stern-WM-Jury: Deutschland - Portugal "So will ich das bitte wieder haben!"

Es war ein wunderbares Spiel der Deutschen gegen Portugal. Da gibt es wohl keine zwei Meinungen. Aber verschiedene Perspektiven. Die stern-WM-Jury bewertet den ersten Auftritt von Jogis Jungs.

Ronaldo ist so ein Angeber!

Deutschland hat verdient gewonnen und war von Anfang an besser als Portugal. Sie hatten gute Spielzüge, mehr Ballbesitz und bessere Torchancen. Allerdings hätte Deutschland noch mehr Tore schießen können. Özil und Götze haben zwei klare Torchancen vergeigt. Müller hat gut gespielt, seine drei Tore waren toll.

Portugal ist nicht durchgekommen. Die Kopfnuss, für die Pepe die rote Karte bekommen hat, war total unnötig! Ronaldo hat zu wenig gegeben, man hat nicht viel von ihm gesehen. Nach dem 3:0 hat Portugal auch aufgehört zu spielen. Ronaldo ist zwar der beste Fussballer der Welt, aber er ist auch so ein Angeber: Beim Champions-League-Sieg machte er nach dem Elfmeter zum 4:1 Ballotelli nach und zog sein Trikot aus und jetzt heult er und geht beleidigt vom Platz!

Das Spiel war - leider geil

Ich hätte ja schon gleich vor dem Anpfiff abschalten können. Von den Portugiesen stimmt jeder die Nationalhymne an, nur bei den Deutschen bleibt der eine oder andere stumm. Hallo? Nationalmannschaft! Das hat gleich wieder meine Abneigung gegen Fußball bestärkt. Ein von einer Söldnermentalität dominierter Sport – heute spiele ich hier, morgen dort. Da kriege ich schon wieder einen dicken Hals. Angeschwollen war der ohnehin schon als die Fifa-Flagge auf den Platz getragen wurde. Ich habe absolut keine Ahnung vom Fußball, aber das muss man wohl auch nicht. Wie sehr einem das Geschiebe und Gemauschel dieses Altmännervereins förmlich anspringt. Fußball hat mich nie gepackt, und es ist mir auch schleierhaft, wie man für oder gegen einen Verein sein kann. Bei einer Weltmeisterschaft fällt mir das schon leichter, schließlich heißt der Verein hier Deutschland. Das passt schon. Und dass der Kommentator unsere Regierungschefin "Angie" nennt, hat auch was. Das ist so knapp unterhalb von "Mutti".

Das Spiel selbst fand ich – leider geil. Ich muss es so sagen. Ich kann es leider nur nicht beurteilen: Abseits, Freistoß, Ecke, abgelegt, Strafraum – für mich Fremdwörter. Beim Kommentator dachte ich ständig, ich brauche einen Zweikanalton: Ein Kanal für das, was er sagt, den anderen für die Übersetzung.

Als die Portugiesen dann die zweite oder dritte Torchance versemmelten, dachte ich noch, wie lange das südländische Temperament wohl mit der Schmach zurechtkommt. Keine zwei Minuten später hat dann dieser tätowierte Chefmacho, Name leider vergessen, dem Müller eins in die Fresse gehauen und mit dem Kopf dann "nachgestoßen". Wie dämlich war das denn! Also diesen Teil vom Spiel fand ich am besten! Draußen in den Nachbargärten höre ich Böller knallen. Bin mit meiner Meinung offenbar nicht allein. Und Ronaldo, die arme Sau. Zwei Freistöße nicht verwandelt und auch sonst eher zurückhaltend. Wie das so ein Typ wohl verkraftet? Gesprächstherapie? Könnte helfen. Ich schaue jetzt mal bei Wikipedia die Fußballregeln an. Lohnt sich ja möglicherweise doch! Zumindest für die noch anstehenden WM-Spiele.

