Ein Ultraman ist einer der härtesten Wettkämpfe der Welt: Er beinhaltet an drei Tagen zehn Kilometer Schwimmen, 421 Kilometer Radfahren und zum Abschluss noch einen Doppelmarathon von 84 Kilometern. Beim Ultraman Hawaii umrunden die Teilnehmer dabei einmal "Big Island", die größte Insel des US-Bundesstaats. Hans-Jürgen Schley hatte bereits viermal erfolgreich am Ironman Hawaii teilgenommen, als er 1993 zum Ultraman auf die Insel eingeladen wurde. Der Amateur aus Stadtlohn im Münsterland reiste mit einem Riesenrespekt als Außenseiter nach Kailua-Kona und schaffte die Sensation: Als erster Nicht-Amerikaner gewann er den Ultraman - und das sogar mit großem Abstand. Schley war darüber hinaus auch der erste Athlet überhaupt, der alle drei Teildisziplinen gewinnen konnte. Und das, obwohl er sich bei einem Sturz mit dem Rennrad am zweiten Tag einen Knochenbruch zugezogen hatte.
"Lauf der tausend Schmerzen" schrieb Reporter Bernhard Mathmann später über das Rennen. Der damalige Leiter des Sport-Ressorts der "Münsterland Zeitung" war als Berichterstatter und Teil von Schleys Wettkampf-Team dabei. Im Interview mit dem stern erinnert sich der heute 62-Jährige an die Zeit auf Hawaii. Auch die Hürden bei der Berichterstattung - Handy und Internet standen ihm noch nicht zur Verfügung - sind Mathmann noch bestens in Erinnerung:
Herr Mathmann, wie kam ein westfälischer Amateur zu der Ehre, als einer von nur knapp 20 ausgesuchten Teilnehmern zum Ultraman nach Hawaii eingeladen zu werden?
Hans-Jürgen Schley hatte sich 1993 durch die mehrfachen Starts beim Ironman Hawaii für einen der damals vergebenen 19 Starterplätze ins Rennen gebracht. Viermal hatte er zwischen 1988 und 1992 bei diesem "Triathleten-Traum" gefinisht. Zudem trug der damals 37-jährige Familienvater 1991 und 1992 das Trikot der deutschen Triathlon-Nationalmannschaft. Das war dem Veranstalter "Empfehlung" genug.
Schley war der erste Deutsche - und sogar der erste Nicht-Amerikaner -, der den Ultraman auf Hawaii gewann. Hätten Sie oder er im Vorfeld mit dem Sieg gerechnet?
Nie im Leben! Hans-Jürgen hatte nicht nur vor den Distanzen einen Höllen-Respekt – auch vor der Konkurrenz. Und dabei hauptsächlich vor den japanischen Startern, von denen sich gleich elf auf die Strecke machten. Und als Favorit wurde der Lokalmatador George Goldstine gehandelt, der ebenso wie sein Landsmann Cowman A-Moo-Ha mehrfach die Insel per Muskelkraft umrundet hatte. Um so überraschender waren dann die Ergebnisse: Erster nach dem Schwimmen, Erster nach der ersten Rad-Etappe, Erster nach der zweiten Rad-Etappe und Erster nach dem Doppel-Marathon – unglaublich.
Wie lief der Wettkampf ab?
Bei der Schwimm-Disziplin – zehn Kilometer im offenen Pazifik vorbei an Delfinen und fliegenden Fischen – hatte Schley auf eine "Profi"-Begleitcrew verzichtet und dafür mit Ludger Gericks aus seiner Nachbarstadt Vreden und mir zwei blutigen Kanu-Laien vertraut, die ihn unterwegs mental stärken und ihm auch hier und da "Häppchen" reichen sollten. Verkrampfte Beine waren noch das kleinere Übel bei den Laien-Kanuten.
Aber: Wir waren Spitze – an der Spitze des Feldes. Also: Hans-Jürgen aufs Rennrad – und wir zusammen mit Hans-Jürgens Frau Angelika und meiner Frau Irmgard in den Begleit-Van. Immer am Hinterrad des führenden Hans-Jürgen. Der quälte sich die elend langen Anstiege zum Vulcanos National-Park hoch – zu schnell für das Ultraman-Orgateam, das noch erst das Zielbanner aufbauen musste, als Hans-Jürgen schon die erste Tages-Etappe abgehakt hatte.
Ein Traumstart. Wie ging es weiter?
Der relativ kurzen Nacht folgte Tag zwei mit der Rad-Distanz von 276 Kilometern. Alles lief glatt – bis zur durch Lavaströme eingeschränkte Abschnitte: Zwei "Plattfüße" und schwere Stürze zerrten am Nervenkostüm von Hans-Jürgen und seiner Crew. Die hatte nämlich auf der engen Passage keine Chance, direkt beim Athleten zu bleiben. Wie sich später herausstellte, hatte sich Hans-Jürgen bei den Stürzen neben Prellungen und Hautabschürfungen auch einen Bruch des Schambeins und einen Haarriss im Sitzbein zugezogen. Fast wie in Trance - und unter Zuhilfenahme eilig besorgter Schmerzmittel - meisterte der Stadtlohner auch diese Etappe als Schnellster.

