Malte Wiesenthal* (23) arbeitete als studentische Aushilfe am Kölner Standort des Vergleichsportals Check24. Kunden aus ganz Deutschland riefen bei ihm und seinen Kollegen an, wenn sie einen neuen Mobilfunkvertrag über Check24 abschließen wollten. Die Mitarbeiter gingen gemeinsam mit den Kunden passende Tarife durch, beantworteten Fragen und suchten bei Vertragsproblemen nach Lösungen. Ein Jahr lang ging Wiesenthal für Check24 ans Telefon. "Einen schriftlichen Arbeitsvertrag habe ich aber nie gesehen", berichtet er. Darüber machte sich Wiesenthal zunächst keine Gedanken. Genauso wenig wie seine Kollegin Anne Pietsch* (27). Ihr habe ein Teamleiter erklärt, Check24 schließe nur mündliche Arbeitsverträge ab, um "lästige Bürokratie" zu vermeiden.
Mündliche Arbeitsverträge seien zwar unüblich, aus juristischer Sicht jedoch zunächst kein Problem, erklärt der Anwalt für Arbeitsrecht Bertram Petzoldt: "Ein Arbeitsvertrag muss nicht zwingend schriftlich abgeschlossen werden. Laut Nachweisgesetz müssen die wesentlichen Eckdaten eines Arbeitsverhältnisses allerdings in einer schriftlichen Urkunde zusammengefasst und dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden."
Doch auch eine solche Urkunde hätten Pietsch und Wiesenthal nicht zu sehen bekommen. Rahmenbedingungen wie Aufgabenbereiche, Gehalt und Urlaubsanspruch, die in jedem Arbeitsvertrag enthalten sind, seien für sie nie festgehalten worden. Auf schriftliche Arbeitsverträge zu verzichten sei auch deshalb ungewöhnlich, weil es dem Arbeitgeber im Streitfall die Beweislast auferlegt, so Petzoldt im Gespräch mit dem stern.
Partys für die gute Stimmung
"Zu Beginn habe ich mich wirklich in diesen Job verliebt", beschreibt Pietsch ihre Anfangszeit beim Vergleichsportal. Das Team war jung, die Bezahlung mit 12 Euro pro Stunde deutlich über dem Mindestlohn. Check24 habe Pietsch sogar unbegrenzt viele Urlaubstage versprochen. "Gleich an meinem ersten Arbeitstag fand ein 'Drink Out' nach Feierabend statt. Diese Partys gab es alle zwei Monate: Da wurde richtig groß aufgefahren – Essen, Trinken und so weiter", erinnert sie sich.
Von ihren Vorgesetzten sei die 27-Jährige herzlich aufgenommen worden. Sie habe sich auf Anhieb gut mit ihnen verstanden und bei Problemen offen mit ihren Chefs sprechen können. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben: "Im Nachhinein glaube ich, war das reine Taktik, um die Leute irgendwie bei der Stange zu halten. Da vergisst man natürlich auch mal den ein oder anderen negativen Aspekt", blickt die Studierende zurück.
Doch wie viele Studierende brauchten Pietsch und Wiesenthal das Geld. Hohe Mieten, steigende Semesterbeiträge und Lebenshaltungskosten: Trotz BAföG und finanzieller Unterstützung von Zuhause sind viele Studierende auf Nebenverdienste angewiesen.
Laut einer Studie des Deutschen Studentenwerks arbeiten mehr als zwei Drittel aller Hochschüler in Deutschland neben ihrem Studium. Solche Teilzeitjobs sind für Studierende oftmals attraktiv: Flexible Arbeitszeiten, keinerlei Steuerabgaben und ein vergleichsweise hoher Stundenlohn sind eine willkommene Gelegenheit das meist knappe Budget aufzubessern. Auch Großunternehmen bieten oft die Möglichkeit neben dem Studium Geld dazu zu verdienen und gleichzeitig erste Berufserfahrung zu sammeln. So auch Check24. Laut der Firmenwebsite beschäftigt das Münchener Unternehmen derzeit über 1000 Mitarbeiter an 18 Standorten. Wie erfolgreich das Unternehmen ist, lässt sich nur vermuten. Mit genauen Geschäftszahlen hält sich das Vergleichsportal zurück. Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Institutes für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) im Auftrag von Check24, ist das Geschäftsmodell von Internetvergleichsportalen eine Erfolgsgeschichte: Rund 3,9 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten die größten zehn Anbieter im Jahr 2017.
Kein bezahlter Urlaub
In diesem Markt ist Check24 laut eigenen Angaben das "größte Vergleichsportal Deutschlands". Einem Bericht der Wirtschaftswoche zufolge lag der Umsatz im Geschäftsjahr 2015/16 bei 500 Millionen Euro. Geld verdient das Vergleichsportal durch anfallende Provisionen bei der Vermittlung von unter anderem Versicherungen, Krediten, Strom- und Gastarifen, Reisen, Mietwagen und Mobilfunkverträgen.
