Die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Erwachsene müssen neu berechnet werden. Die bisherige Regelung verstößt gegen die Verfassung. Die Berechnung sei nicht transparent genug, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag. Das Gericht forderte den Gesetzgeber in seinem Urteil auf, bis zum 31. Dezember eine an der Realität orientierte Neuregelung zu schaffen. "Schätzungen ins Blaue hinein" seien mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Ob Bezieher des Arbeitslosengeldes II deshalb mehr Geld bekommen müssen, ließ das Gericht offen. Die Höhe der Leistungen sei aus dem Grundgesetz nicht direkt abzuleiten, sagte Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier in der mündlichen Urteilsbegründung. Sie seien gegenwärtig auch weder für Kinder noch für Erwachsene "offensichtlich unzureichend". Zudem dürfe der Gesetzgeber feste Regelsätze schaffen. Die gegenwärtigen Sätze seien aber "nicht in verfassungsmäßiger Weise ermittelt worden". So sei die Koppelung an den aktuellen Rentenwert ein sachwidriger Maßstabswechsel. Und besonders bei Kindern müsse sich die neue Berechnung stärker an der Realität orientieren. Für unabweisbare besondere Notwendigkeiten, etwa Kleidung in Übergröße oder Klassenfahrten, sei eine Härte-Klausel erforderlich. Damit waren die Klagen von drei Familien aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen erfolgreich.
Besonderer Bedarf kann ab sofort angemeldet werden
Bis zu einer Änderung bleibt die bisherige Regelung gültig. Ab sofort können Hartz-IV-Empfänger jedoch in Ausnahmefällen einen besonderen Bedarf geltend machen, der durch die bisherigen Zahlungen nicht gedeckt wird. Sozialverbände, Kinderschutzbund und Gewerkschaften begrüßten das Urteil. Dem ohnehin durch eine Rekordneuverschuldung von fast 100 Milliarden Euro schwer gebeutelten Staat drohen nun allerdings deutlich höhere Ausgaben.
In Deutschland beziehen mehr als 6,5 Millionen Menschen Hartz-IV-Leistungen. Der Regelsatz für Erwachsene liegt derzeit bei 359 Euro monatlich plus Kosten der Unterkunft. Auf diese Summe kam die Regierung Schröder mittels der sogenannten statistischen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Bei der Berechnung des Bedarfs der Kinder ging die rot-grüne Regierung kurze Wege. Kinder und Jugendliche erhalten seitdem einen Anteil der Erwachsenen-Stütze: Unter sechs Jahren gibt es 60 Prozent (215 Euro), unter 14 Jahren 70 Prozent (251 Euro), darüber 80 Prozent (287 Euro).
Die klagenden Eltern hatten argumentiert, dass beispielsweise der Bedarf an Bekleidung nicht so pauschal berechnet werden könne: Während ein Erwachsener beispielsweise monatelang mit einem Paar Schuhe auskomme, würden ihre Kleinen alle paar Wochen aus ihren herauswachsen. Derzeit erhalten Kinder rund zwölf Euro für Tabak und Alkohol, aber nichts für Windeln.
(Aktenzeichen: 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09)