Bereits die Wahl des Tagungsorts ist für die Frankfurter Finanzszene ein Indiz für die Entscheidung. Nicht in München tagte am Sonntag der Aufsichtsrat der Allianz, um über das Schicksal der angeschlagenen Finanztochter zu beraten, sondern in Frankfurt. Am späten Nachmittag ist die Sache dann klar: Die Commerzbank soll den Zuschlag für die Dresdner Bank erhalten, nicht die China Development Bank. Am Abend gibt dann auch der Aufsichtsrat der Commerzbank grünes Licht für den Deal.
Ausgerechnet die Commerzbank, die in den vergangenen Jahren bei allen möglichen Fusionskonstellationen als Juniorpartner gehandelt wurde, steigt zum zweiten deutschen Bankenchampion auf. Mit zwölf Millionen Privatkunden ist sie die umsatzstärkste deutsche Privatkundenbank - noch vor der Deutschen Bank mit 9,7 Millionen Kunden. Und ausgerechnet die Dresdner Bank, die unter den Fittichen der Allianz Treiber eines modernen Allfinanzkonzerns werden sollte, tritt als eigenständiges Geldinstitut ab. Grün ist die Farbe der Vergangenheit.
Dabei sah es noch im Februar so aus, als könne die Dresdner der Commerzbank den Rang ablaufen: Allianz-Chef Michael Diekmann lässt durchblicken, er sei an der Postbank und deren 14,5 Millionen Kontoinhabern interessiert. Sein Ziel: das Geschäft mit Privatkunden stärken und im Gegenzug die verlustträchtige Investmentbank Dresdner Kleinwort verkaufen.
Im Kanzleramt favorisiert man ein Superinstitut
Doch auch die Commerzbank interessiert sich für die Postbank. Und gerät unversehens in die Favoritenrolle. Der Grund ist ein politischer: Der Bund, der über die Post indirekt auch Postbank-Aktionär ist, wünscht sich eine starke Nummer zwei neben der Deutschen Bank. Einen weiteren "nationalen Champion", wie ihn Spanier, Italiener und Franzosen auch haben. Signale, die in der Deutschen Bank vernommen werden. Sie schwenkt bald um und steigt dafür in das Bieterrennen um die sehr viel kleinere Citibank ein, das sie später gegen den französischen Crédit Mutuel verlieren wird. Und in Berlin wird in noch größeren Dimensionen geträumt.
Im Kanzleramt favorisiert man ein Superinstitut aus Postbank, Dresdner und Commerzbank. Martin Blessing ist von dem Vorhaben begeistert. Der 45-Jährige steht seit wenigen Tagen an der Spitze der Commerzbank und will das Institut in Deutschland zu einem Machtblock machen. Und so beackert sein Vorgänger Klaus-Peter Müller als Aufsichtsratschef, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken und aktives CDU-Mitglied den Berliner Boden. Der Dresdner Bank werden da schon keine großen Chancen mehr eingeräumt, maßgeblicher Akteur einer Konsolidierung zu sein. Allianz-Chef Diekmann macht öffentlich, dass das inländische Privat- und Firmenkundengeschäft vom Investmentbanking abgetrennt werden soll, um den Verkauf der Dresdner zu erleichtern. Die Rollenverteilung ist fortan klar: Die Commerzbank kauft, die Dresdner Bank wird gekauft.
Die Dresdner-Führung fühlt sich vom Mutterkonzern überfahren
Bei der Allianz-Tochter macht sich bald Untergangsstimmung breit. "Öffentlich den Verkauf so frühzeitig anzukündigen war ein schwerer taktischer Fehler", sagt ein Dresdner-Vorstand. "Seitdem wird die Bank jeden Tag weniger wert. Jeder Interessent hat doch jetzt schwarz auf weiß, dass es sich um einen Notverkauf handelt." Doch in München dringt man auf einen zügigen Abschluss des unglücklichen Ausflugs in die Bankenwelt. Mastermind und verantwortlich für den Verkaufsplan ist Finanzvorstand Paul Achleitner, der 2001 bereits den Erwerb der Dresdner Bank eingefädelt hat. Lange ist nicht klar, wen der gewiefte Österreicher als Interessenten an der Hand hat, erst Anfang August stellt sich heraus, dass es die staatliche China Development Bank ist, eine Art chinesische KfW.
Die Dresdner-Führung fühlt sich vom Mutterkonzern überfahren und schlecht informiert. Selbst Vorstandschef Herbert Walter, der die Trennung von Dresdner Kleinwort organisieren soll, weiß nicht, was in München tatsächlich läuft. Als sich Topmanager der Bank auf einer Konferenz Ende Mai beschweren, die Allianz lasse kein Konzept für den Verkauf erkennen, kann auch Walter nicht aushelfen. Einer schlägt vor, dass eine Vorstandsdelegation mit einem eigenen Konzept in München vorsprechen soll. "Aber was", fragt einer in die Runde, "sollen wir denn als unser Konzept vorstellen?" Kurze Pause, alle warten auf Walter. "Dass wir in der Konsolidierung eine aktive Rolle spielen", lässt der schließlich vernehmen. Doch es klingt für die übrigen Vorstände so uninspiriert, dass der Kampfeswille der Runde im Nu erlischt.
Pendeln zwischen Frankfurt und München
Umso stärker beflügelt ist Blessing. Er weiß, dass jetzt seine Zeit gekommen ist, um die Commerzbank in eine neue Dimension zu katapultieren. Und: Er kennt sich aus bei der grünen Konkurrenz. Nach dem Studium und der Zeit als McKinsey-Berater hat er sich ausgerechnet in der Dresdner Bank nach oben gedient. Als Dresdner und Deutsche Bank im Jahr 2000 kurz vor der Fusion stehen, leitet er das Projektteam, das die Integration der Privatkundentöchter durchspielen soll. Sein Gegenüber damals bei der Deutschen Bank: Herbert Walter.
