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Eindrücke aus Russland Ein Start nach Maß für Russland und für Putin - aber nicht für die Welt

Die WM in Russland ist eröffnet - und dem Gastgeber gelingt der perfekte Auftakt. Auch Präsident Wladimir Putin wird zufrieden sein. Aus Moskau berichtet stern-Reporter Jan Christoph Wiechmann.

So ähnlich muss sich Putin das vorgestellt haben. Er stellt sich vor die Welt, vor ein Millionenpublikum an den Bildschirmen, und nimmt in seiner Eröffnungsrede Wörter in den Mund wie "Frieden" und "Menschlichkeit" – und 78.000 Besucher im Luschniki-Stadion in Moskau klatschen brav. 

Auf dem Großbildschirm sieht es so aus, als säße Putin in einem TV-Studio. Neben ihm ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Er könnte auch im Kreml sein. Oder auf einem Landsitz. Die Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, war vor vier Jahren bei der Eröffnung noch ausgebuht worden. Putin strahlt.

Nach Putin kommt Gianni Infantino, Vorsitzender der ebenfalls nicht ganz unumstrittenen Organisation Fifa. Er sagt ein paar Worte auf Russisch und dankt Putin – und wieder jubeln 78.000 Zuschauer.

Dann geht die WM 2018 los. Auf den Werbebanden dominiert der russische Ölriese Gazprom. Kein Spruchband ist im Stadion zu sehen, keine Proteste gegen die Verfolgung politisch Andersdenkender und Homosexueller oder gegen die militärischen Interventionen in der Ukraine oder Syrien.

Es sind die ersten Spiele im Zeitalter der Renaissance von Autokratien.

Die Teams auf dem Rasen spielen mit

Und dann spielen auch noch die 22 Hauptakteure auf dem Rasen mit. Die Russen, nur 70. der Weltrangliste, haben kein gutes Team, aber sie agieren mit viel Engagement. Die Saudis spielen so, als habe Putin ihnen persönlich verboten, in Strafraumnähe zu kommen. In der Abwehr lassen sie so viel zu, dass Russland einige Tore mehr hätten schießen können. Beim 1:0 luden sie gleich zwei Russen zum Kopfball ein. Beim 2:0 liefen sie herum wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. 

Jedes Mal jubeln 78.000 Zuschauer frenetisch. Aber die Wahrheit ist: Da spielen zwei Teams, die nicht weit kommen werden. Der Fußball ist lau.

Auf der Pressekonferenz wird der saudische Trainer Pizzi gefragt, ob das Debakel seinen Kopf kosten könnte. Er sagt, dass er sich auf den nächsten Gegner Uruguay konzentriere. Und er sagt der wahrsten Satz des Abends: "Wir haben nicht verloren, weil die so gut, sondern weil wir so schlecht waren."

Robbie Williams steht im roten Jackett mit Leo-Print auf der Bühne und hält seinen Mittelfinger in die Kamera

Der russische Trainer Tschertschessow muss zu Beginn der Pressekonferenz erst mal aus dem Saal. Präsident Putin ruft an und gratuliert. Tschertschessow wird danach gefragt, wer es denn war, und er sagt stolz: "Das Staatsoberhaupt." 

Putin ist auch bei der PK noch präsent.

Dann fragen russische Journalisten ihn untertänig, ob die Siege nicht so weiter gehen könnten. Dass die ganze Welt über die fünf Tore reden werde und wie gut Russland sei. Einige tragen die Nationalfarben auf den Wangen. Sie passen gut in das Propagandaspektakel. 

Der Trainer sagt: "Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber es ist ein Crescendo: Erst Saudi-Arabien, dann Ägypten, dann Uruguay. Wir sollten dieses Spiel vergessen."

Das ist der zweite wahre Satz des Abends. 

WM 2018: Ein guter Auftakt für Russland und Putin

Draußen vor dem Stadion ist die Stimmung gut, aber die russischen Fans verschwinden schnell in der Nacht. An ihrer Stelle feiern Kolumbianer, Mexikaner, Argentinier. Nicht den Sieg Russlands, sondern ihre Präsenz. Sie wollen den Fußball feiern und sich selber und die Verbrüderung mit den anderen Fußballverrückten. All das, wofür eine WM gut ist.

Politik ist hier weit weg. Der Fußball hat sich noch nie geeignet, um in politisch schwierigen Zeiten Zeichen zu setzen. Und sollte es doch einer versuchen, kann man sich gut vorstellen, was von den zigtausenden Sicherheitskräften zu erwarten ist, die am Stadion patrouillieren.

WM 2018. Ein guter Auftakt für Russland und Putin. Nicht für den Fußball. Nicht für die Welt. 

Eindrücke aus Russland: Ein Start nach Maß für Russland und für Putin - aber nicht für die Welt

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