Läuft doch. Seit dem Wochenende kämpfen in Peking die weltbesten Wintersportler um Gold. Und die TV-Quoten sind, wie zu erwarten, fantastisch. Bis zu 44,5 Prozent Marktanteil: Fast jeder zweite TV-Zuschauer ist dabei, wenn Biathleten dampfend auf kleine schwarze Scheiben schießen oder die Rodler die Eisröhren hinunterflitzen im Wettbewerb um tausendstel Sekunden. Das ist ungefähr so lang, wie ein Schmerz bis zum Gehirn braucht.
Sport im Fernsehen: mehr Gefühl geht nicht. Weder die tollste Unterhaltungsshow noch der unerträglich spannendste Krimi – nichts kann mithalten, wenn genau in diesem Moment irgendwo auf der Erde Sportler live um den Sieg ringen. Wenn wir mitfiebern, weil uns der eine einfach sympathischer ist oder weil wir wissen, dass die andere sich wieder an die Spitze trainiert hat, obwohl sie schon abgeschrieben war. Der Sport steckt voller Geschichten: Sie zu erleben ist wie das Theater eine der Uralt-Zerstreuungen des Menschen. Man muss noch nicht mal Sportler sein, um dieser Faszination zu erliegen, dem archaischen Kampf um Sieg oder Niederlage.
"Der Sport steckt voller Geschichten: Sie zu erleben ist wie das Theater eine der Uralt-Zerstreuungen des Menschen"
Gerade bei Olympischen Spielen, wo millionenschwere Sportprofis in der Minderheit sind. Auch denen schauen wir gern zu – sie machen halt ihren Job, wie einst die Gladiatoren. Aber wie viel reizvoller sind die halbprofessionellen Amateure, die auch in Disziplinen antreten, die wir sonst kaum zu sehen bekommen. Jahrelang haben sie ihre Körper immer wieder über die Schmerzgrenze hinaus trainiert, streng mit sich selbst, ein einziges Ziel vor Augen: Olympia! Und jetzt ist der Tag, der Moment endlich da: Jetzt müssen sie liefern, Höchstleistung abrufen, und wir dürfen live dabei sein und zusehen: Triumph! Oder Scheitern?
IOC machte aus Sportbegeisterung ein zynisches Geschäftsmodell
Es fällt mir schwer, in diese Begeisterung hineinzugrätschen. Niemand kann sich dem Kitzel sportlicher Höchstleistungen verschließen. Und so ist der Jubel des Publikums für die Sportler Teil der Belohnung für ihre jahrelange, oft einsame Plackerei. Auch in der Niederlage: Nur die Begeisterung der Zuschauer bleibt, um darüber hinwegzukommen.
Und deswegen ist die Beziehung zwischen den Milliarden Zuschauern der Olympischen Spiele und den Tausenden Spitzensportlern so wichtig. Ihr rackert euch ab, wir verneigen uns vor euch, egal, auf welchem Platz ihr am Ende landet. Unser Respekt ist Teil eures Lohns. Und wenn ihr damit Geld verdient durch Werbe- und Sponsorenverträge: völlig in Ordnung!
Aber was das Internationale Olympische Komitee (IOC) aus unserer Sportbegeisterung gemacht hat, ist verkommen zum zynischen Geschäftsmodell: Wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag für die nächste Austragung – und kann sich vor der Weltöffentlichkeit als Hort des Friedens und der Fairness präsentieren. Im Falle Chinas eine einzige Lüge. Als ob es die Spiele in Berlin 1936 nie gegeben hätte.
Abschalten, auch wenn es wehtut
Aber wollen wir weiter darüber lamentieren? Ertragen, wie ARD und ZDF sich mit ein paar kritischen Reportagen ein journalistisches Alibi basteln, nachdem sie geschätzt 50 Millionen Euro Gebührengelder für die Übertragungsrechte aus Peking gezahlt haben?
Solange wir weiter zuschauen, wird sich an alldem nichts ändern. Wir haben es in der Hand. Buchstäblich: Es sind die Knöpfe der Fernbedienung und Tastaturen, die den IOC-Herrschern und den autokratischen Regimes ihr Geschäft ermöglichen, auf Kosten von Minderheiten und Menschenrechten. Nur wenn wir weniger oder gar nicht mehr einschalten, wird ihr Plan nicht mehr funktionieren. Es wäre ein Zeichen gegen die Übermacht des Geldes. Und auf keinen Fall eine Abkehr von großartigen Sportlerinnen und Sportlern.