Paul Biedermann schaute auf die Anzeigetafel und schüttelte ungläubig den Kopf: Weltmeister! Weltrekord! In seinem neuen Wunderanzug X-Glide ist der 23-Jährige aus Halle/Saale der Welt über seine Nebenstrecke 400 Meter Freistil davon geschwommen und hat sich im Foro Italico von Rom sensationell auf den Schwimm-Thron geschwungen. "Unglaublich, fantastisch", meinte Biedermann: "Es war ein wunderbares Rennen. Das hätte ich niemals erwartet."
In 3:40,07 Minuten verwies er den Tunesier Oussama Mellouli (3: 41,11) und den Olympiazweiten Zhang Lin aus China (3:41,35) auf die Plätze. Beim Anschlag war Biedermann eine Hundertstel schneller als der große Ian "Torpedo" Thorpe aus Australien 2002. Das nächste Opfer soll über 200 Meter am Dienstag folgen: Kein geringerer als Superstar Michael Phelps, der Rekord-Olympiasieger aus den USA. Doch daran dachte Biedermann im Augenblick des Triumphes noch nicht und ließ stattdessen das märchenhafte Rennen nochmal Revue passieren. "Ich wollte eigentlich schneller angehen, bin dann aber doch langsamer geschwommen und dafür am Ende schneller geworden", erklärte Biedermann: "Das hat gepasst!"
Es war der erste WM-Titel im Becken für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) nach Mark Warnecke 2005 in Montreal über 50 Meter Brust und der erste WM-Triumph auf einer Freistilstrecke seit Jörg Hoffmann 1991. "Ich freue mich sehr, dass ich da anknüpfen kann", sagte Biedermann trocken zu Hoffmann, der als Trainer in Rom vor Ort ist.
Biedermann wusste, dass sein Wettkampfanzug einen Teil zum Erfolg beigetragen hat. "Der neue Anzug macht natürlich schon viel aus, bei mir hat er wahrscheinlich auch so ein bis zwei Sekunden ausgemacht", sagte Biedermann, der sich nach dem Verbot der High-Tech-Anzüge ab 2010 aber auch wieder auf die "gute alte Badehose" freut.
Der Triumph von Biedermann grenzt an ein Wunder. Eigentlich sollten die 400 Meter nur als "Warm-Up" für den Höhepunkt, die halbe Strecke, gelten. Bei der deutschen Meisterschaft in Berlin hatte er zwar einen nationalen Rekord aufgestellt, die WM-Norm aber eigentlich verfehlt.
Dann explodierte Biederman in Rom förmlich. Erst Europarekord im Vorlauf, in 3:43,01 Minuten und 3,66 Sekunden schneller als in Berlin. Dann zündete er die zweite Stufe im Finale und steigerte sich noch einmal um fast drei Sekunden. Dabei hatte Biedermann im Februar noch mit dem Epstein-Barr-Virus flach gelegen, die WM-Teilnahme war in Gefahr. Biedermann hatte nach eigener Aussage "ein paar tausend Trainingskilometer" verpasst. "Aber", so scherzte Biedermann nach seinem WM-Coup: "Offensichtlich hat mir diese Auszeit gut getan."
Im Gegensatz zu Biedermann hat die deutsche Frauen-Staffel in Rom den ganz großen Coup verpasst und "nur" die Silbermedaille über 4x100-Meter- Freistil gewonnen. Britta Steffen schwamm als Startschwimmerin Weltrekord. Sie verbesserte am Sonntag in 52,22 Sekunden ihre vier Wochen alte Bestmarke um 34/100. Steffen, Daniela Samulski, Petra Dallmann und Andrea Schreiber schlugen nach 3:31,83 Minuten in deutscher Rekordzeit an. Das Quartett musste sich nur um Handbreite den Niederlanden geschlagen geben, die in 3:31,72 Minuten Weltrekord schwammen. Australien wurde Dritter.
sid/DPA/kbe