Die Aufregung ist groß, auf beiden Seiten. Auf der einen: mehrere Dutzend Bewohner von Kinakoni, einem Dorf in Kenia, das mit dem stern und der Welthungerhilfe nach Lösungen gegen den Hunger sucht. Die Männer und Frauen haben sich am zentralen Felsen des Ortes versammelt, sie haben den Schmuck ihrer Vorfahren angelegt, traditionelle Hütten gebaut, alles, um den Stolz und die Schönheit ihres Volkes zu zeigen, der Kamba.
Auf der anderen Seite: 15 Touristen, Kenianerinnen und Kenianer. Etwas zögernd entsteigen sie den Kleinbussen, die sie von Nairobi hierher in den Südosten gebracht haben. Es sind Ärzte und Anwältinnen, Programmierer und Forscherinnen, sie sind Teil der wachsenden Mittelschicht Kenias – und zugleich eines Experiments: Kann behutsamer Tourismus zu einer Einnahmequelle von Kinakoni werden? Können Gäste helfen, den Hunger zu besiegen? In vielen ländlichen Regionen Afrikas, und eben auch in Kinakoni, breitet der sich wieder aus.
Die Schönheit des eigenen Landes
Mehrere Wochen Vorbereitung liegen hinter dem Projekt eines Start-ups aus Nairobi. "Karan Africa" – frei übersetzt "schönes Afrika" – will Kenianerinnen und Kenianern genau das zeigen: die Schönheit des eigenen Landes und Kontinents.
Denn vielen aus der Mittelschicht Nairobis ist der Pitch beim Risikokapitalgeber inzwischen näher als die Frage, welches Getreide am besten auf den Feldern wächst. Oder welche Traditionen die Völker des Landes eigentlich pflegen. Kenia verändert sich rasant, immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Mehrere kulturelle Exkursionen hat Karan schon organisiert, nun also ist Kinakoni das Ziel.
Seitdem die Menschen hier im vergangenen November das Projekt gegen den Hunger gestartet haben, ist einiges im Ort geschehen. Aber noch immer ist die Lage schwierig. Die Regenzeit von Oktober bis Dezember war schwach. Und auch die vergangenen Wochen waren eher trocken – obwohl die Regenfälle der "Long Rains" längst hätten einsetzen sollen. Experten sehen darin auch eine Folge des Klimawandels.
Kaum eine Familie in Kinakoni hat ausreichend ernten können, viele Menschen versuchen, mit Krediten über die Runden zu kommen – ein Teufelskreis, der sie weiter in die Armut führen kann.
Um der Unberechenbarkeit der Regenfälle etwas entgegenzusetzen, wurden in den vergangenen Monaten zwei riesige Wassertanks angelegt. Sie speichern das am zentralen Felsen des Dorfes ablaufende Regenwasser für die Trockenperioden. Schon ein kräftiger Schauer kann dank der großen Fläche, auf der sich das Wasser sammelt, einen der Tanks fast füllen. Beide sind inzwischen ziemlich voll, an einer Zapfstation befüllen die Menschen bereits ihre Kanister – ganz fertig allerdings sind die Betonzylinder noch nicht.
Zwei Künstler haben sich des Projekts angenommen. Coster Ojwang aus Nairobi macht seit mehreren Jahren den Gegensatz von Stadt und Land zum Thema seiner Musik und seiner Gemälde. Als er von dem Projekt in Kinakoni hörte, das eine Brücke zwischen den Innovationen der Stadt und den Problemen auf dem Land bauen will, kam er ins Dorf, schaute sich um – und beschloss, die Tanks zu gestalten.
"Ich will die tolle Arbeit der Menschen hier darstellen", sagt Ojwang. "Und ich will etwas schaffen, auf das Kinakoni stolz sein kann." Entwicklungshilfe müsse ja nicht immer nur grauen Beton hervorbringen, fügt er hinzu – "das darf doch cool aussehen".
Ojwang kam durch Zufall zur Malerei. Als er vor einigen Jahren seinem Bruder half, ein Haus zu renovieren, bemalte er die Wände mit Tiermotiven. Die Miniaturen begeisterten jeden, der sie sah, Ojwang studierte Kunst und ist heute ein gefragter Künstler. "Für uns in Nairobi ist Kunst immer Berufung", sagt er, "aber es ist eben auch die Chance, Geld zu verdienen. Ohne Einkommen aus der Kunst, so ist das hier, hätte ich nichts zu essen."
