15 Minuten vergingen, 20 Minuten, 30 Minuten, wo blieben sie, die deutschen Handball-Götter? In den Katakomben der Kölnarena drängte sich das Pressevolk in Fünferreihen vor der Absperrung der Mixed-Zone, um die Jungs von Trainer Heiner Brand in "Empfang" zu nehmen. Die Journalisten lechzten nach dem denkwürdigen Halbfinal-Sieg über Frankreich nach den ach so beliebten O-Tönen. Aber wer weiter nicht kam, war die Mannschaft. Und das hatte gute Gründe.
Auch rund eine halbe Stunde nach der Schlusssirene, die durch den infernalischen Lärm übertönt wurde, standen die 19.000 Menschen immer noch auf ihren Sitzen und jubelten den deutschen Handball-Nationalspielern enthusiastisch zu: "Deutschland, Deutschland“ und "Finale", skandierten sie und wollten nicht mehr aufhören. Es war der berühmte Trancezustand, in dem sich gleichsam Zuschauer und Spieler befanden. Ein Trancezustand ausgelöst durch 80 unvergessliche Minuten, nach denen die deutschen Handballer das Finale der WM im eigenen Land erreicht hatten. Nach zwei Verlängerungen stand es am Ende 32:31 für das DHB-Team und es schien so, als würden die Fans in Köln stellvertretend für ein ganzes Land der Welt zurufen wollen: "Seht her, bei der Fußball-WM sind wir zwar knapp vor dem Finale gescheitert, aber im Handball kann uns das Endspiel jetzt niemand mehr nehmen."
"Wille, Wille, Wille"
Als die Spieler nach der Jubelorgie in Schwarz-Rot-Gold den Innenraum durch ein Spalier schließlich doch irgendwann verließen, lächelten sie immer noch entrückt. Torsten "Toto" Jansen lief nur kopfschüttelnd und mit Deutschland-Fahne um den Hals an den Kamerateams vorbei: "Kein Kommentar". Christian Zeitz wollte auch nichts sagen, erheiterte aber dennoch die Pressemeute, weil er ein Schild mit der Aufschrift "Suche 2 Karten fürs Finale" trug. Der erste, der seine Sprache wieder fand, war der Kapitän. Jener Markus Baur also, der mit einem Siebenmeter gut eine Minute vor dem Abpfiff den entscheidenden Treffer für die DHB-Mannschaft erzielt hatte. In Baurs Worten schwang das pure Selbstbewusstsein und die moralische Stärke dieser Truppe mit: "Ich war vor Beginn der Verlängerung total davon überzeugt, dass wir heute gewinnen." Einen Gruß in Richtung des polnischen Team schickte der verlängerte Arm des Trainers gleich hinterher: "Die müssen sich im Finale schon anstrengen, wenn sie gegen uns gewinnen wollen."
Ersatzkeeper Johannes Bitter ging sogar noch einen Schritt weiter: "Mit diesen Fans im Rücken ist es schlichtweg unmöglich, zu verlieren", so der baumlange Torwart, der mit puterrotem Gesicht sichtlich um Fassung rang. Dass der Heimvorteil beim "Projekt Gold 2007" möglicherweise der entscheidende Faktor sein könnte, machte nach der magischen Partie gegen Frankreich auch Spielmacher-Backup Michael Kraus deutlich: "Die Zuschauer peitschen uns immer bedingungslos nach vorne. Da muss man manchmal sogar ein bisschen aufpassen. Aber den Gegner beeindruckt das schon. Den Franzosen hat man das heute auch angemerkt." Die entscheidende Phase des Spiels ab der Verlängerung fasste "Mimi" Kraus, der einst beim Wettbewerb einer bekannten Jugendzeitschrift zum "Bravo Boy 2000" gewählt wurde, kurz und knapp, aber durchaus anschaulich so zusammen: "Es hieß nur noch auf die Zähne beißen und Wille, Wille, Wille."
Schlechter Stil der Verlierer
Und die Franzosen? Die zeigten sich hinterher wie schon andere deutsche Gegner bei dieser WM als schlechte Verlierer. Der siebenfache Torschütze Joel Abati meinte gegenüber stern.de: "Die Schiedsrichter haben es uns versagt, hier und heute zu gewinnen." Abati spielte dabei auf eine strittige Szene kurz vor Ende der Partie an, als sein Mitspieler Michael Guigou den Ball im Netz unterbringen konnte. Das schwedische Schiri-Gespann hatte das Spiel aber schon unterbrochen. Vier Sekunden vor der Schlusssirene ließen die Unparteiischen die Uhr anhalten, die plötzlich weitere drei Sekunden herunter lief. Nach wilden Protesten erhielten die Franzosen zwei Sekunden der abgelaufenen Zeit zurück, scheiterten mit dem letzten Wurf aber an der deutschen Nummer Eins. Der Trainer der Franzosen, Claude Onesta, war hinterher immer noch so erzürnt, dass er gar der Pressekonferenz fernblieb. Das war wirklich kein guter Stil der Gäste.
So saß Bundestrainer Heiner Brand schließlich einsam und alleine und über eine Stunde nach Spielschluss vor der versammelten Presse und was er sagte, war mal wieder von großem unterhaltsamen Wert: "Erwarten sie von mir bitte keine Analyse zum Spiel. Ich bin selbst noch etwas verwirrt." Handball macht in diesen Tagen wirklich jeden wahnsinnig.