Es ist ein Weckruf, ein Warnschuss - eine dringende Aufforderung an die in politischen Schützengräben liegenden US-Demokraten und Republikaner. Einigt euch! Vergesst eure ideologischen Gefechte! Das Wohl des ganzen Landes steht auf dem Spiel. Und, bitte, macht vor allem schnell. Nicht anders ist die Botschaft zu bewerten, die die Rating-Agentur Standard & Poor's am Montag nach Washington und in die Welt geschickt hat. Es ist der Job der Agentur, die Kreditwürdigkeit von Staaten zu beurteilen. Nun sagen die Finanzexperten, es könne sein, dass die USA ihre Top-Bewertung als Kreditnehmer - das dreifache A, das "triple A" - verlören, und zwar schon 2013. Das alles könnte geschehen, wenn die Herren und Damen in Washington jetzt nicht bald einheitlich und schlüssig erklären können, wie sie Amerikas schwindelerregendes Haushaltsloch stopfen wollen. Und zwar subito!
Denn in den USA sieht es haushaltspolitisch derzeit in zweierlei Hinsicht zappenduster aus. Das erste Problem ist die Staatskasse. Die befindet sich in einem dramatischen Zustand. Steuert die Politik hier nicht gegen, können die USA mittel- und langfristig tatsächlich in einen Strudel geraten, der dann auch die Weltwirtschaft herunterziehen könnte. Das zweite Problem ist dummerweise die Politik selbst. In den USA sind Demokraten und Republikaner auch nach mehr als zwei Jahren unter dem als Versöhner angetretenen Präsidenten Barack Obama so tief gespalten, dass es fast unmöglich erscheint, dass sie haushaltspolitisch an einem Strang ziehen. Vor diesem Hintergrund ist der Weckruf von Standard & Poor's zu sehen.
Problem Nummer eins: Der Haushalt
Es ist eine schlichte Erkenntnis: Die USA geben viel mehr Geld aus, als sie einnehmen. Zwei Kriege - einer im Irak, einer in Afghanistan - hohe Investitionen in der Finanzkrise, ein teures Gesundheitssystem, das alles treibt den Defizitzähler in die Höhe. Im laufenden Haushaltsjahr alleine häuft Amerika bis zu 1,65 Billionen Dollar neue Schulden an, das sind rund 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Insgesamt belaufen sich die Schulden auf mehr als 14,2 Billionen Dollar. Das ist an der Wirtschaftsleistung gemessen das dickste Minus in der Staatskasse seit fünf Jahrzehnten. Zum Vergleich: Die Gesamtverschuldung im Euro-Raum, also die Schulden jener 17 Länder, die ebenfalls den Euro als Währung haben, beträgt laut "Financial Times Deutschland" umgerechnet rund 11 Billionen Dollar, also deutlich weniger. Was gegen so ein Staatsdefizit hilft, ist auch recht simpel: Entweder muss über höhere Steuern mehr Geld in die Kasse kommen - oder die Ausgaben müssen gesenkt werden.
Auf Pump leben ist für einen Staat dabei eigentlich kein Problem. Im Gegenteil. Oft können Schulden sogar sinnvoll sein, damit die Wirtschaft angekurbelt werden kann. Allerdings muss der Staat sein Minus halbwegs im Griff haben. Und das geht nur, solange er sich günstig Geld leihen, also zu geringen Kosten Schulden machen kann. Und hier setzt der Mechanismus an, bei dem auch Rating-Agenturen wie Standard & Poor's eine Rolle spielen: Genießt ein Staat eine hohe Bonität, also eine hohe Kreditwürdigkeit, kann er zu geringen Zinsen Anleihen ausgeben, sich so Geld borgen, Schulden machen - die Anleger sind ja sicher, dass sie ihr Geld zurückbekommen. Sinkt die Kreditwürdigkeit, steigen die Zinsen, also der Risikoaufschlag. Das Schuldenmachen wird teurer. Dadurch steigen wiederum die Schulden. Ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt, der dann tatsächlich im Staatsbankrott enden kann, weil die Regierung irgendwann nicht mehr zahlen kann. Wie diese Abwärtsspirale funktioniert, ist gerade am Beispiel Griechenland zu beobachten.
Eine Pleite der USA hätte fatale Folgen
Eine Pleite der USA hätte dabei fatale Folgen für die Weltwirtschaft. Die Investoren, also jene, die die Staatsanleihen gekauft haben, würden viel Geld verlieren, die Börsen würden einbrechen, der Dollar abstürzen, der internationale Großeinkäufer würde ausfallen, gerade Exportländer wie Deutschland auf ihren Waren sitzenbleiben. Aber auch für Länder wie China ist das eine reale Gefahr. Die Chinesen horten wie kein anderes Land US-Staatsanleihen, sie sind der Gläubiger Nummer eins der Amerikaner, gefolgt von Japan. Das ist auch eine Wette auf die Zugkraft der USA, kann aber auch Folgen für die politische Unabhängigkeit haben. Dass das US-Haushaltsdefizit gewaltigen Anlass zur Sorge gibt, machten Großanleger schon in den vergangenen Monaten deutlich. Unter anderem verkündete der Großanleger Pimco, vorerst keine US-Staatspapiere kaufen zu wollen, auch in China gibt es kritische Stimmen zu hören.