In Kinakoni allerdings arbeitet Ojwang ohne Honorar. Gemeinsam mit seinem Freund Allan Kioko hat er schon einen Tank fertiggestellt, mächtige Baobabs, Affenbrotbäume, sind darauf zu sehen, dann geht er das zweite Gemälde an. Seine Arbeit ist auch als Attraktion für das Dorf gedacht: "Wenn ich den Menschen helfen kann, Geld zu verdienen, zum Beispiel, weil Leute die Malerei sehen wollen und dafür einen Umweg fahren – umso besser."
Die Dorfgemeinschaft verdient mit
Die Reisegruppe aus Nairobi hat inzwischen die Busse verlassen, die Aufregung ist viel Lachen gewichen. Essen wird gereicht, Spinat, Süßkartoffeln, Kohl, auch Tänze werden gezeigt, Fotos gemacht, aber es sind Szenen, die nichts von Herablassung der Städter gegenüber den Menschen vom Land haben, sondern von gegenseitiger Neugierde geprägt sind.
Der Ausflug steht für die Idee des gesamten Projekts: Nicht allein die Europäer bringen Lösungen oder Geld ins Dorf – es sind Kenianer und Kenianerinnen selbst. Oder eben Unternehmen aus dem Land, wie das Tourismus-Start-up Karan. Denn von dessen Einnahmen geht ein Teil an die Dorfgemeinschaft; einige Bewohner, die eine besondere Aufgabe übernommen haben, zum Beispiel als Führer, bekommen noch ein Extrahonorar.
Dann die erste Tour: Die Männer und Frauen aus der Stadt besteigen einen der Granitberge in der Nähe. Es geht entlang ausgetrockneter Flussläufe, über glatte Felsflächen, sogar eine Höhle mit wohl jahrhundertealten Zeichnungen liegt auf dem Weg, bis sich schließlich von oben ein fantastischer Blick in die Ebene bietet.
Von hier wirkt die Idylle perfekt, ein Teppich aus Feldern in Dutzenden Braun- undGrüntönen, aus denen sich die kahlen Baobabs erheben, als ob man sie aus der Erde gerissen und mit den Wurzeln nach oben wieder hineingesteckt hätte. Doch die Lage dort unten ist schwierig, häufig sogar dramatisch. Die traditionellen Anbaumethoden funktionieren in der neuen Trockenheit des Klimawandels kaum noch.
Um herauszufinden, was in Zukunft noch Erträge bringen kann, sind weitere kluge Köpfe nach Kinakoni gekommen: Agrarwissenschaftler des kenianischen Forschungsinstituts Latia. Sie haben junge Männer und Frauen aus Kinakoni wieder mit in die Heimat mitgebracht. Diese sind in den vergangenen Monaten in den Gewächshäusern von Latia in der Nähe von Nairobi in neuen Anbaumethoden trainiert worden.
Ihr frisches Wissen soll jetzt helfen, den Hunger zu bekämpfen. Gleich neben dem Dorffelsen entsteht ein Versuchsfeld. Angeleitet von den Studenten stecken Dorfbewohner sorgsam die Samen von Butternut oder Koriander in die Erde, Pflanzen, die schnell wachsen und nicht auf lange Bewässerung angewiesen sind. "Es ergibt keinen Sinn mehr, hier Mais anzubauen", sagt der Agrarwissenschaftler Victor Obuchere von Latia. "Dafür ist es einfach zu trocken."
Der Hunger ist noch immer sehr präsent
Die Sprösslinge sollen später in größere Felder umgepflanzt werden. Und auch das Wissen über die neuen Methoden soll sich weiter verbreiten: in Kinakoni, aber auch in der gesamten Region.
Es ist längst nicht alles perfekt in Kinakoni, bei Weitem nicht. Es unklar, ob tatsächlich einheimische Touristen eine langfristige Einkommensquelle sein können, denn die Logistik dahinter ist eine Herausforderung. Und vor allem: Der Hunger ist gerade in diesen Tagen sehr präsent. Die Schulen sind marode, es fehlen Jobs. Und vor den kenianischen Wahlen im Herbst herrscht im ganzen Land große Unruhe. Aber an diesem Abend, als die Gäste aus Nairobi und die Dorfbewohner am Lagerfeuer sitzen, reden und lachen, als sich auf der einen Seite das Versuchsfeld erstreckt, auf der anderen Seite die Wassertanks im Abendlicht leuchten, da ist bei allen Schwierigkeiten und Fragezeichen etwas Aufbruch zu spüren. Für Kinakoni. Und vielleicht sogar für das eine oder andere Dorf, das folgen mag.