Gaslieferungen Gazprom kündigt Zusammenarbeit mit dem Westen – wie käme Deutschland ohne das Gas zurecht?

Gazprom kündigt Lieferstopps in Europa an
Die Anlage des Erdgasspeichers (Astora GmbH) in Rehden. Es handelt sich dabei um den größten Speicher in Westeuropa. Die Astora GmbH ist zudem eine Tochtergesellschaft des russischen Energiekonzerns Gazprom
© Mohssen Assanimoghaddam / DPA
Nach und nach zieht sich der russische Energieriese Gazprom aus seinen Geschäften mit Europa zurück. Der Konzern spielt damit eigentlich dem Westen zu.

Wegen des nun schon seit mehr als 100 Tagen anhaltenden Ukraine-Krieges hat die EU ein Teil-Embargo auf russische Öl-Lieferungen erteilt. Vorerst darf die Energieressource nur noch über Pipelines nach Europa geliefert werden. Doch auch damit soll bald Schluss sein.

Russland wiederum dreht dafür am Gashahn. Der russische Energieriese Gazprom kündigte bereits an, mehrere Länder und Konzerne nicht mehr mit Gas zu beliefern. Betroffen sind bereits Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und der dänische Versorger Ørsted sowie Shell Energy Europe. Rollt der Rubel nicht, fließt kein Gas. Das hatte Putin bereits im Frühjahr als Bedingung genannt – und die genannten Länder zahlen nicht in russischer Währung. Das verstieße gegen die Sanktionsregeln der EU.

Für Gazprom bedeutet das massive Einbußen. Wie der Konzern auf Telegram mitteilte, hat er innerhalb der letzten fünf Monate gut ein Viertel weniger Gas in Länder außerhalb der frühere Sowjetunion geliefert als im Vorjahreszeitraum. Von Januar bis Mai seien 61 Milliarden Kubikmeter exportiert worden – 27,6 Prozent oder 23,2 Milliarden Kubikmeter weniger als ein Jahr zuvor. 

Shell will neue Konditionen von Gazprom nicht akzeptieren

Um die westlichen Kunden irgendwie zu halten, hat Russland ein Verfahren eingeführt, mit dem die Unternehmen und Staaten ihre Rechnungen in Dollar oder Euro begleichen können. Nötig ist ein sogenanntes K-Konto bei der russischen Gazprombank, das die Zahlungen anschließend in Rubel konvertiert und an Gazprom überweist. K-Konten verletzten die EU-Sanktionen nicht und sind deshalb erlaubt.

Zum Leidwesen von Gazprom lässt sich nicht jedes Unternehmen, das im großen Umfang Gas aus Russland bezieht, auf den Deal mit den K-Konten ein. Zum Beispiel weigert sich der Konzern Shell, das Verfahren zu nutzen. "Shell hat den neuen Zahlungskonditionen von Gazprom, inklusive K-Konten nicht zugestimmt", teilt eine Sprecherin der Gazprom Germania auf stern-Anfrage mit. Gazprom wolle grundsätzlich weiterhin Kunden in Europa mit Gas beliefern. Doch: "Shell arbeitet weiterhin an einem schrittweisen Rückzug aus russischen Kohlenwasserstoffen." Laut den aktuellen Verträgen mit Gazprom erhält Shell eine jährliche Gaslieferung von bis zu 1,2 Milliarden Kubikmeter. Wie die Russen den Wegfall dieser Lieferung kompensieren wollen, beantworteten sie nicht.

Für Deutschland hat das kaum Folgen, denn die Versorgung durch Shell macht nur einen Bruchteil des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs aus, der nach Berechnungen von Statista bei ungefähr 87 Milliarden Kubikmeter im Jahr liegt. Das wiederum macht 21,6 Prozent an der gesamten Energieversorgung aus. 90 Prozent davon müssen importiert werden. Mit knapp 40 Prozent stammt der Großteil der Gasimporte aus Russland. Dem folgen Norwegen (34,8 Prozent) die Niederlande (22,4 Prozent) und sonstige Quellen (4,6 Prozent).

Der Gas-Lieferstopp gegen Shell hat laut Bundeswirtschaftsministerium aktuell keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland. "Wir beobachten die Lage sehr genau", sagte eine Sprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsichtsbehörde für die Gasversorgung in Deutschland erklärte in ihrem täglichen Lagebericht, dass der Gas-Lieferstopp gegenüber Shell "nur kleine Mengen" betreffe. Die Pipeline Nord Stream 1 habe am Mittwoch rund vier Prozent weniger Gas als am Vortag transportiert. "Diese entfallenen Gasmengen werden anderweitig beschafft", erklärte die Behörde.

