Port Arthur zählt zu den schwülsten Orten der USA. In der Stadt im Süden des Bundesstaats Texas an der US-Golfküste läuft einem der Schweiß in der Sekunde das Gesicht herunter, in dem man das klimatisierte Fahrzeug verlässt. Dennoch zieht es derzeit viele Menschen in die Gegend – denn Energiekonzerne bauen dort ihre ohnehin schon großen Standorte weiter aus. Im Süden der USA boomt die Förderung von Öl und Gas. Das hat nicht zuletzt etwas mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu tun. Der hat in Deutschland eine Energiewende ausgelöst. Russisches Gas soll nun auch mit verflüssigtem Erdgas ersetzt werden – LNG heißt das Zauberwort. Gasschiffe bringen heruntergekühltes Gas im flüssigen Zustand nach Europa – und die legen auch in der Gegend rund um Port Arthur ab.
Gasfelder in den USA produzieren auf Rekordniveau
Im Jahr 2022 haben die amerikanischen Gasfelder dem US-Energieministerium zufolge so viel Gas wie noch nie produziert. Dies sei vor allem auf den Anstieg der Nachfrage, insbesondere für den Export, und auf höhere Erdgaspreise zurückzuführen. "Es ist erstaunlich, wie viel Flüssigerdgas aus diesem Land in andere Länder auf der ganzen Welt transportiert wird, um deren Energiebedarf zu decken", erzählt Matthew Kaufman stolz. Er arbeitet für die Einrichtung, die zentral die schiffbaren Gewässer des Bezirks verwaltet. Die Wasserstraße sei für die USA und den Rest der Welt eine "wichtige Lebensader".
In der Grenzregion zwischen Texas und dem Bundesstaat Louisiana rund um die Mündung Sabine Pass haben mehrere Energiekonzerne LNG-Anlagen oder lassen welche bauen – darunter auch der größte US-Flüssiggaskonzern Cheniere, der dort bereits die 2016 in Betrieb genommene LNG-Anlage Sabine Pass betreibt. Das Gas wird in Pipelines in die Region transportiert. In der Mündung herrscht geschäftiges Treiben. Das Schiff "Pavilion Aranda" lässt seine Tanks mit Flüssigerdgas befüllen, das Rohöltankschiff "Esther Spirit" ist in der Mündung unterwegs. Baukräne stehen am Ufer – die Energiekonzerne haben hier noch Größeres vor.
Bisher nur drei LNG-Terminals in Deutschland: Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Lubmin
In Deutschland steht die LNG-Infrastruktur hingegen noch ganz am Anfang. Drei LNG-Terminals sind derzeit in Betrieb: in Wilhelmshaven (Niedersachsen), Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Wilhelmshaven nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Die schwimmende Anlage war die erste, über die im Dezember eine Lieferung LNG nach Deutschland kam. Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur zeigen zudem, dass über Wilhelmshaven bisher mit Abstand das meiste Flüssigerdgas eingespeist wurde.
Insgesamt importierte Deutschland im ersten Halbjahr 2023 rund 33,8 Terawattstunden LNG. Verglichen mit dem gesamten deutschen Gasimport von 526 Terawattstunden in diesem Zeitraum macht das jedoch nur einen Anteil von etwa sechs Prozent aus. Weitere LNG-Terminals sind aber schon in Vorbereitung. Unter anderem im niedersächsischen Stade soll vom kommenden Winter an ebenfalls Gas anlanden. Zuletzt wurde auch Mukran auf Rügen als möglicher LNG-Standort ins Gesetz aufgenommen – trotz Widerstands der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern.
Dass die neue LNG-Infrastruktur eine direkte Antwort auf Russlands Krieg in der Ukraine ist – daraus macht die Bundesregierung keinen Hehl. Das Ziel sei es, mit LNG einseitige Abhängigkeiten zu überwinden, so das Wirtschaftsministerium. Die Importkapazitäten sollen dafür von in diesem Jahr rund 13,5 Milliarden Kubikmeter Gas bis 2027 auf etwa 54 Milliarden Kubikmeter anwachsen. Dafür werden nach den schwimmenden Terminals auch Anlagen an Land gebaut.
LNG-Boom "nicht von Europa angetrieben, sondern von Asien"
Die USA sind für die Versorgung Deutschlands mit Flüssigerdgas enorm wichtig. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erfasst die Gasflüsse aus den deutschen LNG-Terminals zwar ohne Länderherkunft, weil weder eindeutig bestimmbar sei, woher die einzelnen Tanker kommen, noch, wie sich das transportierte LNG zusammensetzt. Der Löwenanteil des LNG komme jedoch aus den USA.
Kenneth Medlock von der Denkfabrik Baker Institute mit Sitz in der texanischen Metropole Houston sieht die Zukunft des Flüssigerdgases dennoch nicht in Europa. "Das Wachstum der LNG-Produktion und -Lieferung wurde nicht von Europa angetrieben, sondern von Asien", sagt er. Der aktuelle Boom sei lediglich eine Verschiebung, die noch eine Weile andauern dürfte. "Die Wachstumschancen liegen nach wie vor in Asien", betont er. Denn die Europäer zögerten auch, langfristige Verträge zu unterschreiben.
Robert Habeck warf Lieferanten Wucherpreise vor
Corey Grindal vom US-Energiekonzern Cheniere macht dennoch selbstbewusst klar: "Wir sind der größte LNG-Lieferant für Europa geworden." Der Grund dafür sei das Ausbleiben der russischen Lieferungen und die anhaltende Nachfrage nach Gas in Europa. Für Unternehmen wie Cheniere ist das eine gute Nachricht, denn europäische Länder zahlen. Für einkommensschwächere Staaten wie Pakistan ist das ein Problem, denn die Tanker fahren in erster Linie dorthin, wo am meisten gezahlt wird.
Wirtschaftsminister Robert Habeck warf den Lieferstaaten im vergangenen Herbst daher offen überhöhte Preise vor. "Einige Länder, auch befreundete, erzielen teils Mondpreise", sagte damals der Grünen-Politiker und nannte ausdrücklich die USA. Die US-Regierung und Konzerne wie Cheniere weisen diese Kritik von sich. "Ich denke, dass die Preise in Europa in diesem Winter davon abhängen werden, wie kalt es ist und wann es kalt wird", sagt Grindal von Cheniere. Der vergangene Winter sei ein Winter gewesen, "der keiner war".
Und Kritik am Flüssigerdgas gibt es nicht nur wegen der Preise. Große Mengen des Gases werden mit der umstrittenen Fracking-Methode gewonnen, die in Deutschland weitgehend verboten ist. Dabei wird es unter Einsatz von Chemikalien aus dem Gestein gepresst. Aus den entstehenden Rissen tritt umweltschädliches Methan aus. Die Methode steht unter anderem wegen der Gefahren für das Grundwasser in der Kritik. Grindal von Cheniere preist neue Technologien an, die den Methan-Austritt besser "überwachen" sollen. Doch den Austritt verhindern, gesteht er ein, könne man damit auch nicht.