"Jeder ist die Nummer Eins", sang der berühmte Sänger Andy Lau beim Auftakt der glitzernden Massenveranstaltung zum Olympia-Countdown auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Neben der Bühne am Fahnenmast, wo sonst stramme Soldaten bei Sonnenaufgang die chinesische Nationalflagge hissen, war am Mittwoch aber vor allem China die Nummer Eins. Einträchtig scharten sich die Fahnen der 205 Nationen und Regionen in der olympischen Familie um die kommunistisch rote Flagge des Gastgebers, bevor sich die in weiß mit schwarzen Stiefeln gekleideten Fahnenträger militärisch korrekt im Kreis postierten. Ernst wie immer blickte der "große Steuermann" Mao Tsetung von seinem Porträt über dem rot leuchtenden Eingang zum Kaiserpalast auf die farbenfrohe Zeremonie ein Jahr vor den ersten Olympischen Spielen im Reich der Mitte herab. Dicke Scheinwerfer erleuchteten den Himmel.
"Wir sind bereit" verkündeten mehr als 100 Sänger und Stars aus Festlandchina, Hongkong und Taiwan auch als Symbol der Einheit des chinesischen Volkes dem Rest der Welt. Unter ihnen waren sogar die fünf "Super-Girls", die im modernen China von heute genauso gekürt werden wie in "Deutschland sucht den Superstar". Aber China ist trotz allen westlichen Fortschritts kein Land wie jedes andere. Genau hier auf dem Platz des Himmlischen Friedens rollten 1989 die Panzer gegen friedliche Demonstranten. Peking ist auch nicht Sydney oder Athen. Die Austragung der Spiele ist eine Staatsaffäre der kommunistischen Führung, was bei aller olympischer Begeisterung des Milliardenvolkes nicht vergessen werden kann.
"Pfad der friedlichen Entwicklung"
Den besten Beweis dafür lieferte der steife Parlamentschef Wu Bangguo, der bei der Feier sozusagen in "olympischen Diensten" gleich alle derzeit gültigen ideologischen Theorien herunterleierte - von Deng Xiaopings "Reform und Öffnung" über die privatwirtschaftlichen, aber unverständlichen "Drei Vertretungen" des pensionierten Parteichefs Jiang Zemins bis hin zur "relativ wohlhabenden Gesellschaft", die der heutige Staats- und Parteichef Hu Jintao propagiert. Die Sorgen in der Welt, ob das zur bald drittgrößten Wirtschaftsmacht aufstrebende China vielleicht eine Bedrohung werden könnte, wies Wu Bangguo mit dem Hinweis zurück, China verfolge "einen Pfad der friedlichen Entwicklung", was auch zum bekannten Leierkasten der chinesischen Führung gehört.
Das in solchen Großveranstaltungen bestens geübte chinesische Staatsfernsehen hatte eine gewaltige Feier mit viel westlichem Pop, Folklore der Minderheiten, chinesischer Tradition und klassischem westlichen Operngesang und Klavierspiel inszeniert. Hollywood-Star Jackie Chan präsentierte sich mit einem Kind auf dem Arm und einer roten chinesischen Laterne als Zeichen des Glücks. Die Mitglieder der kommunistischen Führung und die Ehrengäste, die vor weißen Teetassen, Mineralwasser und feuchten Handtüchern saßen, ließen es sich gefallen. Das restliche Publikum war so ausgesucht und gekleidet, dass es farblich und bunte aufblasbare Stäbe schwenkend auch bestens ins Fernsehbild passte. Das einfache Volk musste draußen bleiben. Obwohl tausende Schaulustige schon Stunden vorher kamen, blieb ihnen nur ein Platz hinter den weiträumigen Absperrungen, von wo zumindest das Feuerwerk am Himmel gut zu sehen war.
Amnesty International fordert Einhaltung der Menschenrechte
Je näher die Spiele rücken, desto geraten die Menschenrechtsverletzungen in den Focus der Kritik. Amnesty International hat von den chinesischen Behörden verlangt, auch die Einhaltung der Menschenrechte zum Teil ihrer Vorbereitungen zu machen. Es werde Zeit, dass die chinesische Regierung ihre Versprechen erfülle, die sie bei der Bewerbung für die Austragung der Spiele gemacht habe, erklärte Amnesty-Generalsekretärin Irene Khan gestern bei der Vorstellung eines Berichts mit dem Titel "China: Der olympische Countdown".
"Solange die chinesischen Behörden nicht dringend Maßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen im kommenden Jahr zu stoppen, nehmen sie in Kauf, dass das Bild Chinas und die Bilanz der Olympischen Spiele in Peking getrübt werden", mahnte Kahn. Amnesty forderte das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf, seinen Druck auf Peking zu erhöhen, damit die Pressefreiheit während der Sommerspiele gewährleistet werde. "Die Führung des Landes habe "weltweit die meisten Menschenrechtsverletzungen zu verantworten", sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke der "Frankfurter Rundschau."