Die USA sind von so einem Szenario eines echten Staatsbankrotts weit entfernt. Auch nach der Ankündigung von Standard & Poor's stürzte der Dollar ebenso wenig ab wie die US-Anleihen. Und dennoch droht nun eine Art künstlicher Bankrott. Seit 1917 gibt es nämlich eine Schuldenobergrenze. Wird diese Grenze überschritten, darf das Finanzministerium keine neuen Schulden aufnehmen. Die Regierung hat dann auch recht bald keine Reserven mehr - und wird ebenfalls zahlungsunfähig. Das ist ein politisch gewollter Bankrott, der dazu führen soll, dass die politischen Parteien sich auf eine haushaltspolitische Lösung einigen. Genau dieses Desaster droht nun der Obama-Regierung. Die Schuldenobergrenze liegt derzeit bei 14,294 Billionen Dollar. Diese Grenze wäre nach Angaben von Finanzminister Timothy Geithner schon am 16. Mai erreicht, am 8. Juli wäre dann kein Geld mehr in der Kasse. Die Obama-Regierung versucht das zu verhindern. Sie will die Schuldenobergrenze einfach anheben, wie das etwa die Regierung von George W. Bush auch mehrfach getan hat. So will sie einen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit der US-Wirtschaft verhindern.
Problem Nummer zwei: die innenpolitische Pattsituation
Was also tun? Was tun, um das Defizit zu drücken? Welche Steuern müssen erhöht, welche Posten eingespart werden? Wie muss die Schuldenobergrenze frisiert werden, um den Bankrott zu umgehen? Das sind klassische haushaltspolitische Fragen. Aber weil die Politik in den USA so gespalten ist, tut sich die US-Regierung immens schwer, darauf eine Antwort zu geben. Seit den Kongresswahlen im vergangenen November haben die Republikaner im Abgeordnetenhaus, neben dem Senat eines der beiden Kammern des US-Parlaments, die Mehrheit. Präsident Obama muss sich mit ihnen auf einen Sparkurs verständigen. Und genau an der Verständigung hakt es, möglicherweise sogar am Einigungswillen, denn gut eineinhalb Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl will jede Partei Ideologiefestigkeit unter Beweis stellen und ihre eigene Klientel nicht vergrätzen.
Was also soll mit den Steuern geschehen? Obama hat in der vergangenen Woche ein Konzept vorgelegt, das Reiche und Unternehmen steuerlich stärker belastet. Die Republikaner sträuben sich, auch unter dem Einfluss der rechten Tea Party Bewegung, gegen höhere Steuern für irgendjemanden. Sie zielen eher auf Sparmaßnahmen im Sozial- und Gesundheitswesen ab, wovon vor allem Ärmere und Ältere betroffen wären. Den Verteidigungshalt wollen sie nicht angreifen. Dort allerdings setzt der Präsident an. Er hat in der vergangenen Woche einen Sparplan präsentiert, der Einsparungen von rund 4 Billionen Dollar im Laufe der nächsten zwölf Jahre vorsieht. Der Gegenentwurf der Republikaner umfasst Einsparungen von 4,4 Billionen Dollar binnen zehn Jahren.
Die Lösung?
Ob der Weckruf von Standard & Poor's jetzt ausreicht, um die harten Verhandlungspositionen aufzubrechen, ist völlig offen. Am Montag sah es nicht danach aus. In beiden politischen Lagern gab es vor allem erwartbare Reflexe zu beobachten: Die Regierung verwies auf Obamas Rede in der vergangenen Woche, die skizziert habe, wie der Präsident die Notlage lösen wolle. Die Republikaner forderten vom Weißen Haus ein Einlenken. Dasselbe gilt für den drohenden Staatsbankrott. Während Demokraten davor warnen, dass die USA an den Finanzmärkten weiter an Glaubwürdigkeit verlieren könnten, schimpfen Republikaner, dass Demokraten doch jetzt endlich begriffen haben müssten, dass es beim Sparen nicht gekleckert, sondern geklotzt werden müsse. "Wenige Politiker sind ehrlich, was die Steuern und die Ausgabenkürzungen betrifft, die für jedwede plausible wirtschaftliche Zukunft in einer alternden Gesellschaft nötig sein werden", schreibt der Ökonom Tyler Cowen in der "New York Times." Gänzlich neu sind die Warnungen hinsichtlich der Folgen des US-Staatsdefizits ohnehin nicht. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte der US-Regierung vor wenigen Wochen schon ein erbärmliches Zeugnis ausgestellt. Deutschland könnte von den Zweifeln an der Kreditwürdigkeit der USA übrigens kurzfristig profitieren. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert am Dienstag einen Berater von Finanzminister Schäuble, der sogar von einer "Stabilitätsdividende" spricht - weil Deutschland im Vergleich zu den als noch verlässlicherer Schuldner erscheint, könne es seine Kreditkosten möglicherweise sogar drücken.