Und trotz dieser schweren Verletzungen gewann er sogar die Abschluss-Etappe?
Ja. Blieb noch der Abschlusstag und der Doppel-Marathon von Hawi nach Kailua Kona. Betäubt von den Schmerzmitteln und mitgezogen von japanischen Konkurrenten lief Hans-Jürgen der aufgehenden Sonne, den heißen Lavafeldern, den steifen Wüstenwinden – und dem Ziel entgegen. Wasser, Wasser, Wasser und ungezählte Energiedrinks verschlang Hans-Jürgen, ehe er mit letzter Kraft das Ziel am ehemaligen Flughafengelände von Kona erreichte: 7:31 Stunden für die 84 Kilometer zeigte die Ziel-Uhr – 25:50:38 Stunden die Urkunde, die Hans-Jürgen bei der Siegerehrung erhielt.
Wie haben Sie ganz persönlich den Wettkampf und die Atmosphäre auf Hawaii erlebt?
Vielfach beneidet um das Angebot, Hans-Jürgen Schley nach Hawaii begleiten zu können, wuchs die Anspannung tagtäglich – auch bei mir als "Team-Captain", zu dem mich Hans-Jürgen kurzerhand und ohne vorherige Absprache befödert hatte. "Du kannst englisch – dann machst du das auch" - keine Gegenrede. So war Hans-Jürgen: direkt, kompromisslos und zielgerichtet.
Wir – das waren Angelika Schley, Ludger Gericks, Irmgard Mathmann und ich – schoben die "direkte Ansprache" von Hans-Jürgen auf die Nervosität und Anspannung vor dem Wettkampf, den niemand von uns einordnen konnte. Auch mir waren die Distanzen und Anstrengungen völlig fremd, obwohl ich oftmals über Hans-Jürgens "Tri-Mania" berichtet hatte.
Ein Hawaii-Urlaub war der Trip also nicht gerade.
Aus dem Ausflug auf die Traum-Insel wurde erst einmal nichts: Tägliche Trainingseinheiten, Anmeldeformalitäten und Streckenerkundungen hielten uns derart auf Trab, so dass wir nur kurze – kürzeste – Stippvisiten an die Traum-Strände von Big Island unternehmen konnten.
Die Wettkampftage verflogen dann wie im Nu: Im Kanu hinter Ludger sitzend, quälten mich schnell und dann bis ins Ziel wegen der verkrampften Sitzhaltung eingeschlafene Füße. Auf der ersten Rad-Etappe galt es, Hans-Jürgen auf offener Strecke zu verpflegen. Nicht ganz ungefährlich, denn beim Ultraman sind die Strecken nicht abgesperrt. Und so mancher Insulaner zeigte den Athleten und uns als Begleit-Crew, dass sie herzlich wenig von solchen Verkehrsstörungen hielten.
Den zweiten Rad-Tag gingen wir als "Spitzenreiter" an – gut gelaunt und voller Tatendrang –, bis Hans-Jürgen aus dem Dschungel einfach nicht mehr auftauchte: In einer Streckenpassage, in der wegen Lavaverschüttungen die Begleitfahrzeuge voraus geschickt wurden, muss es passiert sein: zwei Stürze hätten ihn fast aus der Bahn geworfen. Aber: Hans-Jürgen fuhr mit unbändigem Willen weiter – ungeachtet der Schmerzen.
Ein gebrochenes Schambein und ein 84-Kilometer-Lauf vor der Brust - stand zu keinem Zeitpunkt der Wurf des sprichwörtlichen Handtuchs im Raum?
Lange rätselten wir in der Nacht zum Abschlusstag, ob Hans-Jürgen die Strapazen eines Doppelmarathons auf sich nehmen sollte. Der Ultraman selbst verwarf alle Zweifel und lief allen davon. Nicht so mir als seinem Begleiter auf so manchem Meter der 84-Kilometer-Distanz. Ludger und ich hatten uns für die Hand- und Spanndienste einen Plan ausgetüftelt, der es uns Nicht-Ultramännern erlauben sollte, während der Verpflegungsdienste mit Hans-Jürgen Schritt halten zu können. Der aber machte uns einen Strich durch die Rechnung: "Bernhard, lass Ludger im Bus. Mach du das allein. Ludger quatscht mir die Ohren voll ..." sollte das Signal sein für den ersten und letzten Ultra-Lauf in meiner Redakteurslaufbahn.
Im Ziel waren plötzlich alle Strapazen vergessen – und das (in Gatorade-Flaschen umgefüllte) Bier schmeckte so gut wie selten zuvor.
Sie haben damals von Hawaii aus täglich für Ihre Zeitung berichtet. Wie lief das ab? E-Mails und Live-Ticker im Internet gab es ja noch nicht.
In der Tat – und es war spannend: Telefon-Gespräche zu führen war in unser Wohnung eher schwierig, weil die US-Post die so genannten R-Gespräche nur von einer Filiale aus genehmigte. Handys gab es seinerzeit nicht – und auch keine mobilen Verbindungen über das Internet. Also habe ich meine Berichte handschriftlich verfasst und sie per Fax aus der Post-Filiale in die Redaktion geschickt. Eine Übertragung von Fotos war ebenso unmöglich – es wurde ja analog fotografiert!
