André Lange ist cool, sehr cool. Er sieht die Sache gelassen. Dass der 36-Jährige zum Fahnenträger der deutschen Mannschaft für die Eröffnungsfeier ausgewählt wurde, hat ihn deutlich mehr aufgewühlt, als die Beschäftigung mit den olympischen Bob-Wettbewerben. "Ich werde achtmal den Berg herunterfahren. Das ist nicht viel anders als bei anderen Rennen", sagt der Sportsoldat. Olympia regt ihn bei seiner dritten Teilnahme nicht auf, eher die Bären, die die Gegend um den Eiskanal unsicher machen. Im Whistler Sliding Center an der Glacier Lane steigt der Doppel-Olympiasieger von 2006 erst am 21. und 27. Februar in den Medaillenkampf ein. Beim zweiten Termin, am Tag vor der Schlussfeier, könnte das deutsche Team bei den 21. Olympischen Winterspielen wieder als beste Wintersportnation der Welt feststehen. Oder Lange soll es mit einem Erfolg wieder auf Platz eins führen. "Wir wollen unsere Spitzenposition, die wir 2006 in Turin erkämpft haben, verteidigen", sagt Bernhard Schwank, der Chef de Mission der 153 schwarz-rot-goldenen Olympioniken.
Am Samstag, um etwa 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit, wird auf der kleinen Schanze im Skispringen die erste von 86 Entscheidungen fallen. Martin Schmitt und seine Kollegen sind gefordert. Beim Biathlon-Sprint der Frauen (bis 23.10 Uhr) werden die Chancen auf einen Top-Platz wesentlich besser eingestuft. "Wir erwarten schon am ersten Wochenende die ersten Erfolge", erklärt Schwank. Die schrecklich schnelle Riesch-Familie in der Super-Kombination der alpinen Ski-Damen (Sonntag bis 23 Uhr), die Nordischen Kombinierer um Björn Kircheisen sowie Michael Greis, der Dreifach-Goldgewinner von Turin, im 10-km-Rennen der Biathleten sind heiße Eisen. Im Schatten der Berge Blackcomb und Whistler Mountain soll der neue Sturm auf die Spitze beginnen.
Zwei Dutzend Medaillen möglich
Elf Gold-, zwölf Silber- und sechs Bronzemedaillen gewann Deutschland vor vier Jahren und lag in der Nationenwertung vor den USA (9/9/7), Österreich (9/7/7), Russland (8/6/8) und dem diesjährigen Gastgeber Kanada (7/10/7). Eine Medaillenprognose wagen Schwank und andere Leistungssportverantwortliche des Deutschen Olympischen Sport-Bundes (DOSB) in Vancouver nicht. "Eine konkrete Zahl gibt es nicht", sagt Schwank. Die Erwartungen an die Athleten seien hoch, erklärt der frühere Leistungssportchef. Man könne auch zufrieden sei, wenn möglicherweise ein Rückschritt auf Platz zwei oder drei der Medaillenwertung in Kauf genommen werden muss. Zu viel ist im Wintersport von den Bedingungen und somit von Zufällen abhängig. Auch Lange, der immer zu den Topfavoriten bei den großen Wettbewerben gehört, formuliert lediglich das kleine Ziel, er wolle "um die Medaillen mitfahren". Nach Materialproblemen zu Saisonbeginn zeigte der Thüringer erst zuletzt wieder seine Siegform.
Zwei Dutzend Medaillen könnte die Sammlung bei günstigem Verlauf und etwas Wettkampfglück am Ende sicherlich umfassen. "15 Medaillen plus X - das ist sach- und fachgerecht und realistisch", erklärt Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) für seinen Bereich. Dazu gehören die alpinen Ski-Damen mit den Weltmeisterinnen Kathrin Hölzl und Maria Riesch, die Nordischen Kombinierer, die Skispringer, Langläufer und Biathleten. Beim Langlauf mit Schießeinlage sind die Frauen mit Turin-Siegerin Kati Wilhelm, Simone Hauswald, Andrea Henkel und Magdalena Neuner stärker als die Männer. Sobald es um Staffel- oder Mannschaftsentscheidungen geht, gehören aber alle Starter des DSV in sämtlichen Disziplinen zu den Edelmetall-Kandidaten. Snowboarderin Amelie Kober oder Skicrosser Simon Stickl heißen die DSV-Hoffungsträger in den jüngeren Sportarten. Die Schlittensportler, also Bob, Rodel und Skeleton, jeweils mit Frauen und Männern, rechnen mit neun Medaillen. Der erst 20-jährige Felix Loch könnte im Rodel-Einsitzer in die Spur von Georg Hackl fahren, dem Olympiasieger von 1992, 1994 und 1998. Neu ist, dass auch die "Skeletonis" zu den Topfavoriten zählen.
Friesinger wird bescheiden
In den Eispalästen der malerisch am Pazifik gelegenen Gastgeberstadt Vancouver gelten die zweimaligen Welt- und dreimaligen Europameister Aljona Savchenko und Robin Szolkowy im Paarlauf als Medaillen-Bank. Ob Gold oder Silber - das ist nach der Niederlage bei der EM vor einigen Wochen allerdings fraglich geworden. Die Eisschnellläufer haben die besten Zeiten wohl hinter sich. Fünf oder drei Goldene wie 1992 oder 2002, als insgesamt elf bzw. acht Medaillen erlaufen wurden, sind utopisch. In Turin lautete die als unbefriedigend eingestufte Bilanz 1-1-1, also ein kompletter Medaillensatz. Würden Gold, Silber, Bronze in diesem Jahr produziert, wäre dies großartig. Jenny Wolf hat sich selbstbewusst den Olympiasieg über 500 m zum Ziel gesetzt. "Keiner nimmt mir ab, wenn ich mit Silber zufrieden wäre", sagte die Berlinerin.
Anni Friesinger, die in Turin Team-Gold und Einzel-Silber über 1500 m gewann, wäre froh, wenn sie nach gesundheitlichen Problemen aufs Siegertreppchen dürfte. Die Shorttracker sind deutlich besser geworden, aber ein Medaillengewinn wäre eine Sensation. Doch in der Sportart mit ihren vielen Stürzen sind die Deutschen näher an einer Medaille als die Eishockeyspieler oder die beiden Curling-Teams. Für sie gilt das schöne, alte Olympia-Motto: "Dabei sein ist alles."