Der Auftritt ist schon mal standesgemäß. Im Porsche Carrera fährt Sebastian Fesser an diesem Dienstagmorgen in einer Hannoveraner Reihenhaussiedlung vor. Die erste Interessentin wartet schon vor dem Haus, das zum Verkauf steht. "Schönes Maklerklischee", begrüßt die Frau den 40-Jährigen mit einem süffisanten Blick auf dessen rasanten Dienstwagen. Naja, erklärt Fesser, wenn man über 50.000 Kilometer im Jahr runterreiße, dann könne man dabei doch auch ein bisschen Spaß haben. Immerhin: Das Eis ist durch den Spruch gebrochen.
Einen Tag lang darf ich auf dem beheizbaren Beifahrersitz des Hannoveraner Maklers Platz nehmen. Ich begleite ihn zu Besichtigungen, erlebe ihn im Kundenkontakt - und unterziehe alle Vorurteile, die es landläufig über Makler gibt, einem individuellen Praxischeck. Fesser hat selbst dazu eingeladen, nachdem er einen Artikel über einen Berliner Makler gelesen hatte, der eine Massenbesichtigung mit 800 Interessenten organisierte. "Maklerbashing ist ja eine neue Volkssportart von Journalisten geworden", schrieb Fesser in einer Mail an den stern. "Aber betrachten Sie doch mal die andere Seite. Denn Makler sind nicht immer nur die gelackten Anzugträger mit Cabrio, Gel im Haar und wenig Ahnung."
Zeitreise-Haus mit Blümchenalptraum
Hier sitze ich also nun auf der anderen Seite. Sieht man mal von dem extravaganten Gefährt ab, gibt sich Fesser große Mühe, "dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen", wie er sagt. Fesser trägt keinen Anzug, sondern Jeans und Turnschuhe und versucht, mit lockeren Sprüchen für eine ungezwungene Atmosphäre zu sorgen.
Das erste Haus, das Fesser heute an den Mann oder die Frau bringen will, ist einer der härteren Fälle. Ein Reihenhaus aus den 50ern, deren betagte Vorbesitzerin kürzlich verstorben ist. "In diesem süßen Reihenmittelhaus können Sie sich baulich voll nach Ihrem Geschmack austoben", hat Fesser ins Exposé geschrieben. Mit anderen Worten: ziemlich runtergerockt, das Ding.
Aber das kann man eben auch charmant ausdrücken. "Willkommen auf einer kleinen Zeitreise", sagt Fesser, während er die erste Interessentin durch Räume voller Blümchentapeten und einen vollkommen verwucherten Garten führt. Die Küche ist aus unerfindlichen Gründen im Keller, die Sitzbadewanne hat Museumswert und die zwei Zimmer im Dachgeschoss sind so winzig, dass sie bei der Berechnung der Wohnfläche noch nicht einmal mitgezählt werden. "Es ist nicht immer alles nur schön, da ist eben auch ganz viel Schrott dabei", sagt Fesser später zu mir.
Zur Kundin sagt er: "Vom Preis-Leistungs-Verhältnis ist das der Kracher." Für einen Kaufpreis von 219.000 Euro bekommt man schließlich nicht allzu viele Häuser in der Stadt, auch nicht in Hannover. Bei seiner Führung betont Fesser das großzügige Wohnzimmer mit Parkett, die "Penthouse-Dachterrasse" (deren Fliesen bröckeln) und die Vorzüge des etwas klein geratenen Gartens - "nach Süden hin, und Sie sind damit nicht im Nebenberuf Gärtner". Die Interessentin ist sichtbar noch nicht überzeugt. "Meine Aufgabe als Makler ist es, die Wahrheit zu zeigen - aber in schönen Farben", sagt Fesser später.
