Vor 30 Jahren Ein Mann sticht Tennisspielerin Monica Seles nieder – weil er Steffi Graf vergöttert

Kurz nach dem Attentat hält sich Monica Seles sich vor Schmerzen den Rücken
Kurz nach dem Attentat hält sich Monica Seles sich vor Schmerzen den Rücken
© NDR/DPA / Imago Images
Der Messerangriff auf Monica Seles, die damalige Nummer eins im Frauentennis, hat den Tennissport verändert. Die Sicherheitsmaßnahmen sind deutlich verschärft. Für Seles kam das zu spät. Sie hatte lange mit den psychischen Folgen zu kämpfen.

Der spitze Schrei geht allen Besuchern sofort durch Mark und Bein, doch das ganze Ausmaß der Tragödie offenbart sich nur langsam. Fast wie in Zeitlupe. Weil es so unwirklich erscheint. Monica Seles lässt einen Trinkbecher fallen und greift sich mit der rechten Hand an den Rücken. Sie taumelt und wird langsam auf den sandigen Boden geleitet. Sie atmet schwer und steht unter Schock. Nur wenige Meter von ihr entfernt wird ein Mann zu Boden gerissen, der auf dem Center Court am Hamburger Rothenbaum mit einem Messerstich das Leben der damals 19-jährigen Seles zerstörte.

Das Attentat auf die damalige Tennis-Weltranglistenerste Seles am 30. April 1993 durch einen fanatischen Steffi-Graf-Fan ist auch 30 Jahre danach nur schwer zu fassen. Seitdem hat sich bei der Sicherheit im Tennis-Zirkus viel getan, Alexander Zverev und Kollegen spüren auf der Tour keinerlei Angst vor einem ähnlichen Angriff. Doch für Seles kamen die Veränderungen zu spät.

Monica Seles will sich nicht mehr zum Attentat äußern

"Mir ist etwas Furchtbares zugestoßen, das meine Laufbahn unwiederbringlich in eine andere Richtung gelenkt und meine Seele ernsthaft verletzt hat. Im Bruchteil einer Sekunde wurde meine Persönlichkeit nachhaltig verändert", schrieb die gebürtige Jugoslawin in ihrer Biografie. Äußern will sich die neunmalige Grand-Slam-Turniersiegerin zu dem Fall nicht mehr. Die 49-Jährige lebt von der Öffentlichkeit weitestgehend zurückgezogen in den USA. "Ich kenne Monica persönlich sehr gut. Das ist eine Sache, über die sie nicht gerne spricht", sagte Ex-Profi Tommy Haas der Deutschen Presse-Agentur. Er könne sich noch an die Bilder von damals erinnern: "Das war beängstigend."

Es geschah im Viertelfinale gegen die Bulgarin Magdalena Maleewa. Beim Stand von 4:3 im zweiten Satz gab es vor dem Seitenwechsel eine Pause, die der Angreifer für seine heimtückische Tat nutzte. Das Messer hatte der Deutsche in einer Plastiktüte versteckt. Fast unbemerkt ging er auf Seles zu und stach ihr in den Rücken. Sein Motiv? Er konnte es nicht ertragen, dass der quirlige Teenager mit dem markant geflochtenen Zopf die Nummer 1 der Tennis-Welt war und nicht die von ihm angebetete Graf: "Ich tat es für Steffi."

Auch Graf war geschockt. Am Tag nach dem Attentat besuchte sie ihre sportliche Rivalin im Universitäts-Krankenhaus Eppendorf. Für Seles war es ein "sehr emotionales Treffen", sie beide hätten "nur geheult". Und sich plötzlich besser verstanden als in all den Jahren zuvor. "Ich hatte diese Seite nie bei Steffi gesehen und bin mir sicher, Steffi auch nicht bei mir." 

Heute sind Ordner hinter den Bänken Standard

Überwältigt von den Ereignissen verlor Graf kurz darauf das Finale gegen die Spanierin Arantxa Sánchez Vicario. Ein Match, das weltweit enorm viel Aufmerksamkeit erhielt, aber eigentlich niemand brauchte. Dass es keinen Turnier-Abbruch gab, erschütterte Seles. "Das war eine harte Lektion über das Tennisbusiness: Eigentlich geht es nur ums Geld."

Direkt nach dem Attentat wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, heute sind Ordner hinter den Bänken Standard. Sicherheitsleute begleiten die Profis in der Regel auf der gesamten Anlage. Das sei "für uns Normalität", sagte Olympiasieger Zverev der dpa. Auch Wimbledon-Viertelfinalistin Jule Niemeier setzt sich ohne den Hauch von Angst mit dem Rücken zum Publikum auf die Bank: "Ich denke, dass wir heute die Möglichkeiten haben, dem vorzubeugen, was damals nicht der Fall war." 

Seles scheiterte mit einer Millionenklage gegen die Organisatoren. Viel größer war ihre Enttäuschung aber über das Gerichtsurteil gegen ihren Peiniger: Bewährungsstrafe von zwei Jahren wegen Körperverletzung. "Als mein Bruder mir das erzählte, war ich fassungslos", schrieb sie in ihrer Biografie. Der Attentäter starb im vergangenen August, wie die Gemeindeverwaltung seines Heimatortes der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Besonders tragisch an der Geschichte ist, dass der Mann mit seinem Angriff am Ende sein Ziel sogar erreichte. Seles war "körperlich und seelisch am Ende", wie sie es selbst einmal beschrieb, und fand nach zwei Jahren Pause nicht mehr zu ihrer Bestform zurück. Graf dagegen gewann ein Grand-Slam-Turnier nach dem nächsten und wurde wieder die Nummer 1 der Welt.

DPA
tis / Jörg Soldwisch

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