Diesmal ist nicht der heutige Dresdner-Chef sein Verhandlungspartner, sondern Diekmann. "Beide können gut miteinander, die Chemie stimmt", sagt einer, der beide kennt. Und so geht Blessing optimistisch ans Werk: "Die Integration der Dresdner Bank ist nicht das Problem", lässt der Vorstandssprecher intern wissen, "das Problem wird die Finanzierung sein." Knapp 10 Milliarden Euro für die Dresdner sind schwer genug zu stemmen sein. Die zusätzlichen Milliarden, die für die Postbank aufzubringen wären, sind Blessing zu viel. Und so wird die von Berlin so ersehnte Dreierfusion im Sommer auf Eis gelegt. Stattdessen geht es nun mit Hochdruck daran, Dresdner und Commerzbank zu verschmelzen. Arbeitsgruppen werden zusammengestellt, durchforsten die Bücher. Gibt es Subprime-Zeitbomben? Wie viele Stellen müssen wegfallen? Wo lässt sich sparen? Ständig pendeln die Teams zwischen Frankfurt und München.
Ein Finanzierungsmodell ohne allzu große Kapitalerhöhung
Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Diekmann darf die Dresdner nicht zu billig hergeben. Selbst im günstigsten Fall mutet er seinen Aktionären einen gigantischen Buchverlust zu, denn noch steht die Dresdner mit 14 bis 16 Milliarden Euro in der Allianz-Bilanz. Blessing muss ein Finanzierungsmodell konstruieren, das ohne allzu große Kapitalerhöhung auskommt. Durch die Ausgabe neuer Aktien kann er maximal 4,6 Milliarden Euro hereinholen. Die Möglichkeit einer weiteren Aufstockung hat ihm die Hauptversammlung im Mai versagt. Also muss er nach anderen Einnahmequellen suchen: Die Fondstochter Cominvest, der Zehnprozentanteil am Linde-Konzern, sogar die Immobilienfinanzierungstochter Eurohypo, die Müller erst vor drei Jahren erworben hat - alles steht zur Disposition. Der Allianz stellt Blessing eine 30-prozentige Beteiligung an dem fusionierten Institut in Aussicht.
Bis zuletzt ist offen, wer das Rennen macht: die Chinesen oder die Frankfurter. Die China Development Bank kann mehr zahlen, und das sogar in bar. Zudem würde sie der Allianz im Boomland China neue lukrative Vertriebsmöglichkeiten eröffnen und bei der Dresdner Bank weit weniger Stellen abbauen als die Commerzbank. Ein wichtiges Argument gegenüber den Gewerkschaften, die bei dem Deal mitziehen müssen. Für die Commerzbank spricht ihr besserer Leumund in Berlin. Diekmann macht Druck: Bis Ende August soll Dresdner-Chef Walter die Aufspaltung der Bank unter Dach und Fach haben. Bis dahin ist ein Split auf Basis der 2007er-Geschäftszahlen möglich. Anschließend würde alles wesentlich komplizierter und potenzielle Käufer womöglich vergraulen.
Jeder Millimeter Raumgewinn wird ausgeschlachtet
Im Laufe des Augusts kommt immer mehr Dynamik in die Fusionsverhandlungen. "Jetzt ist die Zeit, wo man besser nur noch Salzstangen isst und stilles Wasser trinkt, um klar im Kopf zu bleiben", beschreibt ein Banker die Atmosphäre. Umstritten bleibt bis zuletzt die Bewertung der Risiken, die von Dresdner Kleinwort ausgehen. "Das war von Anfang an der Knackpunkt, weil keiner weiß, was dort noch schlummert an Risiken", heißt es. Dies ist auch die hohe Zeit der Strippenzieher. Mal heißt es, die Verhandlungen stehen "vor dem Abbruch", dann sind sie angeblich "vor dem Durchbruch". Jeder Millimeter Raumgewinn wird ausgeschlachtet und interpretiert, gerade so wie es passt. Ein Londoner Analyst bringt es auf den Punkt: "Die Chinesen foltern Menschen, indem sie ihnen so lange Wasser auf den Kopf tropfen lassen, bis sie verrückt werden. Die Allianz steckt so lange Geschichten an die Presse durch, bis das Commerzbank-Management verrückt genug ist zu denken, dass es eine Investmentbank wie Dresdner Kleinwort kaufen sollte."
Selbst an diesem Freitag wird noch verhandelt. Diekmann ist angeblich per Telefon aus dem Ausland zugeschaltet. Irgendwann im Laufe des Tages dann fällt die Entscheidung, auf die Blessing so sehr gehofft hat: Der Allianz-Vorstand will seinem Aufsichtsrat am Wochenende den Verkauf der Dresdner an die Commerzbank vorschlagen, die Chinesen sind raus. "Die Konzentration der Stabsabteilungen bei der Allianz liegt jetzt bei der Commerzbank-Lösung. Daran wird präferiert gearbeitet", heißt es gestelzt im Umfeld. Am Sonntag dann stimmten die Aufsichtsräte beider Banken der Fusion von Dresdner und Commerzbank zu. Blessing hat sich durchgesetzt.
Doch Insider wissen: Das Spiel geht weiter. In der Bundesregierung hat man die Hoffnung auf eine Dreierlösung mit der Postbank nicht aufgegeben. "Es reicht ja, wenn sich die Beteiligten verständigen, dass sie es wollen. Das kann man jetzt beschließen und nächstes Jahr durchziehen", heißt es in Berlin.