Fessers Hauptanliegen ist es, mir zu zeigen, dass Makler entgegen weitverbreiteter Meinungen für ihr Geld richtig arbeiten müssen. "Ich bin nicht einfach nur der blöde Türaufschließer", sagt Fesser. Der 40-Jährige ist gelernter Bank- und Versicherungskaufmann, arbeitet seit 16 Jahren als selbständiger Immobilienmakler und ist IHK geprüfter Sachverständiger für Immobilienbewertung. Wenn ein Verkäufer ihn beauftragt, ermittelt Fesser den Marktpreis der Immobilie, erstellt ein Exposé mit professionellen Fotos und schaltet Anzeigen bei Immoscout. Er stellt Grundbuchauszüge, Lagepläne und Energieausweise zusammen und lässt bei Bedarf sogar Grundrisse neu zeichnen. Fesser sagt selbst, dass er viele Makler "unmöglich" findet. "Aber was die Leute oft nicht sehen, ist die Arbeit, die sich ein ordentlicher Makler macht."
Am zeit- und nervenraubendsten sind die Besichtigungen. Bei attraktiven Objekten hat Fesser leichtes Spiel. Da reichen vergleichsweise wenige Besichtigungen, um einen Käufer zu finden. Bei Objekten wie dem Blümchentapeten-Haus stehen Aufwand und Ertrag in einem deutlich schlechteren Verhältnis. Vor allem, weil nach Fessers Erfahrung gilt: Je unattraktiver ein Objekt, desto unzuverlässiger die Kunden. Was sich gleich bei Besichtigungstermin Nummer zwei bestätigt: Der angekündigte Kaufinteressent kommt einfach nicht, murmelt am Telefon irgendwas von Missverständnis. Für Fesser bedeutet das eine halbe Stunde Leerlauf bis die nächsten Interessenten zum Einzeltermin kommen. "Das passiert, wenn man als Makler so blöd ist und keine Massenbesichtigungen macht", schimpft Fesser. "Die Leute kommen trotz Termin nicht und sagen noch nicht mal ab."
Die Leute kaufen wie verrückt
Rund 30.000 Immobilienmakler gibt es in Deutschland, schätzt der Immobilienverband IVD. Vor zwei Jahren musste die Branche mit der Einführung des Bestellerprinzips einen Einschnitt verkraften. Große Teile des Vermietungsgeschäfts brachen weg, 70 Prozent der Maklerunternehmen gaben laut IVD im vergangenen Jahr an, ihre Geschäfte auf den Verkauf umstrukturiert zu haben. Auch Fessers Maklerbüro betreut seitdem keine Vermietungen mehr, der für Vermietungen zuständige Kollege musste aufgeben. Dafür hat Fesser ein Dutzend Mitarbeiter, die sich auf Provisionsbasis um den Verkauf von Objekten kümmern.
Denn die Leute kaufen wie verrückt. In den Metropolen, aber auch in kleineren und mittleren Städten stiegen die Kaufpreise 2017 weiter stark an. Auch bei einem Durchschnitts-Häuschen zehn Kilometer außerhalb von Hannover hat Fesser keine Probleme, Interessenten zu finden, die 330.000 Euro auf den Tisch legen. Plus 5,95 Prozent Maklerprovision und weiterer Nebenkosten. "Das Problem ist weniger, den Käufer zu finden, sondern das Objekt", sagt Fesser über den leergekauften Markt. Bei attraktiven Objekten schlägt er sich mit Berufsgenossen in einer Art Maklercasting darum, wer den Auftrag bekommt.
Andererseits ist natürlich auch in der Stadt nicht jeder Immobilienverkauf ein Selbstläufer, wie einer von Fessers Mitarbeitern berichtet. Er muss aktuell einen Käufer für eine Wohnung mit schwieriger Nachbarschaft finden. "Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass diese Wohnung nicht nur durch die Straßenbahn besten Verkehrsanschluss bietet, sondern einige reizende Damen im Hause ebenfalls Verkehrsdienstleistungen anbieten", hat er ins Exposé geschrieben. Die Puff-Optik in der Immobilienanzeige lässt keine Zweifel, um welche Dienstleistungen es sich handelt. Fessers Mann berichtet, er telefoniere nun regelmäßig mit interessierten Zuhältern und anderen zwielichtigen Gestalten. "Es war aber auch schon ein Vater dabei, der will, dass sein Studenten-Sohn endlich mal Kontakt zum weiblichen Geschlecht bekommt." Es ist eben nicht immer alles nur schön.
Mehr ehrliche Makler-Sprüche: Im stern-Interview spricht Sebastian Fesser über anstrengende Hausbesitzer, unangenehme Käufer und unmögliche Maklerkollegen.