"Ich bin einfach davon ausgegangen, dass ein so großes Unternehmen sich an die Regeln hält", berichtet Pietsch. Doch nach und nach habe die Berufseinsteigerin das Gefühl bekommen, Check24 nutze ihre Unerfahrenheit und finanzielle Abhängigkeit aus. Pietsch und Wiesenthal seien bei ihrem Einstellungsgespräch mit einer unbegrenzten Anzahl von Urlaubstagen gelockt worden. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass diese aber nicht bezahlt werden sollten.
Laut Bundesurlaubsgesetz haben Vollzeitarbeitnehmer in Deutschland bei einer Sechs-Tage- Woche jährlich auf mindestens 24 Urlaubstage Anspruch, bei einer fünf-Tage-Woche auf 20, so Petzoldt. "Natürlich steht auch Aushilfen der gesetzliche Urlaub zu", erklärt der Rechtsanwalt. Im Fall von Aushilfen sei es die Pflicht des Arbeitgebers eine Prognose zu treffen, wie oft die Aushilfe voraussichtlich eingesetzt wird. Daraus ergebe sich anteilig auch der Urlaubsanspruch.
Doch Check24 gewährte Pietsch und Wiesenthal überhaupt keinen bezahlten Urlaub, so die Betroffenen. "Ich habe erst später erfahren, dass mir bezahlte Urlaubstage zugestanden hätten", sagt auch die Studierende Janina Peters* (21). Im Rückblick habe Wiesenthal das Gefühl gehabt, das Unternehmen habe ihr die flexiblen Arbeitszeiten als Urlaub verkauft. "Deswegen musste ich vorarbeiten und mir meine Überstunden im kommenden Monat freinehmen."
Rechtsexperte Petzoldt kritisiert diese Regelung, vorgearbeitete Stunden als Urlaub zu nutzen: "Urlaub ist Urlaub. Und diese Tage müssen natürlich auch bezahlt werden. Weigert sich das Unternehmen diese zu zahlen, müssen sie eingefordert werden – zur Not vor dem Arbeitsgericht."
Wer krank wurde, bekam kein Geld
Die gesetzliche Lohnfortzahlung habe Check24 den drei Aushilfen allerdings nicht nur im Urlaubsfall verweigert. Auch bei einer Krankmeldung sei eine Vergütung ausgeblieben: "Es hieß, wenn du nicht da bist, bekommst du kein Geld", erinnert sich Peters. Laut Entgeltfortzahlungsgesetz steht einem Beschäftigten in Deutschland eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber über eine Dauer von bis zu sechs Wochen zu. "Meine Aushilfenbetreuerin meinte schlichtweg: 'Das gibt es bei uns nicht.' Als ich sie darauf hingewiesen habe, dass das rechtlich nicht gültig ist, meinte sie nur: 'Ihr habt hier so viele Möglichkeiten, damit müsst ihr einfach klarkommen'", so Wiesenthal.
Doch damit nicht genug: Die Aushilfen hätten zudem offenbar damit rechnen müssen, innerhalb von 24 Stunden gekündigt werden zu können: "Uns wurde gesagt, die Kündigungsfrist betrage einen Tag. Wir hätten also theoretisch jeden Tag rausgeschmissen werden können", berichtet Pietsch. Auch dies sieht Petzoldt kritisch. Zwar gebe es vereinzelte Branchen, in denen eintägige Kündigungsfristen verbreitet seien, allerdings müssten diese dann ausdrücklich in einem Arbeitsvertrag festgehalten werden. "Aber, wenn kein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, dürfte es dem Unternehmen nicht gelingen, dies durchzusetzen", fügt der Jurist an.
Auch Gehaltszuschläge an Sonn- und Feiertagen habe Check24 nicht gezahlt, berichten die drei Aushilfen: "Es gab keinen Zuschlag, nicht einen Cent", so Wiesenthal. Dabei stünde dieser jedem Arbeitnehmer zu: "Eigentlich ist die Arbeit an Sonn- und Feiertagen nach Paragraph zehn Arbeitszeitgesetz verboten. Deshalb muss es einen zusätzlichen freien Tag oder eine zusätzliche Vergütung geben", erklärt Petzoldt.
"Wir brauchen keinen Betriebsrat"
Über etliche Monate hinweg hätten die drei Studierenden immer wieder versucht, ihre Rechte in Einzelgesprächen mit ihren Vorgesetzten einzufordern – vergeblich. Auf die Unterstützung eines Betriebsrates konnten sie dabei nicht setzen – ein solcher existiert im Unternehmen trotz der mehr als 1000 Mitarbeiter bis heute nicht. "Ich habe darüber mit einem Aushilfenbetreuer gesprochen, der meinte: 'Nein, wir brauchen keinen Betriebsrat – wir sind ja alle eng miteinander'", so Pietsch.
