Kampf gegen Pandemie Astrazeneca heißt jetzt Vaxzevria. Oder die Chronik eines PR-Desasters

Laut Markus Söder braucht es Mut, um sich mit Astrazeneca impfen zu lassen. Oder Vaxzevria, wie es heißt. Der Spruch des Ministerpräsidenten fasst gut zusammen, in welchen Schlamassel der Impfstoff geraten ist. Rückblick auf Pleiten, Pech und Pannen.

Vaxzevria - der Name klingt ein wenig wie Obelix' neue Hinkelstein-Lieferantin aus Lutetia. Oder wie eine Schlager-Gothic-Band. Unter diesem Kunstwort versteckt Astrazeneca ab sofort seinen in die Dauerschlagzeilen geratenen Corona-Impfstoff. "Die Umstellung auf einen dauerhaften Markennamen ist üblich und wurde seit vielen Monaten geplant", schreibt das Unternehmen dazu. Gut möglich, dass das so ist, die Internetseite Vaxzevria.com jedenfalls existiert bereits. Dennoch wirkt die Namensänderung wie eine PR-Notbremse – ein mieseres Image als das des britisch-schwedischen Unternehmens ist derzeit kaum vorstellbar. 

Unfreiwillig wie ungeschickt degradierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die sinnvolle Impfung mit dem Wirkstoff zu einer Art Mutprobe: "Irgendwann wird man bei Astrazeneca speziell mit sehr viel Freiheit operieren müssen und sagen müssen: Wer will und wer es sich traut quasi, der soll auch die Möglichkeit haben", sagte er anlässlich des zweiten Anwendungsstopps innerhalb von nur zwei Wochen. Und als stünden dutzende Alternativen zur Verfügung, sägte er mit seiner flapsigen Bemerkung am ohnehin dürren Vertrauen der Deutschen ins Impfen. Gerade einmal 60 Prozent wollen sich mit Hilfe zweier Spritzen gegen das Virus schützen. Der Dauerärger um den Stoff aus Großbritannien ist da wenig hilfreich.

Keine Impfungen für über 65-Jährige oder unter 65-Jährige?

Die ganze Aufregung begann bereits mit seiner Zulassung im Januar. Weil der europäischen Zulassungsbehörde EMA nur unzureichende Daten über ältere Testpersonen vorlag, empfahl sie, das Serum nicht für Menschen über 55 Jahre zu benutzen. Deutschland legte noch zehn Jahre drauf, doch das bedeutete auch, dass damals noch schnöde genannte "Covid-19 Vaccine Astrazeneca" für über 65-Jährige tabu sein würde. Die ohnehin schon knappen Bestände schrumpften also noch einmal – obwohl klar war, dass es im Land an allen Ecken und Enden an Corona-Vakzinen mangelte.

Kurz danach brach dann eine Debatte über die Wirksamkeit los. Durch die etwas umständliche Berechnung kam der Eindruck auf, dass das Vakzin im Vergleich zum deutschen Highend-Produkt von Biontech nichts tauge. Als dann bei Pflegekräften noch Impfreaktionen wie Kopfschmerzen und Erkältungssymptome bekannt wurden, stapelten sich plötzlich die Dosen in den Kühlschränken der Impfzentren. Schnell hieß es, man könne doch die Impfreihenfolge lockern und zum Beispiel Lehrer mit den ungeliebten Chargen impfen. Doch deren Freude hielt sich in Grenzen. Einige fühlten sich als Versuchskaninchen, andere wie Impflinge zweiter Klasse. 

So weit, so schlecht. Da half es auch nicht, dass Virologen und andere Experten sich den Mund fusselig redeten. Einige wenige, wie etwa Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, schürten zwar Zweifel, doch die meisten verteidigten Astrazeneca. SPD-Gesundheitsexperte und Pandemie-Orakel Karl Lauterbach erklärte sich bereit zur öffentlichen Impfung. Denn natürlich sei der Stoff empfehlenswert und auch verpuffe er nicht ergebnislos. Dass die Reaktionen auf den Piks unangenehm seien, stimme wohl, doch das sei ein Zeichen dafür, dass alles wie geplant funktioniere. Das war in etwa die Verteidigungsrede der Fachleute.