Andere Unternehmen lassen sich auf neue Regeln ein

Und Shell ist bei Weitem nicht der einzige Energieversorger in Deutschland. So beziehen etwa die Energiekonzerne RWE und Uniper weiter Gas aus Russland. Andes als Shell haben sie die Zahlungsoption über die K-Konton nicht ausgeschlagen und ihre fälligen Rechnungen "sanktionskonform" bezahlt. Eine RWE-Sprecherin bestätigte der "Rheinischen Post", dass das Unternehmen den Betrag in Euro auf ein Konto bei der Gazprom-Bank überwiesen habe. Selbiges lässt ein Uniper-Sprecher wissen. "Wie andere deutsche und europäische Unternehmen zuvor hat Uniper den Zahlungsweg für Gaslieferungen aus Russland umgestellt. Uniper zahlt in Euro im Einklang mit dem neuen Zahlungsmechanismus. Die erste dieser Zahlungen erfolgte Ende Mai", sagte er der "Rheinischen Post". Das Vorgehen sei mit der Bundesregierung abgestimmt worden und folge den EU-Leitlinien. Uniper ist der größte deutsche Importeur von Gas aus Russland.

Wenig problematisch wird der Lieferstopp auch in Dänemark beurteilt. 2021 hatte Gazprom 1,97 Milliarden Kubikmeter Gas an den Versorger Ørsted geliefert und damit ein Drittel des dänische Verbrauchs gedeckt. Versorgungsengpässe werde es allerdings nicht geben, heißt es aus Kopenhagen.

Der niederländische Konzern Gasterra gab an, ab Juni bis Oktober würden wegen des Lieferstopps zwei Milliarden Kubikmeter Gas fehlen. Der Konzern hatte sich ebenfalls geweigert, die Zahlungen in Rubel zu leisten. Grund seien die vertraglichen Vereinbarungen und die "Gefahr, die Sanktionen durch die EU zu verletzen". Das Unternehmen habe aber vorausschauend woanders eingekauft. Die Niederlande beziehen von Russland rund 15 Prozent ihres Erdgasbedarfs, rund sechs Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Dänemark deckt 18 Prozent seines Energiebedarfs mit Erdgas ab, drei Viertel davon gewinnt das Land aus eigenen Vorkommen.

Für Europa sollte der Gaslieferstopp also kein Problem sein. Ein Drittel der Gasimporte aus Russland haben die EU-Staaten bereits mit Lieferungen aus anderen Ländern ersetzt. Und trotzdem konnten sich die Mitgliedstaaten bisher nicht auf ein Gas-Embargo einigen, da einige stark von den russischen Lieferungen abhängig sind. Zunächst hat man sich ohnehin darauf geeinigt, die Abhängigkeit von russischem Öl bis Ende des Jahres um 90 Prozent zu reduzieren. Ab August folgt dann der Kohlestopp aus Russland.

Gas-Embargo könnte Rezession bedeuten

In Deutschland scheut man bisher ein Gas-Embargo wegen einer möglichen Rezession. Das befürchtet unter anderem Wirtschaftsminister Robert Habeck. Betroffen wäre insbesondere die Grundstoffindustrie, die Gas direkt verarbeitet. Bei einem Embargo könnten schwere wirtschaftliche Schäden und Entlassungen drohen, unter anderem in der Chemieindustrie. Das belegt auch eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Eine Rezessin hat das Institut bereits im März prognostiziert. Den Berechnungen zufolge würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt bei einem abrupten Gaslieferstopp um sechs Prozent sinken.

Optimistischere Ergebnisse gibt es dagegen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Die Forscher haben drei Szenarien entwickelt, wie Deutschland kurzfristig von russischen Gasimporten unabhängig werden kann. Einerseits könnte der Bedarf durch Lieferungen aus anderen Ländern gedeckt werden. Zudem könnte der Bedarf kurzfristig um 19 bis 26 Prozent eingespart werden. Würde beides entsprechend genutzt und technisch ausgeweitet, sei die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert, so die Prognose. Gleichzeitig räumt das DIW allerdings ein, dass Einsparungen auch Produktionsrückgänge verursachen.

Mit den wirtschaftlichen Auswirkungen könnte Deutschland aber umgehen, besagt eine Studie der Econtribute-Initiative der Universitäten Bonn und Köln. Demnach würde das Bruttoinlandsprodukt kurzfristig um 0,5 bis drei Prozent sinken. Im Vergleich zur Corona-Pandemie wäre das allerdings wenig. 2020 sank das BIP um 4,5 Prozent. Die Initiative schlägt vor, das fehlende Gas durch Kohle und Kernenergie aus anderen Ländern zu kompensieren. Trotzdem würde das Defizit bei 30 Prozent liegen. Die Studienautoren plädieren deshalb dafür, Anreize zum Einsparen beim Gas zu schaffen.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos