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Arbeitsbedingungen im Handel "Auch Todesfälle sind möglich"

Unterdrückung, Schikane und rohe Gewalt: Diesen Arbeitsalltag in einem Discounter schilderte der "Tatort". Eine durchaus realistische Darstellung, meint Margret Mönig-Raane, Vize-Chefin der Gewerkschaft Verdi, im stern.de-Interview. Im Handel gehe es teilweise sehr "ruppig" zu. Aber sie redet auch den Verbrauchern ins Gewissen: "Sie haben eine Mitverantwortung."

Frau Mönig-Raane, wie hat Ihnen der gestrige Tatort gefallen?

Ich fand ihn gut, weil er die Arbeitsrealität authentisch geschildert hat. Besonders hat mir die Darstellung der Discounter-Mitarbeiter gefallen. Das waren ja keine Helden, sie haben aber versucht, etwas zu verändern. Mancher Zuschauer mag vielleicht gedacht haben: Das gibt es doch nicht. Ich sage Ihnen aber: Genau so passiert es. Auch ein Todesfall ist bei solchen Arbeitsbedingungen durchaus möglich.

Wie meinen Sie das?

Es kommt im Einzelhandel öfter zu Überfällen und die haben teilweise schlimme Folgen für die Mitarbeiter. Gründe dafür sind auch die schlechten personellen Ausstattungen und die oft abgelegenen Standorte der Geschäfte. Deshalb wollen wir einen Sicherheitstarifvertrag, um die passive Sicherheit der Mitarbeiter zu erreichen.

Der ehemalige BDI-Präsident Michael Rogowski war bei "Anne Will" der Meinung, die im "Tatort" dargestellten Szenen seien Einzelfälle.

Nichts davon ist frei erfunden. Es ist nicht die Regel, aber es sind auf keinen Fall Ausnahmen. Und bei bestimmten Unternehmen sind solche Arbeitsbedingungen durchaus an der Tagesordnung.

Zur Person

Margret Mönig-Raane ist stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi und Leiterin des Verdi-Bundesfachbereichs Handel.

Im Film war die Schilderung der erpressten Selbstkündigung einer Mitarbeiterin besonders bedrückend. Kommt das in der Realität öfter vor?

Jedem Zweifler rate ich, sich mal an einem Arbeitsgericht umzusehen. Solche Fälle werden dort laufend verhandelt. Es ist eine gängige Methode, um unbequeme Mitarbeiter los zu werden.

Wie können sich Betroffene gegen diese Vorgehensweise wehren?

Eigentlich nur, indem man sich mit den Kollegen verbündet, einen Betriebsrat gründet und zusammen dem Arbeitgeber entgegentritt. Wer als einzelner Angestellter auftritt, ist hilflos. Das zeigt das Beispiel Schlecker, wo in den letzten Jahren immer mehr Betriebsräte entstehen.

Gelingt dies in anderen Einzelhandelsunternehmen auch?

Bei Lidl erhöht sich die Zahl ganz langsam, es sind jedoch immer noch weniger als zehn. Lidl, aber auch andere Firmen, versuchen ihren Einfluss auf den Betriebsrat zu sichern, indem sich Marktleiter oder Bezirksleiter als Kandidaten aufstellen und wählen lassen. Trotzdem muss man sagen, dass sich bei Lidl durch den öffentlichen Druck, insbesondere seit dem Bespitzelungsskandal, einiges zum Besseren verändert hat.

Wie ist die Situation bei der Konkurrenz?

Dass es auch bei Discountern mit Betriebsräten funktioniert, zeigt das Beispiel Penny. Dort gibt es gute Betriebsräte. Bei Plus ist es durchmischt. Aldi-Nord hat zwar überall Betriebsräte, allerdings sind es oft die vom Unternehmen unterstützten AUB-Leute. Bei Aldi-Süd hingegen gibt es gar keine Arbeitnehmervertretung. Auch bei Norma gibt es meines Wissens nach kaum Betriebsräte. Hier herrscht ein besonders ruppiges Klima.

Was meinen Sie damit?

So wie gestern im "Tatort" geschildert.

Ist es tatsächlich so, dass der Verdacht eines Diebstahls gegen einen Mitarbeiter reicht, um ihm zu kündigen?

Ja. Das reicht für eine Verdachtskündigung. Das zeigt den wahnsinnigen Druck, unter dem die Mitarbeiter stehen. Zudem haben viele der Beschäftigten einen flexiblen Arbeitsvertrag. Sie müssen also darauf hoffen, möglichst oft eingesetzt zu werden. Und diese Situation nutzen manche Unternehmen aus, um unbequeme Mitarbeiter zum Schweigen zu bringen. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat den Druck auf diese Leute enorm erhöht.

Wie können die Kunden reagieren?

Als Kunde muss ich mich fragen: Wenn jemand nur mit billig wirbt, wer zahlt den Preis?

Aber in der jetzigen Krise müssen viele Leute sparen. Da kann nicht jeder zu einem teuren Supermarkt gehen.

Das ist völlig richtig. Es gibt ja Discounter mit ordentlichen Strukturen. Ich rate den Leuten, die Mitarbeiter zu fragen, ob es einen Betriebsrat gibt und ob sie sich gut repräsentiert fühlen. Für mich ist das Vorhandensein eines Betriebsrates ein Anzeichen dafür, dass es in einem Unternehmen stimmt. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Lebensmittelbereich. Auch die Elektrokette Media-Markt tut alles, um Betriebsräte zu verhindern. Es gibt kein Land, in dem der Konkurrenzkampf im Einzelhandel so gnadenlos ist wie in Deutschland. Der Verbraucher hat also eine Mitverantwortung.

Durch den Tatort entstand der Eindruck, dass oft auch die mittlere Führungsebene - also Filial- oder Bezirksleiter - Opfer sind, da sie von ihren jeweiligen Vorgesetzten enormem Druck ausgesetzt sind. Täuscht dieser Eindruck?

Ich gehe davon aus, dass die Manager von sich aus keine Menschenschinder sind. Aber wer den Druck, den er von oben bekommt, nur durch Brüllen an seine Mitarbeiter weitergeben kann, ist auf jeden Fall falsch am Platz. Auch in dieser Branche.

Interview: Malte Arnsperger

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