Voreilige Berichterstattung, schiefe Diskussionen

Obwohl Astrazeneca noch taufrisch in den Regalen lag, war bereits der Versuch einer Ehrenrettung nötig. Da allerdings ließ sich die Image-Schieflage noch auf voreilige Medienberichterstattung und falsch abgebogene Diskussionen zurückführen. Die Fortsetzung des Desasters besorgte der Pharmariese selbst. Und zwar in Form seines Chefs, der live den nächsten Fehltritt vollführte. Ende Februar hatte das Europaparlament die Führungskräfte aller Pharmaunternehmen vorgeladen, bei denen die EU Corona-Vakzine bestellt hat. Biontech, Pfizer, Moderna. Thema: Warum dauert das alles so lange? Und an den Chef von Astrazeneca, Pascal Soriot, gerichtet: Warum liefern Sie nicht die vereinbarten Mengen? Warum nicht zum vereinbarten Zeitpunkt? Warum aber bekommen die Briten, was sie geordert haben? Der Spitzenmanager hatte auf all das kaum Antworten. Hilflos hangelte er sich von einer nichtssagenden Floskel zur nächsten. 

Nur eine Aussage blieb hängen. Eine, die dem Ansehen seiner Firma einen weiteren Schlag versetzte: Die EU habe keinen "juristischen Anspruch" auf die im Vertrag vereinbarten Liefermengen, so Soriot. Sein Unternehmen habe nur zugesagt, "nach besten Kräften" zu produzieren und zu liefern. Selbst ohne die genauen juristischen Hintergründe zu kennen, war dieser Hinweis ein weiterer Mittelfinger ins Gesicht der Menschen. Und auf den nächsten mussten sie nur zwei Wochen warten. 

90 Millionen Impfstoffdosen hatten die EU-Vertreter bei Astrazeneca als ersten Schwung bestellt, lieferbar bis Ende März. Nach der ersten Kürzung auf 40 Millionen, teilte das Unternehmen dann Mitte des Monats dann mit, dass es leider noch nur 30 Millionen Dosen werden würden. Astrazeneca begründete die Kappung mit "Exportbeschränkungen, die die Lieferungen im ersten Quartal, wahrscheinlich auch im zweiten Quartal reduzieren" würden. Die nächste Empörungswelle flammte auf, währte aber nur kurz. Was womöglich damit zu tun hatte, dass plötzlich Meldungen von ernsthaften Nebenwirkungen aufploppten: So berichtete die dänische Gesundheitsbehörde von "schweren Fällen" von Blutgerinnseln bei Geimpften, genauer: Hirnvenenthrombosen.

Nicht nur Deutschland brach Impfungen ab

Diese Form des Gefässverschlusses ist selten und behandelbar, allerdings gefährlich. Laut Paul-Ehrlich-Institut sind bis Mitte März sieben Fälle auf 1,6 Millionen Impfungen bekannt, drei Personen sind gestorben. Wegen dieser "auffälligen Häufung" hatten die Experten empfohlen, die Impfungen mit Astrazeneca zu stoppen. Gesagt, getan. Auch andere Staaten ließen Vorsicht walten: Dänemark, Norwegen, Island und Bulgarien brachen ihre Kampagnen ab. Die europäische Arzneimittelbehörde prüfte die Vorfälle, unter anderem, ob die Thrombosen überhaupt im Zusammenhang mit der Impfung standen. Und warum eher Frauen als Männer betroffen sind. Nach einigen Tagen kam die Entwarnung: Der Nutzen überwiegt das Risiko, es kann weiter geimpft werden.