Jubel im Auto, kurz vor Boston

Seit fast einem Jahr lebe ich nun in den USA. Bis zum Umzug liebte ich Fußball. Spiele der deutschen Nationalmannschaft waren bei mir seit der Kindheit Pflicht. Bundesliga ebenso. Nun ja, das hat sich definitiv geändert. Ich weiß zwar, dass Bayern mal wieder Meister geworden ist. Aber ich habe nicht ein Spiel gesehen. Dasselbe gilt für das Team von Jogi Löw. Nicht, weil ich es nicht konnte. Aber Football oder Basketball gefielen mir dann doch irgendwie besser. Statt für Borussia Dortmund jubelte ich im letzen Jahr für die Seattle Seahawks und die San Antonio Spurs.

Zum Glück haben die Spurs vorgestern, gerade rechtzeitig zum deutschen Spiel gegen Portugal, die NBA-Meisterschaft klar gemacht. Endlich Zeit, die Fußball-WM zu schauen. Naja, stimmt nicht ganz. Das deutsche Spiel begann mittags um zwölf. Zur besten Arbeitszeit also. Public Viewing gibt es hier ohnehin nicht. Ist auch besser so. Denn das bedeutet in den USA "Aufbahrung einer Leiche".

Ich war auf dem Weg mit dem Auto von New York zu einem Interview in der Nähe von Boston als der Schiri das Spiel anpfiff. Zum Glück hatte ich mir die ESPN-App fürs Iphone heruntergeladen. So konnte ich unterwegs das Spiel schauen. Genau genommen auf einem Autobahnrastplatz kurz vor meinem Ziel. Die Bildqualität war mau. So wie ich es, nach den Berichten aus Deutschland, eigentlich vom deutschen Team erwartet hätte. Mein Vorurteil: Die goldene Generation um Schweinsteiger ist - wie Spanien - in die Jahre gekommen. Podolski, Lahm und Co. sind zwar noch nicht alt, aber als Fußballer schon sehr, sehr lange im Geschäft. Und vielleicht etwas schlapp geworden.

Pustekuchen. Nach neun Minuten saß ich jubelnd in meinem Auto. Cool gemacht, Thomas Müller. Und so ging es weiter. Ein leichtfüßiger Fußballrausch. Ich schaute zu, wie Ronaldo erst über den Platz gockelte, dann von Jerome Boateng 90 Minuten gedemütigt wurde und am Ende wie ein geprügelter Hund weg schlich. Und das Beste: All das ohne den Kommentar von Bela Rethy! Keine Superlative. Keine Sätze, die immer am Ende lauter werden. Kein dummes Geschwätz. Stattdessen der wunderbar naive Blick zweier Moderatoren, die im Laufe des Spiels ihre Begeisterung für den feinen Auftritt der deutschen Mannschaft entdeckten. Wunderbar. So will ich das bitte wieder haben.

Zur Halbzeit sind viele Portugiesen gegangen

Unsere kleine Kneipe liegt im Portugiesenviertel in Hamburg. Das heißt: Zu uns kommen viele Portugiesen zu Besuch. Sie kommen nach dem Feierabend. Die meisten arbeiten in den umliegenden Restaurants. Bei uns gönnen sie sich dann noch ein Bier und erzählen, was sie bewegt. Natürlich zeigen wir auf unserem Fernseher auch alle WM-Spiele.

Gestern Abend waren also auch viele Portugiesen da. Zumindest zum Anpfiff. Denn nachdem es 3:0 zur Halbzeit stand, sind viele gegangen. Die zweite Hälfte wollten sie sich nicht mehr antun. Sie haben die Hände vor den Kopf geschlagen und konnten nicht glauben, dass die Deutschen sie schon wieder besiegen. Die Stimmung war im Keller.

Allerdings eben nur bei den Portugiesen. Der Rest hat gefeiert. Zu jedem Deutschland-Tor ertönten Schiffshupen aus dem nahen Hafen. Drinnen am Tresen sind die Leute von ihren Hockern gesprungen. So darf die WM ruhig weitergehen, dann haben wir viele schöne Abende vor uns.

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