Es ist ein einmaliger Akt, den Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag beschlossen und verkündet hat: Die Bundesnetzagentur wird als Treuhänderin für Gazprom Germania, die deutsche Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, eingesetzt – mitten in der wegen des Ukraine-Krieges laufenden Diskussion um einen möglichen Lieferstopp für russisches Gas. Der stern beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Vorgang.
Warum wird Gazprom unter Treuhandverwaltung gestellt?
Habeck begründete den Schritt mit einem "unklaren Rechtsverhältnis" und mit einem "Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsverordnung".
Konkret geht es dabei um eine angekündigte Neuordnung der Besitzverhältnisse der Gazprom Germania GmbH mit ihren rund 1500 Beschäftigten. Die russischen Unternehmen JSC Palmary und Gazprom Export Business Services wollten den Angaben zufolge Gazprom Germania zu Ende März "mittelbar" übernehmen und anschließend liquidieren, also auflösen.
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Da die beiden potenziellen Käufer nicht in der Europäischen Union ansässig sind, musste das Bundeswirtschaftsministerium den Deal genehmigen – was es unter anderem wegen der unbekannten Eigentumsverhältnisse nicht tat. "Unklar ist, wer wirtschaftlich und rechtlich hinter den beiden genannten Unternehmen steht", so das Haus von Robert Habeck in einer Mitteilung. "Die Palmary ist damit nicht neue mittelbare Eigentümerin der Gazprom Germania GmbH."
Stattdessen hat nun die Bundesnetzagentur bei Gazprom Germania das Sagen.
Was bedeutet der Schritt für Gazprom Germania?
Die treuhänderische Aufsicht über das Unternehmen ist ein weitreichender Schritt. Gazprom Germania kann im Grunde nichts mehr ohne das Okay der Bonner Behörde tun. "Die Bundesnetzagentur ist insbesondere berechtigt, Mitglieder der Geschäftsführung abzuberufen und neu zu bestellen sowie der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen", so das Bundeswirtschaftsministerium. Auch über das Vermögen des Unternehmens hat die Bundesnetzagentur die Aufsicht, es kann also nicht ohne Weiteres beiseitegeschafft werden.
Die geplante Auflösung der Firma ist damit vorerst vom Tisch. Denn: Jede "verbundene Rechtshandlung" sei "schwebend unwirksam". Im Klartext: Ohne Zustimmung der deutschen Behörden geht bei Gazprom Germania nichts.
Weshalb darf der Staat zu solchen Mitteln greifen?
Zunächst muss klargestellt werden: Das Einsetzen einer Treuhänderin ist keine Verstaatlichung von Gazprom Germania. Die wäre theoretisch zwar auch möglich, ist aber (noch) kein Thema. Das Außenwirtschaftsgesetz legt fest, dass das Bundeswirtschaftsministerium mittels Treuhänderin eingreifen darf, um "eine bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union abzuwenden".
Es geht also um viel. Klar, dass die deutsche Politik wissen will, wer in dem Unternehmen die Fäden zieht. Als "zwingend notwendig" bezeichnete Robert Habeck den Schritt.

Die Bedeutung von Gazprom Germania ist vor allem darin begründet, dass die Firma für die Gasversorgung in Deutschland elementar ist. Mit seinen zahlreichen Tochterunternehmen, wie zum Beispiel Astora oder Wingas betreibt es Gasspeicher und Pipelines und ist im Transport aktiv.
Astora betreibt unter anderem den größten Gasspeicher Deutschlands in Rehden. Er war laut Datenbank des Netzwerks Gas Infrastructure Europe am Samstag mit nur 0,5 Prozent Auslastung fast leer. Wingas gehört mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent nach eigenen Angaben zu den größten Erdgasversorgern Deutschlands. Neben den 100-prozentigen Tochterunternehmen hält Gazprom Germania weitere Beteiligungen an wichtigen Infrastrukturunternehmen in der Gasversorgung.
Mit dem Einsetzen der Treuhänderin will die Bundesregierung in erster Linie die Versorgungssicherheit gewährleisten. "Dazu zählt auch, dass wir Energieinfrastrukturen in Deutschland nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen. Die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Geschäfte in Deutschland muss gesichert sein", erklärte Habeck.
Der Schritt der Bundesregierung platzt mitten in die Diskussion, ob Deutschland weiterhin Öl und Gas aus Russland importieren sollte – hat aber nur mittelbar etwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Doch er zeigt: Als verlässlicher Partner für Energielieferungen wird Russland nicht mehr gesehen.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Bundeswirtschaftsministerium prüft die geplante Übernahme von Gazprom Germania. Dabei dürfte es auch darum gehen, die Besitzverhältnisse der potenziellen Käufer aufzuklären und zu bewerten. Die Bundesnetzagentur übernimmt in dieser Zeit die Funktion einer Gesellschafterin. "So ist sichergestellt, dass das Prüfrecht effektiv ausgeübt werden kann und keine vollendeten, gesetzeswidrigen Fakten geschaffen werden", stellte das Bundeswirtschaftsministerium klar.
Die Maßnahme ist zunächst bis zum 30. September 2022 befristet. Seitdem in der vergangenen Woche die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas in Deutschland ausgerufen wurde, veröffentlicht die Bundesnetzagentur täglich einen Lagebericht zur Gasversorgung in Deutschland. Zuletzt hieß es darin: "Es sind keine Beeinträchtigungen der Gaslieferungen nach Deutschland zu verzeichnen."
Quellen: Bundeswirtschaftsministerium, Bundesanzeiger, Außenwirtschaftsgesetz, "Capital", Bundesnetzagentur, Gazprom Germania, Nachrichtenagenturen DPA und AFP