Zwischenstand Mitte März: Das Pharmaunternehmen produziert einen Impfstoff, der für Ältere nicht empfohlen, später aber dann doch für sie zugelassen wird. Der unangenehme bis gefährliche Nebenwirkungen hat, und zudem nicht in der vereinbarten Menge geliefert werden kann. Die gute Nachricht: Die allermeisten Fachleute bescheinigen dem Serum immerhin eine gute Wirksamkeit. So weit, so mittel. Und der Monat ist ja auch noch nicht vorbei.

Am 23. März machte plötzlich die Meldung die Runde, nach der in einem Abfüllwerk in der Nähe Rom 29 Millionen Astrazeneca-Impfdosen entdeckt worden waren. Sofort wurde der Verdacht geäußert, Astrazeneca würde diese Chargen den Europäern quasi vorenthalten. Laut einer Firmensprecherin aber habe alles seine Ordnung. Doch diese Mini-Episode zeigte einmal mehr, wieviel Vertrauen das Unternehmen bereits verspielt hat. 

Wenige Tage später bat die Europäische Union zum Krisengipfel. Weil die Firma so derart in Lieferverzug ist, stand die Drohung eines Exportstopps von Astrazeneca-Impfdosen im Raum. "Wir werden sicherstellen, dass alles in Europa bleibt, bis die Firma ihre Zusagen einlöst", sagte Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton. Ob der Druck wirkt, ist weiter unklar, aber offenbar ist die britische Regierung bereit, ein Abkommen mit der EU zu schließen, mit dessen Hilfe weniger des ungeliebten, wenn auch benötigten Serums exportiert werden soll. 

Dieser Streit wiederum überlagerte die ebenfalls ungünstige Nachricht, laut der es Zweifel an der Wirksamkeit des Vakzins gibt. So schütze der Impfstoff zu 76 statt zu 79 Prozent vor einer Corona-Infektion mit Symptomen, teilte das Unternehmen Ende März mit. Grund seien Hinweise von US-Experten, nach denen bei einer Phase-III-Studie möglicherweise veraltete Daten zum Einsatz gekommen waren.  Das könne ein "unvollständiges Bild der Wirksamkeit vermitteln", hieß es weiter. In den USA ist der Impfstoff von Astrazeneca noch nicht zugelassen. 

Die Thrombose meldet sich zurück

Am 29. März meldet sich plötzlich eine alte Bekannte von vor zwei Wochen wieder: die Sinusvenenthrombose. Nachdem in Nordrhein-Westfalen eine Frau an dem Gefässverschluss gestorben und eine weitere schwer erkrankt war, setzten die Behörden die Astrazeneca-Impfungen für Frauen unter 55 Jahren aus. Tags darauf stoppten auch die Länder Berlin und Brandenburg sowie die Stadt München die Behandlungen für 60-Jährige und jüngere. Insgesamt sind dem Paul-Ehrlich-Institut 31 Thrombose-Fälle bekannt, neun sind gestorben. Die meisten Betroffenen sind Frauen zwischen 20 und 63. Warum? Unklar. Es gibt folgende These: In den Branchen, in denen das Serum verstärkt zum Einsatz kommt, in der Pflege und in Schulen, arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer. Die Nebenwirkungen hätten also nicht in erster Linie mit dem Geschlecht oder dem Alter zu tun. Vielleicht ist so, vielleicht nicht.

Die EU-Arzneimittelbehörde ist immer noch dabei, die Gefahren genauer zu untersuchen, sieht aber keinen Grund, den Impfstoff nur eingeschränkt zu empfehlen. "Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Impfstoff ist nicht bewiesen, aber er ist möglich und die weitere Analyse läuft", heißt es bei der EMA. 

Vielleicht hilft ja letztlich doch die Politik, dem Schlamassel ein Ende zu bereiten. Am 1. April ließ sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Berliner Bundeswehrkrankenhaus mit Astrazeneca impfen. "Ich vertraue den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen", sagte er unaufgeregt und forderte die Menschen auf, sich ebenfalls impfen zu lassen. Ob solche Nachrichten den ramponierten Ruf des Vakzins wieder aufbessern? Der neue Name Vaxzevria jedenfalls wird bislang geflissentlich ignoriert.       

tkr