Es gibt diese Momente, in denen das Schicksal einfach zuschlägt. Geschieht das im Sport, gibt es meist einen glücklichen Gewinner und einen bitter enttäuschten Verlierer. Die beiden deutschen Sprinterinnen Kristina Vogel und Miriam Welte hatten an diesem denkwürdigen Olympia-Auftakt für die deutschen Bahnradfahrer das Schicksal auf ihrer Seite. Sie fügten den außergewöhnlichen Gewinner-und-Verlierer-Geschichten eine weitere Variante hinzu. Gleich zweimal profitierten sie vom Ungeschick ihrer Gegnerinnen und standen am Ende mit einer Goldmedaille da, der vierten des deutschen Olympiateams. "Das muss ich erst einmal sacken lassen", meinte Miriam Welte. Und auch Kristina Vogel wusste nicht, wie ihr geschah: "So viel Glück auf unserer Seite - komisch."
Die beiden, immerhin amtierende Weltmeisterinnen, standen kurz nach dem Ende des Rennens im Innenraum des Velodroms. In ihren Gesichtern spiegelte sich der ganze Verlauf des Dramas wieder – genau wie bei ihren chinesischen Gegnerinnen, die sich kurz nach der Zieleinfahrt wie die sicheren Sieger fühlten. Doch dann geschah das Unglaubliche, auf der Anzeigentafel leuchtete der Name des Siegerteams auf: Statt einer roten Fahne prangten dort die Farben Schwarz-Rot-Gold - Kristina Vogel und Miriam Welte blickten zunächst ungläubig, schließlich wurde es zur Gewissheit. Die Rennleitung hatte die Chinesinnen wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert. Welte und Vogel konnten ihr Glück kaum fassen, während bei ihren Gegnerinnen die Gesichtszüge entgleisten. Die Chinesinnen waren in ihren beiden Duellen zuvor jeweils Weltrekord gefahren und verloren jetzt die Goldmedaille durch einen Patzer.
Wechselfehler kommen häufiger vor
Es ist im Teamsprint keine Seltenheit, dass Mannschaften durch Wechselfehler disqualifiziert werden. Die deutschen Männer waren durch dieses Missgeschick bei der WM im April aussichtslos zurückgestuft worden und hatten keine Chance mehr auf den WM-Titel. Doch außergewöhnlich wurde die Geschichte von Welte und Vogel im Olympia-Velodrom dadurch, dass sie erst durch eine Disqualifikation der Britinnen in der Qualifikation überhaupt ins Finale gerückt waren. Sie hatten nur die drittbeste Zeit gefahren und hätten eigentlich um Bronze fahren müssen. Auch das Team des Gastgebers beging einen Wechselfehler und brachte sich um die Chance auf Gold. "So viel Glück hat man selten im Leben. Ein Podiumsplatz war verdient. Dass es Gold wurde, ist für die anderen schade, für uns gut", sagte Bundestrainer Detlef Uibel.
Welte hatte nach dem Gold-Coup Mühe, ihr Glück zu begreifen. "Das ist natürlich komisch, durch zwei Wechselfehler Olympiasieger zu werden. Der Frauen-Teamsprint ist das erste Mal olympisch und deswegen haben wir jetzt Geschichte geschrieben. An unsere Namen wird man sich erinnern", jubelte sie.
Auch die Männer sind erfolgreich
Doch damit war es ja nicht genug. Nach dem Frauen-Finale gewann das deutsche Männersprintteam Bronze. Auch diesem Erfolg ging eine Geschichte voraus. Stefan Nimke, amtierender Weltmeister über die 1000-Meter-Distanz, gab kurz vor dem Wettkampf verletzt auf. Er wurde kurzerhand durch Robert Förstemann ersetzt, der zusammen mit René Enders und Maximilian Levy im kleinen Finale schneller war als die Australier. Das von den Deutschen erhoffte Gold schnappten sich die unangefochtenen Briten mit dem vielumjubelten Supermann Chris Hoy als Schlussfahrer. Der 36-Jährige heimste seine insgesamt fünfte Goldmedaille ein und ist damit gemeinsam mit dem Ruderer Steve Redgrave britischer Rekord-Olympiasieger.
Das Velodrom mit seinen 6000 Zuschauern glich nach dem Heimsieg einer Disco mit royalem Touch. Premierminister David Cameron und die Prinzen William mit Gattin Kate und Harry jubelten zu den Klängen von David Bowies "Heroes". "So jemand Prominentes guckt sich Bahnradsport an - das ist doch toll", fand Kristina Vogel, die ähnlichen Zuspruch aus Deutschland nicht kennt. Von der Stimmung ließen sich auch die beiden deutschen Sprinterinnen mitreißen - sie sangen bei der Siegerehrung die deutsche Nationalhymne Arm in Arm lautstark mit.