Dass es nur wenige Betriebsräte in dieser Branche gibt, davon hört Maik Brandenburger von der DPVKOM nicht zum ersten Mal. Die Fachgewerkschaft vertritt unter anderem die Interessen von Beschäftigen in der Call-Center-Branche. "Viele Mitarbeiter haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag und trauen sich nicht, einen Betriebsrat zu gründen – zumal Arbeitgeber bei solchen Bestrebungen oftmals Druck auf die Arbeitnehmer ausüben", erklärt Brandenburger.
Außerdem herrsche in der Branche eine hohe Mitarbeiter-Fluktuation, da viele Call-Center- Agenten ihre Tätigkeit als Aushilfsjob sehen und immer auf der Suche nach einer besseren Beschäftigung seien. Schlechte und mitunter ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Branche seien auch auf den schwachen gewerkschaftlichen Organisationsgrad bei den Mitarbeitern zurückzuführen, so Brandenburger.
Also schlossen sich einige studentische Aushilfen des Kölner Check24-Standorts zusammen, um ihre Rechte einzufordern. Dies belegt ein Chatverlauf, der dem stern vorliegt. Ihr Anliegen war wichtiger denn je: Innerhalb eines Jahres habe sich die Anzahl der Aushilfen am Kölner Standort auf circa 80 nahezu verdoppelt, so Pietsch. Die Studierenden setzten ein Schreiben auf und formulierten Forderungen: "Die bis dato geltende Regelung, im Krankheitsfall keinen Lohn zu erhalten, schafft immensen Druck [...] Nicht wenige Aushilfen sehen sich daher genötigt, trotz Unwohlsein oder Krankheit zu arbeiten, um die Lebenshaltungskosten abzudecken und das Studium zu finanzieren." Neben der Forderung nach Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bestanden sie in dem Schreiben unter anderem auch auf ihrem Recht auf bezahlten Urlaub.
Angst vor der Kündigung
"Kurz bevor wir das Schreiben einreichen wollten, ist eine Person abgesprungen. Sie hat uns danach nur gesagt, sie hätte ein langes Gespräch gehabt und würde nicht mehr mitmachen, weil sie Angst um ihren Job hätte", erzählt Peters. Diese Angst habe auf weitere Kollegen übergegriffen, sodass sie das Forderungsschreiben letztlich nie einreichten.
Konfrontiert mit all diesen Anschuldigungen, reagierte Check24 nur knapp schriftlich. Das Vergleichsportal streitet alle Vorwürfe ab. Das Unternehmen halte sich an alle geltenden Arbeitsgesetze. Demnach würde allen Mitarbeitern ein schriftlicher Arbeitsvertrag ausgehändigt werden, in dem sowohl Urlaubsansprüche, sowie Kündigungsregelungen festgehalten werden würden, erklärt Pressesprecher Daniel Friedheim. Desweiteren teilte er mit: "Weitere Details der privatrechtlichen Vereinbarungen mit unseren Mitarbeitern möchten wir selbstverständlich nicht preisgeben." Außerdem verwies Friedheim auf die durchweg positiven Bewertungen auf einem Arbeitgeberbewertungsportal.
Peters, Wiesenthal und Pietsch machten ihre finanziellen Ansprüche für den nicht genommenen Urlaub rückwirkend geltend – allerdings erst nachdem sie 2018 das Unternehmen verlassen und mit juristischen Schritten gedroht hatten. Check24 zahlte.
Nachdem der stern Check24 mit den Vorwürfen konfrontiert hatte, erhielt die Redaktion Hinweise, wonach das Unternehmen seinen Aushilfen am Kölner Standort nun schriftliche Arbeitsvereinbarungen vorgelegt habe. Zu den genauen Inhalten wollten die Quellen sich nicht äußern – zu sehr fürchteten sie die Konsequenzen. Gleiches galt für weitere ehemalige und aktuelle studentische Aushilfen am Standort, die sich zunächst dem stern anvertraut, dann jedoch aus Angst vor möglichen Folgen weitere Gespräche abgelehnt hatten. Auf erneute Nachfrage teilte Check24 lediglich mit, dass es mit jeder Aushilfe "einen schriftlichen Arbeitsvertrag, der den gesetzlichen Vorgaben entspricht" gebe. Schriftliche Verträge habe es zu jedem Zeitpunkt gegeben. Die jedoch bekam der stern nie zu Gesicht.
Wiesenthal, Peters und Pietsch betrifft die Vorgehensweise des Vergleichsportals nicht mehr – viele andere womöglich schon. Warum diese dennoch weiterhin für Check24 ans Telefon gehen, kann sich Pietsch nur so erklären: "Es ist die finanzielle Angst, die die Leute dort festhält."
*Namen und Alter von der Redaktion geändert
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