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Energieversorgung Gas vom Polarkreis: Nach dem Lieferstopp für Polen und Bulgarien naht das Ende der sibirischen Jamal-Pipeline

Das Erdgasfeld Bovanenkovo zählt zu den größten in der Polarregion. Nach Angaben des Konzern Gazprom sollen dort 26.5 Billion Kubikmeter Gas liegen.
Das Erdgasfeld Bovanenkovo zählt zu den größten in der Polarregion. Nach Angaben des Konzern Gazprom sollen dort 26.5 Billion Kubikmeter Gas liegen.
© Krasilnikov Stanislav / Picture Alliance
Russland reduziert seine Gaslieferungen gen Westen. Das könnte kilometerlange leere Rohre bedeuten, die sich durch verschiedene Länder schlängeln. Betroffen ist derzeit die Jamal-Pipeline. Sie reicht von Sibirien bis nach Deutschland. Welche Folgen hat das?

Kaum ein Volk versteht es wohl so gut, seine Heimat treffender zu benennen, wie die Nenzen auf der sibirischen Halbinsel Jamal. Aus der Spracher der Ureinwohner übersetzt bedeutet Jamal so viel wie "Rand der Welt". Auf der gut 115.000 Quadratkilometer großen Halbinsel führen knapp 19.000 Nenzen ein Nomadenleben, ziehen mit ihren Rentierherden über weite weiße Einöden und leben von der Peltztierjagd, dem Fischfang und der Rentierzucht. (Der stern hat die Ureinwohner der Insel 2019 besucht – die Reportage lesen Sie hier.)

Die Halbinsel Jamal liegt oberhalb des Polarkreises im Westen Sibirens in der Karasee. Mitten in diesem vom Permafrost geprägten Nirgendwo, wo sich Natur und Mensch nicht näher sein könnten, hat der Energieriese Gazprom eine Nische gefunden. Das Land ist reich an einem bestimmten Rohstoff, von dem ganz Russland profitiert: Erdgas. Bis 2030 sollen von dort 360 Milliarden Kubikmeter gefördert werden, berichtet das Blatt "Le Monde diplomatique". Allein in der Zone Bowanenkowo umfassen die Reserven 4,9 Billionen Kubikmeter. Das Feld zählt zu den größten der Welt. Zum Vergleich: Algerien, das weltweit der zehntgrößte Gasproduzent ist, verfügt nach Expertenschätzungen über mehr als vier Billionen Kubikmeter Erdgas.

Erschlossen wurde das Erdgas auf Jamal bereits in den 1980er Jahren. Seit 1999 fließt es durch die nördlich von Moskau über Belarus und Polen verlaufende gleichnamige Pipeline. Von dort aus quert sie die polnische Grenze. Die erste deutsche Station ist das brandenburgische Mallnow. Die 4000 Kilometer lange Leitung Jamal ist eine von drei Hauptleitungen, über die unter anderem Deutschland mit russischem Gas versorgt und von wo der Rohstoff in Richtung Westeuropa weitergeleitet wurde.

Gasstrom schon seit Monaten rückläufig

Im Moment sind die Rohre allerdings leer. Bereits seit Weihnachten fließt kaum noch Gas durch die Pipeline in die Bundesrepublik, zeigen unter anderem Zahlen der Bundesnetzagentur. Doch das ist für Deutschland weder ein Problem, noch eine große Überraschung. Den Großteil der russischen Gaslieferungen bezieht das Land ohnehin über die Leitungen Transgas und Nordstream 1.

Gestoppt wurden die Lieferungen etwa Anfang März, wie der "Nordkurier" unter Berufung auf den Netzbetreiter Gascade in Kassel berichtet. Das Unternehmen beitreibt die Jagal-Pipeline, die Anbindung an die Leitung aus Russland. Eine Sprecherin ließ wissen, dass der Gasfluss bereits in den Wochen zuvor sehr unterschiedlich ausgefallen war. Nach Zahlen des in Brüssel ansässigen Thinktanks Bruegel ist der Gasfluss über die Pipeline bereits seit dem Sommer 2021 rückläufig. Waren es zuvor noch bis zu 800 Millionen Kubikmeter, sank die Menge im vergangenen Herbst auf knapp 400 Kubikmeter. Seit Anfang April haben die Gaslieferungen die 200 Millionen Kubikmeter nicht mehr überschritten. Anders bei Nordstream 1. Dort hätten sich die Gasflüsse nicht nennswert verändert, sagte Bruegel-Erdgasexperte Georg Zachmann dem "Spiegel".

Dass die Lieferungen seit Monaten zurückgehen, hat nach Einschätzung des Experten auch mit den geschlossenen Verträgen zu tun. Laut Brancheninsidern soll der Vertrag bereits vergangengen Herbst ausgelaufen sein. Die vereinbarten Abnahmevolumina existieren nicht mehr – was nicht bedeutet, dass kurzfristige Lieferungen nicht mehr gebucht werden können.

Keine Bedenken wegen Lieferstopp

Für Deutschland, das seine russischen Gasbezüge nach Worten von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck ohnehin drastisch reduzieren möchte, dürfte der Lieferstopp über die Jamal-Pipeline folgenlos bleiben. 2021 stammten noch gut 50 Prozent des in Deutschland genutzen Gases aus Russland. Inzwischen liegt der Anteil laut Habeck bei bei 35 Prozent. Weit größer ist die Abhängigkeit nach Bruegel-Zahlen jedoch in Polen (81 Prozent) und Bulgarien (100 Prozent).

Um den Anteil russischen Gases weiter zu senken, setzen Länder wie Deutschland auf den Ankauf von verflüssigtem Erdgas (LNG). Dieses wird mit Tankschiffen geliefert. Hierfür sind spezielle Terminals nötig, an denen die Regierung gegenwärtig mit Hochdruck arbeite, wie Habeck versichert. Im Sommer 2024 soll so nur noch 10 Prozent des Erdgases aus Russland kommen. Die Alternative ist allerdings umstritten, weil das Gas teils durch umweltschädliches Fracking gewonnen wird.

Auch Polen und Bulgarien zeigen sich angesichts des Lieferstopps unbesorgt. Beide Länder haben sich über alternative Leitungen abgesichert. So wird Bulgarien aktuell noch an das griechische Netz angeschlossen. Die Arbeiten sollen im Juni fertig werden. Dank bestehender Reserven sei die Versorgung zudem noch für einen Monat gesichert, teilte das bulgarische Energieministerium mit. Der Verbrauch müsse deshalb nicht reduziert werden. Und in Polen beruhigt Klimaministerin Anna Moskwa: "Polen hat die notwendigen Gasreserven und Versorgungsquellen, die unsere Sicherheit schützen (...) Unsere Lager sind zu 76 Prozent gefüllt. Es wird Gas in polnischen Haushalten geben."

Quellen: Brügel, Tagesschau, Deutsche Welle, Gascade,mit Material von DPA und AFP

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