlich weit entfernt von einem Fußballphilosophen. Von Beckenbauer stammen Sätze wie: "Die Schweden sind keine Holländer." Oder auch: "Es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage."

Wirklich?, fragte Carlos erstaunt. Aber dafür habt ihr keinen wie Romario. Romario war dreimal verheiratet und hat immer neue Frauen, zuletzt eine Miss Bum Bum 2012. Bum Bum ist in Brasilien die Bezeichnung für den Hintern. Ich sagte: Das ist nichts gegen Lothar Matthäus. Matthäus heiratet ungefähr einmal im Jahr neu. Und Bum Bum würde auch passen. Matthäus?, sagte Carlos - glaube ich nicht.

Hoeneß und Rummenigge lassen grüßen

Carlos hat - wie viele Brasilianer - eine etwas klischeehafte Vorstellung vom deutschen Fußball. Er weiß, dass die Deutschen derzeit brasilianischer spielen als die Brasilianer. Er weiß auch, dass die Spieler nicht mehr nur Maier und Müller heißen, sondern Özil, Khedira und Boateng. Aber er kann es nur schwer in Einklang bringen mit seinem Bild vom braven, effektiven deutschen Maschinenfußballer.

Carlos sagte: In Brasilien haben wir Fußballstars, die sich für Sänger halten. Ronaldinho nimmt Songs wie "Goleador" (Torschütze) auf. Und: "Geh im Glauben." Ich hielt entgegen, dass Beckenbauer einst den Schlager "Gute Freunde kann niemand trennen" aufnahm. Und Matthäus eine Pop-Version vom Volkslied: "Muss I denn zum Städtele hinaus?"

Städtele? fragte Carlos.

Dafür sei Brasiliens Fußball voller korrupter Funktionäre, sagte Carlos, anders als bei Euch in Europa. Korrupt vielleicht nicht, entgegnete ich, aber wir haben Steuerhinterzieher wie Uli Hoeneß und Uhrenschmuggler wie der vorbestrafte Karl-Heinz Rummenigge.

Warum sollte Rummenigge Uhren schmuggeln?, fragte Carlos. – Tja, warum lassen sich Funktionäre bestechen?

Sókrates schlägt Breitner

Später, beim Bier, sagte Carlos: Und dann hatten wir den Zauberspieler Sókrates. Promovierter Mediziner. Sozialist. Intellektueller. Mitgründer der Demokratiebewegung. Romanautor. Wilde Mähne.

Ich dachte kurz an Paul Breitner, aber nichts lag ferner. Carlos hatte gewonnen.

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