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Gartenstühle und versiffte Matratzen Willkommen auf dem Recyclinghof, der Resterampe der Überflussgesellschaft

Auf Recyclinghöfen herrscht an Wochenenden großer Andrang.
Auf Recyclinghöfen herrscht an Wochenenden großer Andrang.
© Jonas Wresch/stern
Recyclinghöfe sind längst keine Igitt-Orte mehr. Am Wochenende stehen die Menschen Schlange, um hier ihren alten Krempel loszuwerden. Ein Riesengeschäft ist das für die Stadt trotzdem nicht.

An einem typischen Samstagmittag ist die Autoschlange vor dem Schwarzen Weg 10 in Hamburg-Steilshoop so lang, dass man schon mal eine Stunde warten muss. Doch hier findet kein Schlussverkauf statt und es wird auch nichts verschenkt. Die Leute kommen nach Steilshoop, um ihren Müll auf dem Recyclinghof loszuwerden.

Versiffte Matratzen, alte Möbel, Batterien, Plastikstühle, Gartenabfälle, Autoreifen oder Elektroschrott – für jede Kategorie gibt es einen Container oder wenigstens eine Tonne. Sogar HD-Flachbildfernseher und Smartphones stapeln sich hier, schließlich lässt der rasante technologische Fortschritt morgen schon zum alten Eisen werden, was gestern noch neu und erstrebenswert war. Auch Gefahrenstoffe und Chemikalien nehmen die Mitarbeiter an, um sie fachgerecht zu entsorgen. Manchmal werden auch Waffen abgeliefert, einmal sogar eine Panzerfaust. Klar: Zufällig gefunden. "In solchen Fällen die häufigste Ausrede", sagt die Vorarbeiterin.

Recyclinghöfe sind keine Igitt-Orte mehr

Zwölf Recyclinghöfe gibt es in Hamburg. Wer seinen Wohnsitz in der Hansestadt hat, darf hier das meiste kostenlos abgeben, sofern es aus einem Privathaushalt kommt. Weil die klassische Sperrmüllsammlung Geld kostet und nicht von heute auf morgen stattfindet, geben immer mehr Kunden direkt zu den Recyclinghöfen - im vergangenen Jahr rund 700.000, unter ihnen der Schauspieler Sky du Mont (Lieblingshof Osdorf) und der Rapper Smudo, der alle paar Wochen auf dem Recyclinghof Sankt Pauli auftaucht.

Mehr zum Thema finden Sie im stern Nr. 16
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Im Gegensatz zu Mülldeponien und Verbrennungsanlagen sind Recyclinghöfe keine Igitt-Orte mehr, sondern schichtenübergreifender Treffpunkt der Überflussgesellschaft. Das gute Gewissen gibt es gratis dazu.

Aber nicht jeder halte sich an die Regeln, klagen die Mitarbeiter. Immer wieder kommt es vor, dass auf Anhängern unter einem Haufen Altholz (kostenlos) Altreifen oder Bauschutt (kostenpflichtig) auf den Hof geschmuggelt werden. Auch für die Abgabe von Hausmüll wird – ebenso wie bei der grauen Tonne vor der Haustür - eine Gebühr fällig: Drei Euro für 120 Liter. Offenbar zu viel für manche Leute, die ihren Hausmüll unter Textilien in Altkleidersäcken verstecken und so kostenlos entsorgen wollen. "Leider herrscht bei manchen Kunden auch hier die Geiz-ist-geil-Mentalität", sagt Dirk Zimmer, der Leiter der Hamburger Recyclinghöfe.

Recyclinghof-Leiter Dirk Zimmer in einem Büro

"Wir machen keinen Gewinn"

Ein Riesengeschäft ist der Müll für die städtischen Entsorgungsbetriebe ohnehin nicht. Wertstoffe wie Glas, Plastik und Papier werden gesammelt und dann an externe Dienstleister zur Weiterverwertung verkauft. "Wir versuchen kostendeckend zu arbeiten, aber wir machen keinen Gewinn", sagt Zimmer.

Vor allem der Transport sei teuer. Früher hätten noch jede Woche Chinesen angerufen, die alte PET-Flaschen kaufen wollten, ergänzt Reinhard Fiedler, Pressesprecher der Stadtreinigung Hamburg. "Die wollten das als Material für die Fliespullover-Produktion in Fernost haben." Aber die Chinesen melden sich nicht mehr, seit sie genug eigenen Müll produzieren. 

Auch Altpapier sei nicht mehr das, was es mal war, sagt Fiedler: „Bei einem Container voller Telefonbücher wußten sie noch, das ist gute Qualität. Heute bekommen sie vor allem Versandkartons, und die sind bereits aus recycelten Kartonagen hergestellt“. Grünabfälle verarbeitet die Stadt dagegen selbst in ihrem Biogas- und Kompostwerkwerk Bützberg zu Kompost, der dann wieder auf den Recyclinghöfen verkauft wird.

"Am besten ist immer noch die Müllvermeidung", sagt Zimmer. Das sehe schließlich auch die Abfallhierarchie im Kreislaufwirtschaftsgesetz so vor, nach der thermische Verwertung oder Beseitigung nur dann erlaubt sind, wenn keine andere Verwertung mehr möglich ist.

Was einmal schön war und immer noch gut ist, wird deshalb nicht einfach dem Verwertungskreislauf zugeführt, sondern weiter verkauft. Möbel, Hausrat, Bücher, Fahrräder und Kleidung kommen zum stadteigenen Second-Hand-Shop "Stilbruch". Wenn sie nicht vorher von dem privaten Absammler mitgenommen werden, der seinen weißen Lastwagen vor dem Recyclinghof geparkt hat. Schon sein Vater habe hier gestanden, erzählt der Mann, der gerade einen alten Ofen abgestaubt hat. Wer sagt denn, dass Müll nichts mehr wert ist?

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